Wesentlich ausgeruhter – und mit einem im Verlauf des Tages wirklich hervorragenden Sommerwetter  – starten wir in den Samstag. Das Frühstück, welches man sich per Bon und einem fairen Preis von 3 Euro abholen kann, besteht aus einem liebevoll zusammengestellten Lunchpaket und wahlweise Tee oder Kaffee dazu. Auch hier gilt wieder: Sehr hilfsbereites Personal und – entgegen der Vorurteile – ohne Mühe multilingual kommunizierend. Wenn einem soviel Gutes seitens der Gastgeber widerfährt, möchte man sich natürlich auch erkenntlich zeigen und einer Pariser Band namens Molecule seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit widmen. Eine absolut richtige Entscheidung wie sich herausstellt: Der Mix aus Dub und Rock kann wirklich überzeugen und ist jedenfalls Fans des Genres wärmstens zu empfehlen.

Das Konzert findet übrigens in einer zeltähnlichen Konstruktion statt, in deren Mitte sich eine Disokugel befindet. Macht zwar keinen wirklichen Sinn, schöner als das „Rock am Ring Beton-Areal“ ist es trotzdem allemal. Aber an so etwas möchte man sich ja auch nicht an einem schönen Pariser Samstag im Spätsommer erinnern. So geht´s direkt weiter zum  (noch) fröhlichen Bandhopping von Jamie Lidell, der sich allerdings als äußerst nervtötend in seinem enervierend verunglückten Stilmix aus Soul, Pop und Free Jazz erweist. Viel gewollt und letztendlich nichts erreicht, wäre er wohl auf schummrigen Retro-Partys besser aufgehoben, aber den meisten scheint es zu gefallen, was ja eigentlich aus Sicht der Veranstalter die Hauptsache ist.

Auf der gleichen Bühne betreten ein paar bleiche Totgeglaubte die Bühne. Hand auf`s Herz: Erinnert sich noch wirklich jemand an die John Spencer Blues Explosion ? Die Band um den ehemaligen Schönling John Spencer war mal in der Mitte der Neunziger ein ganz heißes Indie-Ding, in deren Videos Stars wie Wyonda Ryder mitspielten. Seitdem ist im Noise Sektor nicht allzu viel passiert, aber seit einiger Zeit wird das Genre ja durch Bands wie No Age wiederbelebt und zumindest die Franzosen scheinen nicht so vergesslich wie der Rest Europas zu sein, denn während in Resteuropa die John Spencer Blues Explosion wieder zum Geheimtip oder zur Kultband avanciert, spielt man hier vor einer recht beeindrucken großen Kulisse von geschätzten 20.000 Zuschauern. Ein Geheimtipp sind die auf der Haupttribüne spielenden Roots dann zum Glück nicht und führen gewohnt souverän bis mitreißend durch mittlerweile schon beeindruckende qualitative Sammlung an feinen Indiehits wie „The Seed“. Würde man Hip Hop an der Leistung der Roots beurteilen, keinem würde der Gedanke kommen in den momentanen Grabesgesang mit einzustimmen.

Noch auf „Wolke Sieben“ schwebend und voller Endorphine, erkundigt man sich nach neusten Infos über Amys Gesundheitszustand. Es solle alles in bester Ordnung sein, was die ohnehin schon nicht niedrige Erwartungshaltung – wider besseren Wissens – hebt und fiebrig auf das Finale einstimmt. Die Raconteurs beginnen schließlich den „Headliner Reigen“ auf der großen Bühne, und agieren dabei nicht sonderlich spektakulär, dafür mit White Stripes Sänger Jack „Ich habe da jetzt so einen Stadionhit“ White als Anhang. Kann man alles ganz toll finden, muss man aber nicht wirklich.

