Rohkost: The Rural Alberta Advantage in Münster

Samstags in Münster und man merkt schnell, dass dies der Prototyp einer Studentenstadt ist. Und weil es, wie für eine Studentenstadt üblich, vor allem kurze Wege gibt und überhaupt auch nicht viel Platz, würden für den Konzertbesuch im relevantesten Fleckchen für Musik in Münster, dem Gleis 22 nämlich, die knappen zehn Minuten vom Bahnhof bis zum Konzert als Ausflug genügen. Wenn eine richtige, ja eine echte Studentenstadt, nicht auch die Eigenschaft hätte, dass früher oder später unweigerlich ein bekanntes Gesicht vor einem auftaucht und sich wertvolle Minuten für ein Gespräch direkt mit dem Zeiger aus der Uhr reißt. Man könnte diese schöne Flüchtigkeit selbstredend auch positiv bewerten, nicht jedoch, wenn dieser eine Vorband wie Sonofold zum Opfer fällt. Der Münchner Songwriter kann zumindest noch mit einem letzten, eigenwillig ruckelnden Folksong beeindrucken, bevor alles im Gleis über den Bärtigen spricht und strahlt. Bisweilen hört man mehr über ihn, als über das, was im Zentrum des Abends stehen soll: die drei heimattreuen Naturbursch(inn)en von Rural Alberta Advantage.

In NRW ist das Gleis für Saddle Creek-Bands quasi ein gemachtes Bett. Ob Two Gallants oder Cursive, jetzt Rural Alberta, die studentische Halbprovinz und die heimatseligen und gitarrenverliebten Barden aus wunderschön schroffen Landstrichen fernab der großen Städte – so meint man – das muss einfach passen. Auch wenn die Band um Sänger Nils Edenloff in den viktorianisch geprägten Vororten von Toronto zusammenfand, geht sie ganz und gar in dem netten Vorurteil und Mythos des Labels aus Omaha auf.

Am Ende der Geographie steht die Gitarre, ungeschliffen und rau. Eine Gitarre, die wie eine handelsübliche Akkustikgitarre aussieht, an der man jedoch völlig verrostete Saiten vermutet, abgegriffen und runtergespielt. Wie ein Kraftwerk wirkt dann der Verstärker, in dem der Naturklang aufgeladen wird und danach stürmisch durch die für die Raumgröße überdimensionierten Boxen rauscht. Am spartanischen Synthie erzeugt Amy Cole mit konzentriertem Blick geradezu niedliche Klänge, die sich hinter der herrlichen, stets manisch überschäumenden Schlagzeugarbeit von Paul Benwatt und besagter Gitarre zu verstecken scheint. Das zurückhaltende Ansinnen von „Don’t Haunt This Place“ lenkt dann früh im Set den Fokus auf die Dame im Kleid und zeigt, dass Rural Alberta im Leisen und Zutraulichen ebenso stark sind wie im lauten Ausladenden.

Die drei, allen voran Ben Watt an den Kesseln, feuern immer weiter nach. Es wirkt, als hätten sie solch kurze Stücke, weil diese keine Minute länger durchzuhalten wären, würde man es denn versuchen. Sympathisch auch, wie all das Selbstbewusstsein in den Pausen zu fast nervöser Bescheidenheit zusammenschrumpft. Vor der Bühne hingegen gibt es kaum Platz zum Bewegen, aber durchaus Eis zum Brechen. Das tut endgültig erst das immer lauter und nachdrücklicher aufgespielte „Drain The Blood“, bevor „Stamp“ auch den Letzten mitnimmt, zu diesen wilden Kapriolen, die trotz aller gefühlten Spontanität immer auf direktem Weg zum Ziel streben. Die unkontrollierte Kontrolle sorgt für mehr Bewegung, wenn es auch nach wie vor mehr sein könnte. Die Stücke beider Rural-Alben sind live ohne Weiteres nicht zu unterscheiden, was hier nur ein Kompliment sein kann. Gemein haben sie außerdem, dass sie in der Regel kaum drei Minuten dauern. Und so kommen Rural Alberta Advantage an diesem Abend auch auf beinahe zwanzig Songs, deren Schlusspunkt nur „The Dethbridge In Lethbridge“ sein kann, das für immer als Erstes genannt werden muss, wenn es um Tornados geht. Spätestens an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu Saddle Creek, Omaha, Nebraska und dem Naturburschen-Mythos.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum