Es ist eine Geschichte wie aus einem Hollywood-Film: Eine Band, durch ihr Debütalbum weltberühmt geworden, will ihr zweites Album aufnehmen. Der Erwartungsdruck ist selbstverständlich hoch, der Zweitling soll schnell folgen. Doch es gibt Probleme. Erst verzögern ungünstige Tourpläne die Arbeit und dann verwerfen die fünf Musiker auch noch fast ihr gesamtes neues Material: nicht gut genug.

Also beginnt die Arbeit von Neuem. Der Frontmann vertieft sich immer mehr in der Arbeit an der Musik, seine sozialen Kontakte leiden, so sehr, dass ihn seine Freundin verlässt, mit der er seit 5 Jahren zusammen ist. Für manche wäre spätestens das der Grund, einen Gang zurückzuschalten, doch der 25-jährige hat seine Prioritäten gesetzt: Auf keinen Fall soll das neue Werk eine Enttäuschung werden. Und dann, nach vielen weiteren Turbulenzen und Pannen, ist es fertig. 12 Songs, 50 Minuten Folk-Pop.

Wer ein zweites „White Winter Hymnal“ sucht und sich meditativ in Naturbildern verlieren will, wird allerdings enttäuscht. Helplessness Blues“ klingt nach Perfektionismus, Herzblut, viel Arbeit und berührt – nicht zuletzt dank Robin Pecknold, dessen Stimme mehr denn je nach Paul Simon klingt, dessen Texte aber im Vergleich zum Debüt eine viel gewichtigere Rolle einnehmen. „So now I am older than my mother and father / when they had their daughter / now what does that say about me?“ lauten die ersten Zeilen eines Albums, dessen Protagonist mit der Umstellung kämpft, nun erwachsen und ganz auf sich alleine gestellt zu sein – „nobody else to blame.“ Immer wieder nimmt Pecknold Bezug auf seine vergangene Kindheit. Zentral ist der Zwiespalt, in dem sich jeder Mensch befindet: Wer bin ich, und wer will ich wirklich sein? Hat sich die Band bisher hauptsächlich von Naturromantik und Spiritualität leiten lassen, ist „Helpnessness Blues“ deutlich persönlicher und nachdenklicher ausgefallen.

Auch musikalisch gewinnt die Band an Ebenen hinzu: Neben Zither, tibetanischer Klangschale oder 12-saitiger Gitarre nistet sich in „The Plains / Bitter Dancer“ auch gern mal eine Holzflöte ein. Aber dennoch: Trotz der akribischen, perfektionistischen Arbeit und der Vielfalt an Instrumenten wirken die Songs nicht überladen, eher zurückhaltend arrangiert. Doch im Gegensatz zu „Fleet Foxes“ fällt es dieses Mal gar nicht mal nicht schwer, anfangs enttäuscht zu sein. Der Titelsong „Helplessness Blues“ zündet noch am schnellsten, „Sim Sala Bim“ oder „Lorelai“ packen erst einige Durchgänge später zu. Eingängige Songstrukturen wie das Refrain-Strophe-Schema sind eh schwer zu finden. So verwundert es auch nicht, dass das 8-minütige, der Ex gewidmete „The Shrine / An Argument“ zum Höhepunkt des Albums avanciert. Ein Song, der sich drittelt in einen sakralen Anfang mit der Stimme Pecknolds im Vordergrund, einen deutlich forscheren Mitteilteil und schlussendlich einen Instrumentalteil, in dem ein Saxofon mit gespenstischem Free Jazz wirbelt – ein dunkler Schatten, das Ende der Beziehung.

„Helplessness Blues“ ist zwar erst die zweite Platte der Fleet Foxes, aber gewiss kein unbeschwertes Frühwerk mehr. Umso erstaunlicher, dass „Helplessness Blues“ das tolle Debüt trotz aller Widrigkeiten gar noch überragt: „If to borrow is to take and not return / I have borrowed all my lonesome life / And I can’t, no I can’t get through / The borrower’s debt is the only regret of my youth“ gibt Pecknold in „Beduin Dress“ zu bedenken. Einen Großteil seiner Schuld hat er mit diesem Werk beglichen.

84

Label: Cooperative

Referenzen: Simon & Garfunkel, Crosby, Stills, Nash & Young, Band Of Horses, The Zombies, The Beach Boys

Links: Albumstream | Homepage | Facebook

VÖ: 29.04.2011

9 Kommentare zu “Fleet Foxes – Helplessness Blues”

  1. Janis sagt:

    Super Rezension im Gegensatz zu den meisten, die ich bisher gelesen habe. Danke dafür.

    Ich denke auch, dass das Album noch’n Ticken besser ist.

    LG

  2. Rinko sagt:

    Großes Album! Ich fand das Debut bis auf das geniale Mykonos etwas gleichtönend, aber das hier ist ein großer Sprung.

  3. Sascha sagt:

    Tolle Rezension, das stimmt. Ich finde das Album auch noch besser als das Debüt, aber schon das habe ich verdammt oft gehört. Allerdings ist „Innocent Sun“ noch immer mein Liebling Fleet Foxes Song … manche nennen das Singsang, ich find’s perfekt.

  4. Gecko sagt:

    Solides Album, aber für mich nie und nimmer besser als die 1. Platte.

    @Rinko: „Mykonos“ ist auf dem Debut gar nicht enthalten.

  5. Sascha sagt:

    irgendwie schon, wenn man die lp gekauft hat, wo gleich die sun giants ep dabei ist. das ist jetzt auslegungssache ;)

  6. Pascal Weiß sagt:

    Ich mag das Debüt inkl. EP sehr gern, nach wie vor. Dennoch finde ich „Helplessness Blues“ viel erwachsener, reifer. Und besser. Auch das „Verstecken“ der Refrains, die ja eigentlich gar keine mehr sind, das hat was. Das gefällt mir auch an der letzten MGMT so gut.

    Und das Pecknold jetzt noch mehr nach Paul Simon klingt, kann den Songs auch nicht schaden. Vermutlich aber bleibt sein Song mit Ed Droste von Grizzly Bear das Maß der Dinge:
    http://www.tonspion.de/musik/robin-pecknold/musik/1570089

  7. Hugo Stieglitz sagt:

    Super Album und das beste neben „Let England Shake“ dieses Jahr.
    Toll toll toll.

  8. […] zählen Bon Iver, Ja, Panik, Matana Roberts, Robag Wruhme, Liturgy, 13 & God und die Fleet Foxes, die übrigens für das mit großer Freude erwartete Haldern Pop Mitte August anreisen werden. Dort […]

  9. […] Fun“ heißt sein erstes Werk nach den Fleet-Foxes-Episoden. Amerikanisch, erdig und zuweilen mit rauer Schale umhüllt ist es geworden und trotzdem […]

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