All We Love We Leave Behind (II)Von Botanikern und Brachialen

So schnell kann es gehen: Diese kleine Metal-Kolumne, bei der es nicht zwingend um Tagesaktualität geht, geht schon in die zweite Runde. Das ist sicher auch dem Schreiberling geschuldet, der sich seinen Zwangsaufenthalt im rasenden Blechsarg mit lieblich frohlockenden Melodien und süßlichen Elfenelegien versüßt, um so die ganzen anderen Hirntoten zu vergessen, die ihn in der automobilen Welt umgeben.
Apropos Elfen, da muss man – Klischee hin oder her – derzeit in diesem Klangkosmos gleich an Myrkur und deren gleichnamige, tolle EP für Relapse denken und die Geheimniskrämerei, die sie zu Anfang umgebab. Klar, irgendwas musste faul sein, wenn jemand aus dem Nichts Musik beim Metalgiganten veröffentlicht, ohne vorher anderswo aufgetaucht zu sein. Kein Facebook, Twitter, nicht mal irgendein obskures BM-Blog wusste irgendwas oder hatte schon mal einer Performance in ihrer angeblichen Heimat des „tiefsten Skandinavien“ beigewohnt, so schossen die Gerüchte ins Feld, wer oder was dahinter stecken könnte. Und was für ein Aufschrei gellte aus den geschundenen Kehlen der „Trueheads“, als sich herausstellte, dass sich hinter Myrkur eine junge gebürtige Dänin verbarg, die als Model in New York arbeitet und – Achtung, höchste Stufe der Blasphemie – außerdem bei dem Indierock-Duo Ex-Cops mitmischt. Ja wo bleibt denn da bitte die Authentizität, das Waldschratige?
Damit ich hier nicht Gefahr laufe, jetzt auch komplett mein Gesicht zu verlieren, beginnt der Schlag in die Magengrube diesmal mit den in dieser Beziehung (Authentizität) unverdächtigen US-Black-Metal-Veteranen von Krieg. In wechselnden Besetzungen mischen sie seit 1995 in der Szene mit und gelten beinahe als Ahnen, als einer der Motoren des Genres in den USA. „Transient“ ist ihr erstes Lebenszeichen seit vier Jahren – und was für eins! Krieg halten ihren Sound extrem elastisch und dreckig, spielen auch mal mit Death-, Hardcore- und Punk-Versatzstücken und legen eine Direktheit an den Tag, die so auch im auf Direktheit angelegten Feld des Black Metal nicht alltäglich ist. Und diese Direktheit ist es auch, die mich an „Transient“ am meisten begeistert. Das Album strömt einen Gefühl des live Eingespielten ohne viel Postproduktion im Studio aus, haut einem angenehm links und rechts einen runter und wird im Verlauf immer und immer besser. Einen besseren und launigeren Einstieg kann man in diese kleine Reise in den Abgrund kaum finden.
Weiter geht’s mit den crustigen Black-Metal-Hardcorelern von ANCST, die wie Sun Worship aus der letzten Runde aus dem beschaulich-verschlafenen Berlin kommen. „In Turmoil“ ist strenggenommen eine Kompilation von Songs, die bereits irgendwo auf Splits, Tapes, Demos etc. veröffentlicht wurden. Die Jungs, die sich explizit als antifaschistisch und antisexistisch verstehen, versammeln hiermit 13 Songs auf einem Langspieler, die sonst restlos vergriffen wären und die nichts von ihrer Schärfe und alles zerstäubenden Wirkung eingebüßt haben. Und so schleudern sie uns massive Brocken dunkler Materie um die Ohren, dabei sind 6:30 Minuten das Maximum an epischer Breite, was geboten wird. Der Rest sind krustige Zweieinhalb-Minuten-Schrapnelle, die eigentlich kaum Zeit zum Verschnaufen lassen und dennoch immer wieder Ruhe finden. Die gesamte Produktion ist zudem, selbst bei den Demos, erstaunlich fett, dicht und fokussiert. „In Turmoil“ ist eine fantastische Veröffentlichung und ein weiteres Highlight in diesem an Highlights nicht gerade raren (Post-)(Black-)Metaljahr. Man kann den Machern von Vendetta, die uns jüngst schon mit Thou beglückt haben und die auch noch den Plattenladen Bis Aufs Messer betreiben, nicht genug dankbar sein, diese Musik wieder zugänglich gemacht zu haben.
