Raspberry BulbsDeformed Worship
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Label:
Blackest Ever Black
VÖ:
09.08.2013
Referenzen:
Destruction Unit, The Thrown Ups, Milk Music, Iceage
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Autor: |
Mark-Oliver Schröder |
Musikalische Scheuklappen und Berechenbarkeit kann man Kiran Sande, dem Macher des von mir hochgeschätzten Labels Blackest Ever Black, sicher nicht vorwerfen. Nach unter anderem industrialinfiziertem Techno von Prurient, den angejazzten Ambientelektronika-Kathedralen des Dazwischen von Dalhous, der klassischen Eso-Darkness von Lustmord oder den ausufernden Noisedronekaskaden der Wiener Shampoo Boy veröffentlichen die Londoner „Deformed Worship“, das zweite Album der Band Raspberry Bulbs aus New York.
Deren Debüt „Nature Tries Again“ von 2011 war im Großen und Ganzen das Solowerk von Marco del Rio. Del Rio spielte unter seinem Szenenamen He Who Crushes Teeth lange Zeit bei der kalifornischen Black-Metal-Kapelle Bone Awl das Schlagzeug, bevor er nach New York zog und dort oben erwähntes Debüt aufnahm. „Nature Tries Again“ knüpfte jedoch nicht an der Vorgeschichte seines Schöpfers an, sondern erwies sich als ein wie im feuchten Keller durch einen Kopfhörer aufgenommenes, radikal nihilistisches, rudimentäres und streckenweise beinahe skizzenhaftes Post-Punk-Noise-Album in der Tradition von Am-Rep-Bands. Veröffentlicht wurde es beim New Yorker Label Hospital Productions, das eine ähnliche musikalische Ausrichtung verfolgt wie Blackest Ever Black und von Dominick Fernow (alias Prurient) betrieben wird, womit sich der Kreis irgendwie wieder schließt und alles in der „Familie“ bleibt.
Auch für das Artwork der Band ist Del Rio selbst verantwortlich und hat sich bei allen bisherigen Veröffentlichungen (Tapes, (Split)-Singles, Alben) für einen Rosaton als Hintergrundfarbe entschieden. Das ist bei der musikalischen Ausrichtung und in der Szene, in der sich eine Band wie Raspberry Bulbs für gewöhnlich bewegt, dann doch eher ungewöhnlich – wer schon mal mit einem bunten T-Shirt auf einem Black-Metal-Konzert war, weiß was ich meine. Ob sich daraus jetzt allerdings auch eine irgendwie geartete politische Positionierung ableiten lässt, ließ sich nicht klar verifizieren; in einem Interview blieb Del Rio diesbezüglich eher vage. