Die Wahl zwischen den Begriffen „Musiker“ und „Künstler“ ist für gewöhnlich nicht mehr als unbedeutende Routine, jedoch immer zu bewältigen, um einen Absatz vom letzten abzuheben. Und da man doch nichts macht und machen will, als über die Größten ihrer Zunft zu schreiben, sind sie alle ja ohnehin beides. Hier ist ein Künstler, nein, ein Musiker, ein Künstler also, der zerrt an beiden Begriffen, in zwei Richtungen. Als Hauschka veröffentlicht dieser nun sein bereits achtes Album in acht Jahren, sein zweites auf Fat Cat, und kommt dabei wieder ohne jeden Gesang aus.

Der Düsseldorfer Volker Bertelmann und sein Klavier, das ist eine tiefe, eine feste Bindung. Diese Bindung wiederum, die ist auch irgendwie Romantik. Für den auch nach vielen Jahren noch verliebten Blick, mit dem er seinem Klavier auf die Saiten schaut, würden viele Frauen sich in glitzernde Schale werfen. Für die Behutsamkeit, mit welcher er sie mit den Hämmerchen abklopft, als wolle er seinen Flügel auf sein Wohlbefinden untersuchen, würden viele ihr Knie auf der Stelle frei machen. Wenn das nicht noch weiter, noch tiefer ginge, bis ins Innere dieses mehrdimensionalen Instruments. Wo Hauschka am offenen Herzen Operationen durchführt, mit dem Wissen, dass der Patient nicht nur gesund wird, sondern gesünder denn jemals zuvor. Empfängt uns doch schon seine Homepage mit dem Schaltplan eines Klaviers, so sehr in Sepia, dass es eher wie ein veraltetes anatomisches Schaubild anmutet. Gruselig, könnte man meinen, wäre da nicht das andere, spielerische Bild im Kopf, das ihn zeigt, wie er seiner besseren Hälfte Tic-Tac-Schachteln, Schaschlikspieße oder Tischtennisbälle implantiert. Direkt an den Lebensadern, den Saiten, ohne jedes Risiko, die Augenbrauen erwartungsfroh nach oben gezogen. Bis den Blick in den Flügel nichts mehr von dem ins zwei Wochen nicht aufgeräumte Kinderzimmer unterscheidet.

„Salon Des Amateurs“ – benannt nach dem vortrefflichen Veranstaltungsort in Bertelmanns Heimat – schlägt einen zunächst ernsten Ton an, der vor dem Hintergrund zahlloser Spielereien im Modellbaukasten Piano durchaus überraschen könnte. Scheinbar eindeutig gilt, dass der Albumtitel bloß zwinkerndes Understatement ist. Denn die Stücke bringen zwar Charme mit und eine spürbare Leichtigkeit auf die Tasten, wühlen aber in der Tiefe den Boden auf. Seit seinem 2008er Album „Ferndorf“ gewährt Hauschka Elektronischem eine Nische zwischen tiefem Bass, zumeist entweder fast frequenzlosem Klackern und dem zumeist höheren Teil der Klaviatur. Auffällig ist hier eher die Unauffälligkeit, mit der sich selbst die Konservenklänge in ein durch und durch handgemachtes Gesamtbild fügen. Mittlerweile drängen gar Streicher in die zahlreichen Lücken, die Songs wie der Opener „Radar“ aufreißen und damit im Minimalismus für große Dynamik sorgen. Selbst nach der ersten Verwirrung fordert es Courage, das Album nicht als „ruhig“ zu bezeichnen. Hauschkas Kapriolen sind nie aufdringlich, aber noch weniger zu übersehen. Das wunderschöne „Girls“, welches im Mittelteil große Gesten heraufbeschwört, sowie das nur scheinbar stringente „Tanzbein“ beginnen wie viele Songs im „Salon Des Amateurs“ mit geraden Linien, die schließlich immer mehr Kurven beschreiben. Aufklärung gibt es zum Ende, wo das perlende „Sunrise“ einem klar macht, dass man 40 Minuten in der Nacht zuhaus war. Doch das ist von allen Erkenntnissen wohl doch die unscheinbarste. Vielmehr bleibt ein fantastisches Klavierwerk eines herausragenden Musikers, Künstlers, Spielers.

81

Label: Fat Cat

Referenzen: Múm, Ólafur Arnalds, Peter Broderick, Arms & Sleepers, Max Richter

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VÖ: 29.04.2011

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