„Mass & Volume“ ist ebenfalls eine Wiederveröffentlichung – oder um genauer zu sein, veröffentlicht Relapse „Mass & Volume“ erstmals in physischer Form als Vinyl oder Plastik, denn bisher waren die beiden Songs darauf nur digital zu haben. Die Grindcore-Veteranen aus Alexandria in Virginia haben hier ihre Vision des Doom eingespielt, die es in sich hat. Der Titelsong „Mass & Volume“ nimmt sich fast 20 Minuten Zeit zur Entwicklung. Jede Note und jeder Ton bekommen den Raum, der ihnen zusteht und nicht ein Ton zu viel wird gespielt, absolut nichts ist Zierrat und alles auf maximale Effizienz und Wirkung ausgerichtet. Dabei agieren Pig Destroyer in einer Klangästhetik, die näher an „Ozma“-Melvins denn an zeitgenössischem Doom à la Thou ist. Das hier ist heavy shit im beinahe klassischen Sinne.
Nach beinahe stehenden Tönen kommen wir nun zu Numenorean aus Calgary. Der erste Song ihres Demo-Debüts heißt „Let Me In“, so wie auch die US-Adaption eines der besten Vampirfilme der letzten Jahre: Tomas Alfredsons „Låt Den Rätte Komma In“ („So Finster Die Nacht“) aus 2008. An dessen Dramaturgie zwischen fast meditativen Ruhepassagen, durchkomponierten Bildern und sinisteren, aber nie plakativ gewalttätigen Ausbrüchen, die in ihrer gesamten Darbietung tief unter die Haut gehen und lange dort verbleiben, erinnert mich dieser nahezu perfekt ausbalancierte Song. Nach der intensiven Erfahrung, die Numenorean in gerade mal acht Minuten evozieren, erwartet man, dass der andere der beiden Songs im Anschluss ein wenig verblassen muss. Aber weit gefehlt, auch „Follow The Sun“ fesselt und wartet mit einer Wendung auf, bei der selbst im Black Metal die Sonne aufgeht. Die Vorfreuden auf das hoffentlich bald kommende Album sind jedenfalls in höchste Höhen geschraubt und man darf auf die Zukunft mehr als gespannt sein. Diese zwei Songs sind sowieso schlicht Pflicht.
In wohl kaum einem Genre außerhalb der elektronischen Musik gib es so viele Ein-Mann-Bands (oder Eine-Frau-Bands, siehe zum Beispiel Myrkur) und Pseudonyme wie im Black Metal. Das hängt natürlich mit der Mystifizierung des Genres auch seitens seiner Musikschaffenden zusammen, die an sich Nichts sind und hinter ihrem Werk verschwinden (auch diese Prämisse fand sich mal in der elektronischen Musik) und mit dem tollen Klischee, dass der Black-Metal-Musiker gefälligst allein in einer Blockhütte im Wald zu hausen hat. Dort, wo er seine Nahrung mit den bloßen Zähnen schlägt und sich ansonsten nur von Fliegenpilzen ernährt, die ihn in die magische Welt und den Dialog mit den Alten entführen. Sivyj Yar ist ein solches Ein-Mann-Projekt aus der ländlichen Umgebung von Sankt Petersburg. Seine Inspiration zieht er anscheinend aus paganen Ideen und slawischer Mythologie, die Informationen sind spärlich und die Texte, vorgetragen in Russisch und Black-Metal-typisch eher gleichberechtigt in die Musik eingebettet, entziehen sich auch meiner Deutung. Dabei wirkt der Gesang in weiten Teilen eher verzweifelt als aggressiv. Die Gitarren dürfen auch schon mal schweinigeln, ohne dass sich das irgendwie auf die Stimmung auswirken würde, vielmehr wird hier – und auch das ist nicht mehr zwingend nötig – eine Verbindung zum klassischen Heavy Metal hergestellt. Aber was noch toller ist, ist dass der Bass öfter mal die Führung übernehmen darf. Musikalisch zählt „From The Dead Villages‘ Darkness“ mit Sicherheit zum Besten, was atmosphärischer Black Metal dieses Jahr zu bieten hat: Melodie geladen, melancholisch, verrauscht depressiv, akustisch, mit Streichern, treibend, erhaben, folkig und zu alledem perfekt auf den Punkt gebracht. Ich sehe Sivyj Yar noch weit vor dem hochgelobten Panopticon und seinem „Roads To The North“, dessen Americana-Einfluss über das Bluegrass-Stück mir dann doch zu sehr mit der Brechstange eingefädelt schien.
