CasperHinterland
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Label:
Four
VÖ:
27.09.2013
Referenzen:
Marteria, Maeckes, Arcade Fire, Get Well Soon, Kraftklub
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Autor: |
Kevin Holtmann |
Casper ist überall: Egal ob Juice, Visions oder Spex, der Ex-Bielefelder vereint die verschiedenen popmusikalischen Lager und spaltet sie zugleich wie wohl kein zweiter. Die einen sehen in ihm einen ehemaligen Rapper, der mittlerweile dreist mit Rockismen hantiert, andere loben ihn für seine Interdisziplinarität. Für sein drittes Album „Hinterland“ gilt das mehr denn je, schließlich tat er sich hierfür mit Get-Well-Soon-Mastermind Konstantin Gropper zusammen und konnte unter anderem auch Chef-Editor Tom Smith verpflichten. Es gibt also viele Gründe, über Casper zu sprechen.
Natürlich ist Benjamin Griffey immer noch genau der heiser rappende Eskapist, als der er sich mit „XOXO“ inszenierte. Sein Ziel ist die Ferne, der Silberstreif am Horizont, der nächste Zug, auf den er als postmoderner Hobo springen kann, um sich wie dereinst Jack Kerouac durch das Land tragen zu lassen. Casper verteufelt und mystifiziert hierbei das kleinstädtische Idyll, will es entflammen und blickt dennoch mit verklärtem Blick zurück auf die Straßen und Gassen der eigenen Adoleszenz. „Im Ascheregen“ legt davon Zeugnis ab, wenn dynamischer Gropper-Bombast auf Caspers charakteristisches Reibeisen trifft. Aber auch die zweite Single „Hinterland“ verzichtet auf typische HipHop-Beats, kommt mit Lagerfeuer-Klampfe daher und erzählt eine Bonnie-und-Clyde-Geschichte, die wie so oft Fernweh und Atemlosigkeit zu einem kleinen Roadmovie verquickt, den man nur peinlich oder grandios finden kann.
Das Patchwork, das Casper gemeinsam mit seiner Band erschafft ist letzten Endes doch ein spannender Entwurf, der ohne Scheuklappen genau dahingeht, wo niemand hinmöchte. Ausverkauf? Anbiederung an einen gewissen Stil, oder gar an eine bestimmte Szene? Casper macht es sich und uns nicht so leicht und es ist ein schmaler Grat, auf dem er wandelt. Er zitiert viel (Slime, Kettcar, Oasis, Die Sterne, Tomte, Wir Sind Helden, Coldplay, sich selbst und noch viele mehr) und offenbart dabei eine ihm innewohnende Freude an Musik, die über die üblichen Kategorisierungen hinausgeht. „Nach Der Demo Ging’s Bergab!“ ist also als ein augenzwinkerndes und dezent selbstironisches Statement über den Robert Fleming in uns allen zu verstehen.
Im novemberlichen „Lux Lisbon“ sprechsingt Casper im fahlen Licht der Straßenlaternen, das Haupt gesenkt, der Regen prasselt auf ihn nieder, Melancholie mischt sich mit Alkohol und bevor es ganz bitter wird, erklingt Tom Smiths Stimme, die seit jeher das ganz große Pathos transportiert. „Ganz Schön Okay“ von und mit den uniformierten Berlin-Verweigerern Kraftklub ist – trotz aller Vorbehalte – schöner Hip-Pop mit simplem Text und eingängiger Melodie, den man auch noch gut zwischen dem neunten und zehnten Sambuca hören kann. Mit „La Rue Morgue“ wiederum platziert sich Griffey irgendwo zwischen der Lyrik von Tom Waits und der Dramatik von Kurt Weill und Bertolt Brecht. Letztendlich offenbart Casper einen Facettenreichtum, der ihm von vielen Kritikern als Unentschlossenheit vorgeworfen wird. Wenn nach dem zappeligen Partysong „Jambalaya“ das nachdenkliche „Endlich Angekommen“ den Vorhang zu zieht, ist man nicht zwangsläufig schlauer. Casper ist das chamäleonhafte Phantom der hiesigen Poplandschaft. „Hinterland“ ist die bunte Tüte, die er uns vor den Latz knallt. Man hasst es oder liebt es. Und ein Blick auf die Wertung verrät manchmal eben mehr als dreitausend Zeichen.