Jessy LanzaPull My Hair Back
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Label:
Hyperdub
VÖ:
13.09.2013
Referenzen:
Natasha Kmeto, Cooly G, How To Dress Well, Junior Boys, FKA twigs, Grimes
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Autor: |
Uli Eulenbruch |
Songtexte müssen nicht unbedingt verständlich oder kohärent sein, um beim Hören bedeutsam zu werden. Allein schon ihre Aussprache, ganz zu schweigen von der Klangfarbe einer Stimme oder der Melodie, der die Worte folgen, vermag eine ganze eigene Wirkungswelt aufzuspannen. Einmal mehr wird dies am modernen Nuschel-R’n’B der Kanadierin Jessy Lanza deutlich, auf deren herausragendem Debütalbum nicht nur das gesungene Wort formbar wird.
Unter einer fadendünnen, im Dunklen glimmenden Synthlinie sind die Bassanschläge von „Pull My Hair Back“ so vordergründig und physisch präsent wie ihre Snare-Pendants. Sie sind runder geformt und mit unregelmäßigen Zwischenanschlägen aufgelockert, vielleicht gar einen Tick jazziger als die HipHop-Beats, die sie inspirierten, jedoch wuchtig genug, um den Gesang von Jessy Lanza stellenweise zu überdecken. Dabei ist dessen Text ohnehin schwer genug auszumachen. „Serve me with my hay pack“ oder „Pour my handbag“ könnte man diesem Nuscheln eigentlich auch entnehmen, würde der Songtitel nicht klar stellen, was genau Lanzas Falsett von sich gibt. Was in anderen Popformaten nervig bis hinderlich wäre, hilft der von Jeremy Greenspan (Junior Boys) assistierten Produktion jedoch, die Höraufmerksamkeit von der Oberfläche zu tieferen Klangebenen zu lenken.
Ähnlich wie manche Stücke von Natasha Kmetos jüngstem Album ruht „Kathy Lee“ auf wenig mehr als einem Fingerschnippen, zwei Bass-Beats und dem titelgebenden Vocal-Sample, sie sind das Gerüst, das Lanzas Stimme mit Mörtel und Ziegeln füllt. Mit viel Hall und Überlagerung erklingen die gehauchten Vocals mal ganz zentral, mal links aus dem Abseits im Klangraum, nach Ausschneiden und Umarrangieren weit von ihrer ursprünglich eingesungenen Form und Reihenfolge entfernt. Sie wirken so noch mehr wie ein spontaner Fluss aus Gedanken, Impulsen und purer Emotion, aus dem mal ein wohlbedachter, konkret an eine Person addressierter Text (im Discoglanz von „Keep Moving“), mal nur ein völlig kontextfreier Ausruf (im housigen Acid-Matsch von „Fuck Diamond“) rauszuhören ist. In „Against The Wall“ wechselt Lanza zwischen beiden, lässt raten, ob „Take me down“ von „sofa“ oder „so far“ gefolgt wird, macht aber mit „You know I can’t control it / when you pull me closer” ihren zögerlichen Intimitätssog deutlicher.
Wo die Texte losgespult erscheinen, haben Lanza und Greenspan dafür die Klangkonturen (oder das Beseitigen selbiger) ihrer Songs bedacht. Vor allem die Perkussion ist derart sauber arrangiert, dass sie reichlich Leerraum zur Resonanz aller anderen Elemente gibt – manchmal etwas zuviel, wenn weniger gelungene Songstrukturen dadurch zu kühl und trocken wirken können. Es ist aber eben dieses bedachte Formen, welches der Musik – insbesondere dem Gesang – bei aller Gestaltwandlung eine ungekünstelte Nähe bewahrt.