CalifoneStitches

Stitches – Narben, Stiche. Was einem zu diesem Wort einfallen kann, ist im Tumblr-Blog zum Albumtitel von Califone zu sehen. Eine 3.31 Minuten lange Bildersammlung mit zum Teil verstörenden Ansichten von frisch Operierten und Entstellten. Usergeneriert, denn die Seite wird mitgefüllt durch Eingaben von Menschen, die „Califone“ ihre Bilder zu „Stitches“ übermitteln. Damit ist auch diese Band im Social-Media-Meer angekommen, weiß dieses aber authentisch für sich zu nutzen. Denn was könnte persönlicher sein als die Narben der Fans? Es entwickelt sich in diesem immer neuen Video eine Stimmung in Schwarz-Weiß, die zum schlichten und nachdenklichen Titelsong passt.

Der Start des Albums ist jedoch ein Elliot-Smith-Moment, der in bester Güte und zweistimmig noch dazu fast ein wenig Richtung Jack Johnson kippt. „Movie Music Kills A Kisss“ geht direkt ins Ohr, einnehmend. Mit ihm beginnt eine Reise durch unterschiedlichste Stimmungen und Landschaften, eine Reise, die das Album in seinem Schaffensprozess nach Angaben von Tim Rutili auch in Wirklichkeit unternommen hat. So sei „Stitches“ das erste Album, das nicht in Chicago entstand sondern in Kalifornien, Texas und Arizona. Und als von Klischees geprägter Europäer bildet man sich beim Hören auch ein, dass dies durchschimmert.

Es klingt ein wenig nach Cowboy und Wüste, nach Steel Guitar und geöffnetem Autofenster, wenn Songs wie „Frosted Tips“ ihren Lauf nehmen und Laune machen. Oder blubbernd wie ein LKW-Motor, wenn „Turtle Eggs/An Optimist“ das Album sphärisch beschließt. Rutili scheint es seit dem Start von Califone 1998 nicht nötig zu haben, sich vom allgemeinen Geschwindigkeitshype der Musikindustrie hetzen zu lassen. Er nimmt sich die Zeit, die er braucht, auch wenn das mal ein ganzes Jahr Auszeit und vier Jahre ohne Album bedeutet (2009 erschien zuletzt „All My Friends Are Funeral Singers“) oder nach dem Bruch von „Red Red Meat“ die Deklaration des Soloprojektes „Califone“ als Quelle kleiner, feiner Popsongs. Oder den ständigen Wechsel der Kollaborateure. Es scheint der sprichwörtliche Bock zu sein, den Rutili haben muss, um tätig zu werden und um auf einem Album wie Stitches sich Gäste einzuladen und gemeinsam die erdige und uneitle Musik zu huldigen. Ohne viel Chichi, teilweise etwas übersteuert und sehr real daherkommend. Electronica und schrubbelige Gitarren als Leitpfad.

Songs wie „Magdalene“ klopfen den Staub von den Schuhen. Das Leben ist nicht immer von Höhepunkten geprägt. Die Hatz nach Hollywood-Momenten, die uns Kino und Hochglanzmagazine aufoktroyieren, findet auf Alben wie „Stitches“ nicht statt. Hier zählt nur das reale Leben, bei dem man jedem nur vor die Stirn und nicht dahinter schauen muss.

Bei „Califone“ bekommt man, was Rutili verspricht. Das mag eine simple Wahrheit sein, aber sie beruhigt. Vor allem die Gemüter, die den Status Singer/Songwriter schon nicht mehr vertreten mögen, weil er ausgelatscht wurde von Musikern, die uns langweilten und ihr fehlendes Talent hinter diesem eingängig wirkenden Siegel versteckten. Männer wie Rutili sind mit Songs wie „Bell Break Arms“ jedoch in der Lage, diesem Siegel wieder Leben einzuhauchen und dennoch nicht einfach zu kategorisieren. Jeder Song eröffnet eine andere Welt. Alles ist vereint durch eine unglaubliche Lässigkeit, die nur jemand verströmen kann, der sich seines Talentes schlicht sicher ist – und ein Stück weit auf die Meinung des Establishment scheißt. Sorry.

In einer Welt, wie Rutili sie mit seinen Begleitern zeichnet, ist alles am Platz, auch wenn es mal die üblichen Wirrungen im Leben gibt. Alben wie „Stitches“ vermitteln eine rauhe Wirklichkeit, die nichts schönen muss, weil das Leben schön ist – oder es wieder wird. „moonbath.brainsalt.a.holy.fool“ – ein langer Titel, mit subtilen Momenten in Wildwest-Atmosphäre getaucht. Ankommen im Abendrot, Stiefel aus, Beine hoch, Bier geöffnet – stoßgeseufzt. Klasse. Lasst euch von „Moses“ in die Arme nehmen und genießt echte Americana-Momente.

Ein Kommentar zu “Califone – Stitches”

  1. Carl Ackfeld sagt:

    Kein neues „Roots and Crowns“ aber dennoch extrem spannend. Tolles Spätsommeralbum und feine Rezension, Katja!

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