OriolNight And Day

Nach dem Drücken der Tastenreihenfolge 2-0-0-1 an der Heckseite der Zeitmaschine geht alles ganz schnell. Die Welt schlürft wieder ihren Cappuccino an den nun überall aufkeimenden Kaffeebars, die ganze Welt scheint mit kreischend bunten Mustertapeten zugepflastert, Retro-Shops verkaufen wie blöd verwegene Plüschi-Lampen und jeglich erdenkliches Accessoire, was auch die heimische Wohnstätte in ein moussierendes Schmock-Art-Ambiente verwandelt. Nostalgisches Styling ist der ganz große Coup, bei dem sich die Elterngeneration verwundert die Augen reibt, denn auf einmal sind lange Koteletten, funky Pornobrillen und futuristisch silberglänzende Outfits angesagt wie seit ihrer Jugend in den den 70er Jahren nicht mehr. So war das in 2001. Dazu durfte der passende Vintage-Klangteppich natürlich nicht fehlen: Rare Grooves, Down- und Breakbeat sorgten nicht nur in der geschmackvollen Funk-Variante für ein süffiges und zappeliges Comeback, besonders die degenerierte Chillout-Version nahm schnell überhand, was man an der Unzahl an kruden und mit einer verachtenswerten Hast zusammengestellten „Cafe-Del-Mar-Soundalike“-Kompilationen abzählen kann, die immer noch heutzutage in den Ramschkästen der großen Elektrofachmärkte wundliegen.

Knapp zehn Jahre später könnten NuJazz, funky House und nostalgisierende Soulklänge aus den frühen 80ern nicht unattraktiver erscheinen. „Sexy Elevator Music“ ist längst kein Kult mehr und Easy Listening eine musikalische Brache. Jegliche Wiederbelebungsversuche mit Starkstrom vermögen vielleicht noch ein vereinzeltes jämmerliches Zucken auszulösen, bevor der Patient dann doch unwiderruflich für tot erklärt wird. Entsprechend ist das, was der in England lebende Spanier Oriol versucht, eine mehr als wagemutige Aktion – denn sein Debütalbum „Night And Day“ ist eine Adaption eben dieser loungigen Musik, deren Aktualisierungsmerkmale zunächst einmal subtil, wenn nicht fast unhörbar beim flüchtigen Vorbeihören auftauchen. Überhaupt sind die Songs in ihrer Formung bar jeglichen Widerhaken eher ein großes, weiches Sprungtuch: Der funky Subtext, die warmen Beats und die Gradlinigkeit in den Arrangements, die die Bläser und synthetischen Keyboardflächen umschmeicheln und zu einer Melange aus sommergebräunten Beats und entspannten Atmosphären auffächern. Eine Wohlfühlmischung. Früher hätte man vielleicht auch gesagt: Eine Musiktapete, die den Ansprüchen an eine Lokalradio-Playliste genügt: Es wird das gespielt, was die wenigsten Leute stört. Und damit liegt man nicht unbedingt falsch, denn Songs wie „Night And Day“ oder „JoyFM“ mit ihrem  Flair aus Sandstrand und retrofuturistischem House sind mit ihrem Intensitätsgrad nicht gerade auffällig.

Aber es ist auch nicht so, dass Oriols Album bloß versonnene Harmlosigkeit ist. Hier wird clever musiziert, im Wissen um die Soundtracks von 80er-Jahre-Krimiserien, um die wahre Coolness shakernder Ladies in 70er-Jahre-Filme, um Funk, Soul, Tropical, Fusion bis hin zur Schlichtheit von Detroit House und aktuellen Tendenzen im (Post-)Dubstep. Die jedoch sind eher spärlich gesät und lassen nur ein paar dumpfe Beats verrücken. Viel eher ist die Strenge und Schlichtheit früher House-Musik präsent. „Memories“ erinnert beispielsweise an die Kühle von „Star Guitar“ der Chemical Brothers, um einen konkreten Anhaltspunkt zu geben, der aber direkt von den warmen Rhodes und der vitalen Urbanität der Zusätze konterkariert wird, die hier gleichermaßen die Basis bilden und Night & Day“ ein wunderbares, fast analoges Flair atmen lassen, obgleich dieses Werk durchweg ein „digital native“ ist. Dabei sind es nicht die Einzelsongs, die hier herausstechen, sondern die Homogenität des Albums, die durchaus zu begeistern vermag. Natürlich nur wenn man sich diesem hemmungslosen Anachronismus konsequent hingibt und ein offenes Ohr für  ein Patchwork zurückhaltender Easy-Listening-Musik hat, das die Wärme von blutorange aufgeplusterten Sonnenbällen kurz vor dem Untergang abstrahlt. Denn nur dann ist Oriols Platte ein leichtgängiger musikalischer Sommertraum und kein pseudo-antiquarischer Sonderfall. Ein schimmernder Traum im Wachzustand.

78

Label: Planet Mu

Referenzen: Funkadelic, Kruder & Dorfmeister, Derrick May, Alex Cortiz, Slope, Ralph Myerz, Kyle Hall, Plej, Sepalcure, NuJazz, Cafe Del Mar

Links: Planet Mu, MySpace

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