Videomania: Musik ins Auge

Es war ein letzter ironischer, vielleicht sogar etwas verzweifelter, Akt als MTV Ende Dezember sich mit den Spice Girls und „Viva Forever“ ins Bezahlfernsehprogramm verabschiedete und seitdem zumindest auf dem deutschen Markt seine popkulturelle Wirkkraft eingebüßt hat. Vielleicht bedeutete dieser Schritt ins Pay-TV sogar den totalen wirtschaftlichen Kollaps des fast immer defizitären Senders, denn erst zwei Monate nach Abschaltung der frei empfangbaren Frequenzen startete mit „MTV brand:new“ Anfang Februar ein reiner Musikkanal ohne Werbung – dies jedoch auch nur via „Entertain“ von Telekom. Der Hauptkanal widmet sich hingegen mit voller Kraft (beispielsweise samstags von 12-18 Uhr) ausschließlich „Paris Hilton’s My New Best Friend 2“, so dass man, auch ohne die exakten Abo-Zahlen zu kennen, vom baldigen Exitus des einstigen Musikfernseh-Vorreiters ausgehen kann, der im Sommer 30. Geburtstag feiern wird.

Längst gehen dann aber „Musikfernsehen“ und „Musikvideos“ eigene Wege – Musikvideos sind zum eigenen Produkt geworden und bilden nicht mehr nur die aufwändige Marketing-Staffage für den physischen Tonträger. Immer, wenn bei Youtube oder anderen Kanäle das nervige „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar :/“ aufblitzt (das bisweilen dennoch humoristische Züge aufweist), dann ist dies auch immer Abbild von Lizenzstreitigkeiten: Jeden Klick, jedes Abspielen von Videos auf den jeweiligen Plattformen lassen sich Musikindustrie und Rechteinhaber bezahlen. Zumindest ist das der Plan, der dennoch nicht ganz ausgefochten scheint, schließlich berufen sich Videoplattformen darauf, dass sie nur Distributionsmedium sind und entsprechend nicht für den Inhalt verantwortlich. Der Streit wird sicherlich noch einige Hürden nehmen müssen, bis ein Kompromiss zwischen länderübergreifendem Zugang und Entlohnung vereinbart ist. Letztlich befeuern die Verbreitungsmechanismen der Plattformen, die Möglichkeiten zur Einbindung in soziale Netzwerke und die generelle Verfügbarkeit von Musikvideos sich gegenseitig hinsichtlich ihrer Popularität.

Was sich an diesem bizarren Hin- und Her jedoch zeigt: Musikvideos sind weiterhin wichtig; da braucht es nicht einmal das Fernsehen. Das Internet eröffnet neue Möglichkeiten der Zielgruppenorientierung. Musikvideoplattformen wie tape.tv vermischen Interaktivität mit redaktioneller Auswahl, führende Musikseiten wie Pitchfork oder Stereogum haben längst ihre eigenen Video-Sektionen erstellt. Und wer auf optische und inhaltliche Qualität setzt, der veröffentlicht seine Videos via Vimeo und danach erst auf Youtube.

DIE ZEIT hat jüngst resümiert, das Musikvideo sei lebendiger als je zuvor. Eine Einschätzung, die zwar nicht neu, jedoch weiterhin gültig ist. Durch digitale Schnittprogramme und einfachere Aufnahmemöglichkeiten sind längst keine Millionenbudgets mehr nötig, um visuell überzeugende Ergebnisse zu erzielen. Gerade im Untergrund sind Ästhetik und narrative Werte gefragt, um in der Masse der Videos bestehen zu können. Interaktive Videos wie das letztjährige Google-Streetview-Werk von Arcade Fire zeigen neue Möglichkeiten auf, wobei natürlich weiterhin die überwiegende Mehrheit abgeschlossene Kurzfilme dreht, die Interventionen ausschließen. Über 100 von ihnen sind derzeit (und bis Juli) im Kölner Museum für angewandte Kunst zu sehen, das die Trennung zwischen Musik, Kunst, Film und Perfomance in dieser Ausstellung aufhebt. Fotokünstler wie Pipilotti Rist oder Wolfgang Tillmanns treffen dort auf Klassiker des Musikvideos von Michel Gondry und John Landis. Die Gratwanderung zwischen Handwerk und Kunst, die Anbindung und Überformung von Bildern wird dort ebenso thematisiert wie das Spiel mit eigenen Erinnerungen und der soziokulturelle Eingebundenheit ins System des Pop.

Jetzt präsentieren wir euch Musikvideos zwischen künstlerischer Ambition, spannenden Geschichten und schlichter Schönheit. Mal dramatisch, mal persönlich oder witzig. Hier kommen unsere fünfzehn Lieblingscuts 2011. Bisher.

Platz 15 | The Chap – We’ll See You To Your Breakdown

Platz 14 | Colourmusic – You For Leaving Me

Platz 13 | Moullinex – Catalina

Platz 12 | Ke$ha – Blow

Platz 11 | Yelle – Safari Disco Club

Platz 10 | De Jeugd Van Tegenwoordig – Elektrotechnique

Platz 09 | Jogger – Nephicide

Platz 08 | Cançó De L’alba – Bedroom

Platz 07| Wolf + Lamb – Lonely C



Platz 06 | Eskmo – We Got More

Platz 05 | Klakomaniak – Sports Champion

Platz 04 | Manchester Orchestra – Simple Math

Platz 03| Woodkid – Iron

Platz 02 | Tune-Yards – Bizness

Platz 01 | Spoek Mathambo – Control

Ein Kommentar zu “Videomania: Musik ins Auge”

  1. Markus sagt:

    Die oben gelistete Auswahl war natürlich schwer zu treffen. Wer noch mehr tolle Videos sehen will, probiert mal diese hier:

    Bart Constant – Do Better
    Destroyer – Kaputt
    Dream Cop – Marooned
    Esben & The Witch – Warpath
    K-Holes – Short Zippers
    Keaton Henson – Charon
    Lord Huron – The Stranger
    Times New Viking – No Room To Live
    Void Camp – Dead Bodies
    World Order – Machine Civilization

    Was sind eure Musikvideo-Favoriten der letzten Wochen?

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