Daniel AveryDrone Logic

Die elektronische Musik trat einmal an mit dem Willen zum klanglichen Futurismus und der permanenten Artikulation eines unbestimmten, aber zwingenden Fortschritts, der ewigen Suche nach Neuem entlang einer Linie, die direkt in die Zukunft weist. Dieses Postulat ist inzwischen mindestens dreißig Jahre alt und die Zukunft von einst (zum Beispiel Drum’n’Bass) klingt heute oftmals ziemlich alt oder hat nie den revolutionären Einfluss gezeitigt, der ihr vorausgesagt worden war. Die elektronische Musik bewegt sich vielmehr, wie alle Musiken, in einer Wellenform durch den kollektiven Äther der permanenten Gleichzeitigkeit und nichts ist so verschrien wie der Trend von letzter Woche, letztem Monat, letztem Jahr. Allerdings gibt es im Kanon Musikstile, die man inzwischen getrost als „Klassik“ bezeichnen kann, die eigentlich in Variation immer gehen und immer einen Platz in den „Plattenkisten“ der DJs finden, sei es in Form der Klassiker oder in der von Neuproduktionen; namentlich sind hier Electro, Detroit Techno, Chicago House und Acid zu nennen.

Das weiß auch Daniel Avery und so versucht er für sein Debütalbum gar nicht erst, das Rad neu zu erfinden, vielmehr steckt er einen Rahmen innerhalb der oben erwähnten Stile ab. So beginnt „Drone Logic“ mit zwei electroiden Tracks, wobei ihm die Referenz, wie auch bei allen folgenden Tracks, nur zur Erdung dient, auf der er einen sehr jetzigen Entwurf ausarbeitet. „Water Jump“ bereitet das Fundament auf, dem der Hörer bereitwillig folgt, „Free Floating“ verweist anschließend auf das noch Kommende. Beide Tracks stellen einen nahezu perfekten Einstieg in das Album dar und man hätte sie so wohl auch auf J. Saul Kanes Label DC Recordings finden können, das immer für einen ausgestellten Retrofuturismus zu haben war. Darauf folgen, angefangen mit dem Titeltrack über „These Nights Never End“ bis hin zu „Naive Response“, drei ausgesucht exquisite Acidvariationen. In seinem Verlauf entwickelt dieses Trio einen Sog und ein Euphorielevel, die an Winks „Higher State Of Consciousness“ erinnern. Daher scheint es auch nicht verwunderlich, wenn in „Naive Response“ ein weibliches Vocal(sample?) „Get into the state“ fordert. Diesen mächtigen Höhepunkt lässt Avery in das ambiente „Platform Zero“ münden und markiert so das erste Break im Albumverlauf.

Danach schaltet er, wie das jeder gute DJ tun würde, erst einmal einen Gang zurück. Quasi als Wiederaufbau lässt er mit „Need Electric“ und „All I Need“ zwei angetrancte, deepe Nummern folgen, wobei „All I Need“ mal eben in Detroit vorbeischaut und ins kurze Zwischenspiel „Spring 27“ übergeht. Nach dem ebenfalls detroitigen „Simulrec“ verlässt Avery dann das abgesteckte Terrain, das ihm jedoch niemals bloß als anbiedernde oder retromanische Projektionsfläche dient, sondern vor dessen Matrix er immer mit Respekt vor Gewesenem Eigenes formuliert hat. Mit dem krautigen „New Energy (Live Through It)“ wagt er einen Blick noch weiter zurück in die Zukunft. Das abschließende „Knowing We’ll Be Here“ kann dann tatsächlich wie eine Huldigung an den Club als Sehnsuchtsort aufgefasst werden und markiert den krönenden, leicht sentimentalen Abschluss dieses Albums. Apropos Club: „Drone Logic“ kann man durchaus wie die Quintessenz einer gelungenen Clubnacht oder eines gelungenen DJ-Sets auffassen, mit allen dazu gehörigen Manövern wie Warm-Up, Peak-Time, Cool-Down, Chill-Out und der alle versöhnenden, euphorisierenden Hymne beim imaginären Sonnenaufgang.

Die das ganze Album durchschwingende Tranceaffinität muss man dafür allerdings mögen, nichtsdestotrotz gehört „Drone Logic“ mit Sicherheit zu den großen Technoentwürfen des Jahres. Das liegt auch am mehr als nur gelungen zu bezeichnenden Timing und Flow des Albums. Dass Daniel Avery dabei, wie andere Produzenten dieses Jahr (Disclosure, Mount Kimbie, Walton, Ikonika, James Blake …), den Weg durch die Vergangenheit in die Gegenwart (die Zukunft?) gewählt hat, schmälert diesen Eindruck nicht im geringsten.  Seine Klangästhetik setzt dabei – anders als zum Beispiel beim ebenfalls großartigen Jon Hopkins, dessen verrauschter Sound eine hypnagogische, sentimental eingefärbte Rezeption induziert – auf einen weitestgehend sauberen Sound, bei dem die Noise- beziehungsweise titelgebenden Droneanteile innerhalb der Tracks ein bestimmtes Ziel wie Pointierung oder Steigerung verfolgen und niemals purer Selbstzweck sind. Auch dekonstruktivistische, ketamininduzierte Experimente, in denen sich James Holden beinahe verloren hätte, bleiben außen vor. Muss man noch erwähnen, dass Avery kein Brite wäre, wenn seine Tracks untenrum nicht die Erfahrung von Bassmusic ausspielen würden? Nein, na, jetzt haben wir es trotzdem gemacht. Wenn man sich 2013 einen kleinen Überblick über den Stand von Techno verschaffen wollte, sollten die Alben von Avery, Holden und Hopkins zur ersten Wahl gehören.

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