MachinedrumRoom(s)

Es ist viel diskutiert worden über das Ende des Musikalbums. Dieses Mal machen alle mit. Normalerweise sind popkulturelle Theorien kompliziert. Aber die Quintessenz einer sauberen Konsumanalyse erschließt sich jedem, der selbst konsumiert, auch wenn das Warum vielleicht nach wie vor der Fachwelt vorbehalten bleibt. So kommt es, dass steigende Downloadzahlen bei Einzeltiteln plötzlich fürs Stammtischgespräch taugen, auch weil auf die Kneipenstühle langsam eine Generation mit gewissem Verständnis für die Netzwelt nachrückt. Die ungewohnte Zugänglichkeit des Themas ist Öl ins Feuer derjenigen, die das Album schon immer für eine auf technische Limitationen gebaute Notlösung gehalten haben. Ausgerechnet in diese Zeit produziert Travis Stewart alias Machinedrum eine Art Prototyp von Album – etwas, das als Plädoyer für diese im Begriff des Aussterbens geglaubte Kunstform gelten kann.

Alle Songs funktionieren auf „Room(s)“ nach demselben Prinzip, und das nimmt der Albumtitel sogar vorweg: Erschaffe einen Raum, dann fülle ihn mit Objekten. Der Raum, das sind bei Machinedrum die weiten, offenen Hintergrundflächen, die zwar hier und da mit einer Portion analogem Gerausche und Geknacke garniert werden, ansonsten aber kaum Überraschungen bereithalten. Viele Songs schweben und fließen so vor sich hin, auch wenn sie immerhin in sich geschlossen sind. Wenn Machinedrum diese Atmosphäre mit Klangbausteinen anreichert, kommt plötzlich Bewegung ins Spiel, baut sich eine Komplexität auf, die sich auch nach mehrmaligem Durchhören kaum vollständig erfassen lässt.

Einen großen Teil dazu trägt auf „Room(s)“ die detailverliebte Metrik bei. In manchen Titeln, insbesondere im Opener „She Died There“, wirkt sie wirr und strukturfern, ein Eindruck, der sich über das Album hinweg nie vollständig auflöst. Aber die Beats sind in jedem Song um maximale Individualität bemüht, jeder einzelne Sound wirkt bis aufs Äußerste durchdesignt. Stewart hat hier viel Zeit und Energie investiert; der Ertrag ist ein sehr differenziertes Klangbild, das nur noch entfernt seine Entsprechungen im Natürlichen findet: Ein banales Echo etwa wird in „Lay Me Down“ derart abstrahiert, dass sich sein Ursprung als technische Skizze nachgerade aufdrängt.

Selbst die Stimme wirkt auf „Room(s)“ zunächst oft wie ein Rhythmuselement. Der Eindruck ergibt sich aus der Art des Gesangeinsatzes insgesamt, und das ist vielleicht das eigentlich Bemerkenswerte an Machinedrums Album. Die Stimme taucht hier nicht mehr als linearer Träger von Textinformationen auf, sondern nur noch als scheinbar zufälliges Fragment, wie aus einem gefälligen Popsong gerissen, in Einzelteile zerlegt und dann seltsam gewollt im Klangraum platziert. Vocal-Samples wandern damit über weite Teile der Platte völlig unvorhersehbar und vor allem unangepasst durch den Song, so als müsste die Instrumentierung dazu eigentlich eine andere sein. Das raubt vielen Elementen ihre musikalische Konsonanz, die sie für sich genommen besäßen. Melodien sind nämlich nach wie vor erkennbar, sie werden nur nicht mehr durch Gesang geformt, sondern aus einzelnen Stimmenfetzen zusammengefügt und mit dezentem Autotune gegeneinander versetzt. Das Interessante ist, dass sich die so erzeugten Artefakte weiterhin problemlos als vokale Elemente verorten lassen.

Mit dieser Konstruktion erreicht Machinedrum zweierlei: Durch das immer gleiche Fundament kann er das Album als Ganzes zusammenhalten und die Songs untereinander verbinden. Durch die eingestreuten Klangideen verleiht er den Songs isoliert betrachtet ihre Ausstrahlungskraft. Der Reiz beim Hören liegt darin, dass sich jede Idee einzeln herausgreifen und verfolgen, beinahe visualisieren lässt. Jede von ihnen bewegt und verformt sich, manchmal energischer und entschlossener als in anderen Songs, doch es ist nie der Song selbst, der sich dabei verändert. Konzeptionell sind sich dadurch alle Titel des Albums ähnlich, was einerseits für eine gewisse Einförmigkeit in den Strukturen sorgt. Andererseits sind diese Strukturen aber so weit vom klassischen Songaufbau entfernt, dass sie sich in der Regel nicht mehr vorausahnen lassen. Wer eine klare Linie sucht, dürfte damit von „Room(s)“ eher enttäuscht werden, denn einzelne Genres, allen voran Footwork und Jungle, werden zwar angedeutet, abgesehen vom Schlusstrack „Come1“ aber kaum konkretisiert, sondern eher in die individuelle Basis eingewoben.

Stewarts wahrer Verdienst liegt denn auch eher darin, dass „Room(s)“ als eine Antwort auf den veränderten Musikkonsum verstanden werden kann, die dem Arrangement mehrerer Titel zu einer gemeinsamen Einheit nicht seine Existenzberechtigung abspricht. Stewart zeigt eine neue Art, zwischen Songs eine Verbindung zu wahren, ohne ihren individuellen Charakter zu zerstören – und umgekehrt. Sie ist frei von technischen Zwängen, weiß um die Unbegrenztheit heutiger Produktions- und Reproduktionsbedingungen und lässt sich fast beliebig erweitern. Natürlich hat diese Herangehensweise ihre Schwächen: Beispielsweise sorgt der spezielle Einsatz des Gesangs dafür, dass man mit der Zeit dazu neigt, ihm zu viel Beachtung zu schenken, oder schlimmer: die Bewertung der Platte auf ihn zu reduzieren. Manchem wird auch der konsequente Uptempo-Stil den ansonsten durchaus meditativen Momenten des Albums im Weg stehen. Als Alternative zum klassischen Modell steht dieses Werk aber derzeit allein da, auch wenn es sich dabei nur um einen Versuch handeln mag. Schließlich liegt Machinedrums Debütalbum „Now You Know“ inzwischen ganze zehn Jahre zurück. So lange hatte Travis Stewart also Zeit, um hierhin zu gelangen. Das allein wäre es schon wert, beim nächsten Stammtisch mal besprochen zu werden.

79

Label: Planet Mu

Referenzen: DJ Nate, Sepalcure, Flying Lotus, Boards Of Canada, Eskmo

Links: Albumstream | Homepage | Facebook | FACT Mix

VÖ: 29.07.2011

2 Kommentare zu “Machinedrum – Room(s)”

  1. Markus sagt:

    Schwieriges Werk, weil immer zwischen den Polen „Ambient“ und „160bpm-Postdubstep“ zerrieben. Persönlich geht mir hier eigentlich nur der permanente Einsatz von Autotune auf den Sensor, ansonsten ein sehr spannendes Album.

  2. […] finden, das zeigten unter anderem die Werke von Roman Flügel, Walls, Tropics, Balam Acab, Zomby, Machinedrum und Plaid in aller Deutlichkeit. Deutlich wurde auch, dass sich die interessanteste Musik meistens […]

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