Die attraktive und offene Erscheinung des 26-jährigen Mike Handreas a.k.a. Perfume Genius aus Seattle mag nicht den Eindruck erwecken, er gehöre in die Riege der sensiblen Trauerklöße um Elliott Smith, die mit brüchiger Stimme herzerweichend ihre Leiden besingen, doch auch hier haben wir es mit einem jungen Mann zu tun, der einen Kampf gegen seine inneren Dämonen führt und diese Schlacht auf den zehn vorliegenden Demos seines Debüts „Learning“ festhält. Entsprechend intim wird das Album, während es sich auch eine gewisse verschleiernde Kryptik bewahrt.

In „Mr. Petersen“ erzählt Hadreas von einer sexuellen Beziehung zu einem Lehrer, die in einer Tragödie endet. Seine Zeilen sind ebenso von tiefer Traurigkeit wie einem morbiden Sinn für Humor getränkt: „He made me a tape of Joy Division. He told there was a part of him missing. When I was sixteen, he jumped off a building“.  In diesen Momenten hat Hadreas seine ganz eigene Nische zwischen den introvertierten Singer/Songwritern gefunden.

Dem Titel entsprechend und in chronologischer Reihenfolge sequenziert, hält „Learning“ Hadreas‘ Reifeprozess fest, nicht nur als Musiker – man vergleiche die nackte Instrumentierung des Albumauftakts mit dem schönen „Perry“ zum Schluss, das in einem technisch anspruchsvollen Noise-Outro versinkt -, sondern auch als Mensch. Bleibt Hadreas zu Beginn nur sein schwarzer Humor, um sich gegen seine Coming-Of-Age-Depression zur Wehr zu setzen, ist zum Schluss Licht am Ende des Tunnels zu erkennen.

Durch alle 10 Songs hindurch gelingt es Perfume Genius mehr oder weniger – der Beginn der zweiten Albumhälfte hängt ein wenig durch – eine zutiefst melancholische und doch immer wieder hoffnungsvolle Atmosphäre zu erschaffen. Simple Piano-Melodien, transzendentale Synthie-Streicher-Teppiche und Hadreas‘ echoende und gedämpfte Stimme, als würde sie aus dem Jenseits zu uns singen, beschwören teils bizarre Traumlandschaften, die den Zuhörer in einlullende Melancholie betten. Den Höhepunkt seines bisherigen Schaffens erreicht Mike Hadreas mit „Gay Angels“, kein Song im herkömmlichen Sinne, mehr eine sakral anmutende Stimmungsskizze, die zum Schluss herzerweichend „It’s ok“ ins Ohr flüstert – berührender kann Katharsis kaum klingen. Dieser wie einige andere Songs auf „Learning“ sind dazu prädestiniert, Tränenkanäle zu fluten.

Man kann sich aber auch einfach in ihnen einmümmeln und dann selig wegschlummern. Das ist der Nachteil dieses extrem introvertierten Albums, das dem Zuhörer kaum prägnante Melodien, klare Songstrukturen, Spannungsaufbau oder Abweichungen in Stimmung oder Instrumentierung mit an die Hand gibt. Die melancholische Gleichförmigkeit von „Learning“ lässt das alles andere als variantenreiche Debüt von Hadreas‘ Kumpel ChrisGarneau geradezu abenteuerlich dastehen. Zugutehalten muss man ihm allerdings, dass man es hier mit Demos zu tun hat, die womöglich nie dazu bestimmt waren, gemeinsam auf einem Album zu landen. Wenn er nun weiß, dass er mit dem Albumformat arbeitet, wird er es beim nächsten Anlauf womöglich aufregender nutzen können. Potenzial ist mehr als genug vorhanden.

65

Label: Turnstile

Referenzen: Chris Garneau, Elliott Smith, Xiu Xiu, Nick Drake, Scott Matthew, Antony & the Johnsons, Cat Power

Links: MySpace

VÖ: 25.06.2010

2 Kommentare zu “Rezension: Perfume Genius – Learning”

  1. Lordy Drug sagt:

    Ja, Potential ist definitiv vorhanden, allein „Look Out, Look Out“ ist ziemlich einnehmend.

  2. […] wanken, aber auf eine romantische und unsagbar zärtliche Art zutiefst ehrlich wirken. Was beim Vorgänger noch etwas rau und provisorisch wirkt, wurde hier raffiniert ausproduziert – man erinnert sich […]

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