GlasserInteriors
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Label:
Matador / Beggars Group
VÖ:
04.10.2013
Referenzen:
Active Child, Björk, Actress, Cocteau Twins, Fever Ray, Oneohtrix Point Never
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Autor: |
Uli Eulenbruch |
Die Stadt New York muss auf die dorthin gezogene Cameron Mesirow einen überwältigenden Eindruck gemacht haben. Dabei ist Los Angeles, wo sie ihr Debüt aufnahm, alles andere als ein Dorf. Die kalifornische Metropole ist bevölkerungsmäßig die zweitgrößte der USA und erstreckt sich über eine noch weitere Landfläche als ihr Ostküsten-Rivale. „Niemand”, so heißt es, „geht in L.A. zu Fuß.” Manhattan oder Brooklyn sind jedoch auf andere Weise unüberschaubar. Hier türmen sich himmelhohe Bauten auf oder knubbeln sich Menschenmassen auf engem Raum – eine Fülle und Skalierung, die Mesirows zweites Album als Glasser reflektiert.
Glassers idiosynkratischer Pop war schon auf „Ring” statt traditionellem Songwriting von Formen und Strukturen geprägt, die Mesirow aus ihrer Vorstellung in Musik umsetzte. Daran hat sich in Stücken wie „Design“ nur die Fülle und Dichte der einfallsreichen Instrumentierung geändert: 1/32-Hihats tickern über Mesirows kreisendem Falsett, unstetig melodischem Perkussionszucken und satt unterfütterndem Bassanschlag und -dröhnen, im nächsten Moment bilden Letztere eine neue Konstellation zu sporadischem Strophengesang, nur um in spärlicherer Klangkulisse eine Form an der Grenze zur Zerfaserung anzunehmen. Ein wenig erinnert solche Strukturenfaszination an die Collagen eines Daniel Lopatin, doch Mesirows Songs werden nicht bloß über ihre Stimme persönlicher, wenn sie die lüsterne Poesie „Sweet fruit, divide for me/ you come apart easily/ Your drip, full of life/ and I will have you for mine” offenbart.
“Interiors” zieht nicht nur Inspiration aus der Architektur und Raumerfahrung der Großstadt, in ihren Texten versucht Mesirow, die Erfahrung nachzubilden. „The walls have inches/ I’m new in this place, me/ But I know I’ll stay/ Can’t ever get away” singt sie in „Shape”, „There ’s nothing here but walls walls walls walls” noch klaustrophobischer in „Landscape”. Eingerahmt von drei nummerierten Miniaturen namens „Window” sind die geradlinigsten Popsongs des Albums, mit Holzklackern („Keam Theme”) und Vogelzwitschern („Dissect”) oder den Stimmlauten (Schluckauf, Stottern …) im Ladytron-haften „Exposure” erhalten sie jedoch gerade über Kopfhörer eine Plastizität, die sie greifbar von Konventionsware absetzt.
Gefolgt von herabgleitendem Treppenfalsett sieht sich Mesirow „Shackled to a window” in „Dissect”, ein Ausdruck von Frustration, der nach dem Psalter-durchzupften “Window III” und dem sanften Ausatmen „Window II” in den befreit spiellustigen Blechbläsern von „New Year” abebbt. Während „Shape“ das Album mit „I live on a beach“ eröffnet, sich aber davon zurückgezogen hatte („The vastness is too much for me to stand”), findet Glasser in „Divide“ zum Strand zurück. „Meet me on the ocean, only for a momentary kiss” scheint ein Happy Ending zu markieren, es klingt mit „You and I” aus. Doch wo sich Mesirow auf ihrem Debüt schon so fasziniert von Ringen und Unendlichkeit zeigte, ist „Interiors” bemerkenswerterweise mit dem abruptem Abbruch der letzten Streicher so konstruiert, dass „Shape” hieran direkt wieder anschließen könnte. So glanzvoll, wie dieses Album sich mit wiederholtem Abspielen stetig entfaltet, kann man nur zu diesem Teufelskreis raten.