Devotchka100 Lovers

Dass neue Folk- und Countrymusikanten gerade wie Pilze aus dem Boden schießen, ist sicherlich kein Geheimnis mehr und wurde auch hier bereits ausführlich thematisiert. Schwer wird’s dann für die arrivierteren Bands und Künstler, im eh schon hart umkämpften Segment ihre eigene Nische zu finden. Andere Klangfarben werden gesucht, Kollaborationen gewagt und der eine oder andere Soloausflug veranstaltet. Und doch: Devotchka bleiben auf ihrem neuem Album ihrem mit osteuropäischer Folklore und Mariachiklängen gespicktem Sehnsuchtsfolk treu.

„How It Ends“ ist immer noch im Ohr. Diese unwiderstehlich, elegische Stimmung, die mit der Verwendung im Film „Little Miss Sunshine“ und aktuell als Untermalung zahlreicher Werbefilme und Vorabendserien „The Blower’s Daughter“ von Damien Rice den Thron um das wirksamste Jingle für Sehnsuchtsmomente streitig macht, bleibt einfach immer noch haften. Das Folgealbum „A Mad & Faithful Telling“ schlug in ähnliche Kerben und auch das aktuelle Werk erweckt beim ersten Hören nicht den Eindruck, als hätten sich Nick Urata und seine Bandkollegen vom Grundsound zwischen Balkanfolk und Tex-Mex-Country gelöst.

„100 Lovers“ ist dennoch, wenn auch nur behutsam, anders geworden. So sind die häufig ellenlangen Instrumentalpassagen in den Stücken selbst nahezu vollends auf zwei Interludes ausgewichen. Lediglich das Abschlussstück „Sunshine“ zieht hier alle Register und bleibt völlig ohne Gesang. Allerorten zerren dort Streicher und dunkle Blechbläser an dem nahezu fünfminütigen Schlussakkord, der trotz allem nicht die Form verliert und das Album behutsam ausklingen lässt.

Streicher sowie sanfte Percussion bilden auch den Auftakt in „The Alley“ und somit den gebührenden Rahmen. Die wehmütige Stimme Uratas wird wie so oft in einen langsam vorantreibenden Klangraum gebettet, bei dem nie sicher ist, wann er sich denn nun zum absoluten Höhepunkt hin ausstreckt. Fehlende Fokussierung ist aber auch das Einzige was „100 Lovers“ wirklich vorzuhalten ist, denn ansonsten werden mit nervösem Pianopop („All The Sand In All The Sea“), ruhigem Geigenfolk („100 Other Lovers“) und hibbeligen weltmusikalischen Anspielungen von Banda-Handclaps bis hin zu atonalem Streichergezupfe viele typische Spielereien ausgereizt. Nicht dass damit der gesamte Schaffenskosmos ausgeschöpft wäre, ohne Akkordeon, Pfeifen jeglicher Art und Percussion jedweder Couleur geht bei Devotchka schließlich gar nichts. Die gerne auch mal genuschelten Worte Uratas müssen eben immer wieder aufs Neue eingefangen werden und mit dem offensichtlichen Hit „Exhaustible“ ist auch ein adäquater Werbenachfolger für „How It Ends“ gefunden. Dessen fröhliche Pfeifmelodie ist dann doch zu eingängig, um nicht kurzfristig Verwendung für visuelle Produktinformationen zu finden.

„100 Lovers“ ist erstaunlich kurzweilig geworden, auch wenn sich das Klangbild nicht vollends von dem der früheren Werke gelöst hat. Frei nach dem wohlbekannten Schokoladenbrotaufstrich lässt sich auch beim aktuellen Album erkennen: Nur wo Devotchka drauf steht, ist auch Devotchka drin.

71

Label: Anti

Referenzen: Beirut, Botanica, Andrew Bird, A Hawk And A Hacksaw, Poems For Laila, Firewater, The Decemberists, Calexico

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VÖ: 25.02.2011

2 Kommentare zu “Rezension: Devotchka – 100 Lovers”

  1. it's been a long winter sagt:

    Genau das verspielte und aufbrausende Bald-ist-Frühling-Album, welches man dann doch immer wieder gerne hört, vor allem wenn die Sonne scheint. Also etwas, was man gerne von der neuen Decemberists erwatet hätte, die aber nun eh überflüssig ist, wo doch auf „100 Lovers“ sogar wunderschön gepfiffen wird.

  2. Carl sagt:

    Jawohl, so ungefähr hatte ich mir das auch gedacht, wobei ich beiden Alben eine „Bald-Ist-Frühling“-Stimmung attestiere.

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