Und nun zu etwas ganz anderem: Dreh dich nicht um, der Flenser, der geht um!! Wer glaubt, die ehemalige Hippiemetropole San Francisco habe derzeit nur weltklassig psychedelischen Garagefuzz im Angebot, hat die Rechnung ohne The Flenser gemacht. Das Label feuert uns dieses Jahr eine Kaskade von Musik um die Ohren, die auf jegliche Einsortierung pfeift und dessen bekannteste Vertreter hierzulande wohl Have A Nice Life und Wreck & Reference sind. Ich möchte hier noch zwei weitere entdeckungswürdige Kandidaten vorstellen, das Experimental-Duo Mamaleek und Botanist. Mamaleek ist den spärlichen Informationen zufolge ein Bruderduo, das von der US-Westküsten-Bay und Beirut aus seine streckenweise schwerverdauliche, aber niemals vollends überfordernde Version von dunkel getränkten Irgendwas in die Welt entlässt. Die Einflüsse, die die Beiden dabei verarbeiten, reichen über Noise, Dark Wave und Industrial bis eben zum Black Metal, der vor allem in der Vocalperformance seinen Niederschlag findet. Wie die Aufzählung schon vermuten lässt, kommt hier ein großer Anteil von elektronischer Klangerzeugung und -bearbeitung zu tragen – nicht ganz unanstrengend, aber jeden Versuch und jede Minute wert. Botanist wiederum präsentiert sich als fünfköpfiges Musikerkollektiv mit diversen Mitgliedern, auf „VI: Flora“ spielt aber nur Drummer Otrebor und so gibt es hier auch keine Gitarren zu hören, stattdessen hämmert er Dulcimersaiten mit seinen Trommelstöcken. Der Effekt ist beeindruckend und wenn als Texte dann auch noch hauptsächlich Auszüge aus botanischen Beschreibungen rezitiert werden, wirkt das nur anfänglich skurril. Denn im Grunde genommen wird hier nur die Naturmystifizierung, die dem Black Metal immanent ist, auf die Spitze getrieben. Wiederholt mit einem faszinierenden Resultat, setzen diese kurzen Passagen – teilweise nur Wörter – und minimale Ergänzungen einiges an Assoziationsketten und -möglichkeiten in Gang, die viel Spielraum für Interpretationen bieten. Sehr schön und durchaus eine willkommene Ergänzung zum üblichen Black-Metal-Themenkanon.
Zum Schluss noch eine Sampler-Empfehlun: Die Black Metal Alliance hat sich die Förderung gleicher Rechte für alle Lebewesen auf die Fahnen geschrieben. „Crushing Intolerance Volume 1“ vereint zu diesem Zwecks Songs von 16 Bands und kann bei Bandcamp auf der Basis von zahl-was-du-willst (ohne Mindestbetrag) heruntergeladen werden. Dabei reicht das musikalische Spektrum von brutalen Noiseattacken bis zu epischen Monstern, die bekanntesten vertretenen Bands sind wohl ANCST, Unru und Smuteční Slavnost. Wie gesagt ist das Ganze für lau, aber ihr solltet schon etwas spenden, denn die Kohle geht an die Organisation Women On Waves, die sich für Frauenrechte, selbstbestimmten sicheren Sex und insbesondere (so viel Twist muss wohl sein) für sichere Abtreibungen einsetzt, vor allem in Ländern, wo diese verboten sind.
Und während ich all dies hier schreibe, hat Flenser – zumindest digital – auch noch Have A Nice Lifes längst vergriffenes Debüt „Deathconsciousness“ von 2008 wiederveröffentlicht. Natürlich auch dringend anzutesten und wärmstens empfohlen.
Endlich geht’s hier mal weiter :). Mal wieder ein äusserst lesenswerte Beitrag, Mark-Oliver!
…auch wenn man über eine Band wie „Krieg“ sicher streiten kann – Allein schon weil sie früher mal Platten auf dem NSBM-Label „No Color REcords“ veröffentlicht haben. Da ist mir z.B. „Ancst“ mit ihrem unmissverständlichen „Anti-fascist, Anti-sexist…“-Aufruf gleich wesentlich lieber und sympathischer.
Aktuelle Black Metal-Platten die man sich mMn auch mal noch anhören sollte:
– Sedna (http://sednablack.bandcamp.com/album/sedna)
Großartige Band aus Italien und mein persönliches BM-Album des Jahres.
– Thantifaxath (http://darkdescentrecords.bandcamp.com/album/sacred-white-noise)
Kommt in meiner BM-Jahresliste knapp auf den zweiten Platz. Jeder der die Letze „Altar of Plagues“ mochte, sollte hier mal reinhören.
– Und das Debut von Alraune fand ich auch recht stark (http://alraune.bandcamp.com/)
…Und neben „Black Metal Alliance“ ist kürzlich noch ein weiterer empfehlenswerter Gratis-BM-Sampler erschienen:
http://thedeathofamodernist.bandcamp.com/album/ritual-vol-1
(U.a. mit Bands wie Unru, Ancst, Sedna, Morphinist, Hexis…)
Pfff, von wegen eingefädelt: Roads To North ist groß!
Aber Danke nochmal für die Erwähnung von Ancst, die hätte ich fast vergessen.