Nach anfänglichem „Mitwippen heißt“ es dann auch schnell einen guten Platz bei Justice ergattern, die hier ja in Paris ihr Heimspiel haben und evtl. die oder andere Überraschung im Ärmel haben. Noch während der Aufbauphase malt man sich schon aus, ob nicht sogar noch der ein oder andere Ed Banger Star wie Uffie auftaucht. Oder vielleicht sogar die French House Überväter Daft Punk, die damit den Gerüchten ein Ende bereiten könnten, ein- und dieselbe Band wie Justice zu sein. Doch leider verzögert sich der Auftritt Minute um Minute, die Pfiffe werden dafür lauter und man selber immer nervöser. Nach knapp 30 Minuten ist meine Geduld am Ende und ich kämpfe mich aus der dicht gedrängelten Menge rüber zu Amy Winehouse. Werde ich das seltene Glück haben die Ausnahmekünstlerin einmal live zu erleben ? Je näher ich letztendlich der Bühne komme umso deutlicher steht dort die Antwort auf einer großen Videoleinwand:

Auch wenn ein jeder es doch ahnte, es machte sich Enttäuschung breit. Allerdings auch schnell Sarkasmus und so richtig sauer wirkt keiner, zu klar war die Vermutung, auch hier mal wieder buchstäblich in die Röhre zu schauen. So steigen Justice auf der Nebenbühne zu dem eigentlichen Headliner auf und müssen sich dort erstmal über technischen Pannen ärgern. Der Auftritt macht klar, Justice sind längst nicht mehr der heiße Geheimtipp in Szenekreisen, sondern mittlerweile groß, und zwar richtig groß. Leider verpufft der Underground-Charme auch in einem so großen Umfeld, zu routiniert und bekannt das aufleuchtende Neonkreuz und das Knöpfchen-drehen hinter den Pulten. Weder die Ed Banger Crew noch sonst wer sorgt für einen Überraschungsmoment, der Justice an dem Abend legendär gemacht hätte. Es war ein guter Auftritt, aber so langsam müsste was Neues kommen.

Als Abschluss dann Mike Skinner, der überraschend fit aussieht. Die Zeiten von Bierwampe und Lad-Outfit sind zum Glück vorbei und Skinner und seine Band äußerst agil unterwegs, immer wieder präsentiert er stolz seinen neuerdings durchtrainierten Body und es wird nach feinster schwarzhumoriger englischer Art des Öfteren „Rehab“ angestimmt, sowie immer wieder kleine Speerspitzen in Richtung der Rekonvaleszentin. Nicht sehr fein, aber gut gegen den Frust allemal. Der Auftritt gehört zu den besseren unter den bereits gesehenen Streets-Gigs und überzeugt mit klarem und gutem Sound. Der Meister persönlich lässt sich dann auch ausgiebig feiern und freut sich über die angereiste Fanschar aus England, die unverständlicherweise nicht die Englandflagge präsentieren darf. Bei landesfremden Patriotismus scheint die Schmerzgrenze der Franzosen überschritten zu sein.

Nach dem nicht ganz so spektakulären Abschluss, der sich auf ein lapidares „See you next year“ beschränkt, drängt es einen nur noch (altersbedingt?) zurück in die Zelte, dummerweise lässt einen der hiesige Campingplatz-DJ keine größere Möglichkeit zu schlafen. Und hätte ich schon zu dem Zeitpunkt gewusst, dass sich ein achtbeiniges Raubtier tagsüber in unser Zelt geschlichen hat, wäre die Nacht eh gelaufen gewesen. Auf jeden Fall habe ich dieses kleine hochsympathische Rockfestival an der Seine schon beim ersten Mal direkt in mein Herz geschlossen und wenn der Veranstalter weiterhin den Fokus so charmant auf das Wesentliche legt und nächstes Jahr wieder solch ein erstklassiges Line Up in angenehmer Atmosphäre auf die Reihe bringt, habe ich hier wohl mein neues Lieblingsfestival gefunden. Oui, je t`aime !

2 Kommentare zu “Auf Touren: Rock en Seine 2008 – Teil 2”

  1. Anna sagt:

    schööön, trifft es tatsächlich richtig gut! so gut geschrieben wie teil I und leicht und lustig zu lesen!
    du armer, die spinne haste immer noch nicht verkraftet xD bis zum nächsten jahr kriegste das hin, gell ;-)

  2. *wie vereinbart 10 € rüberreich* ja danke für den netten kommentar :)

    ..mooooooooment, dem raubtier habe ich es aber gegeben !! das schlummert nun selig im siebten kreis der hölle und erzählt allen von meinem heroischen kampf.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum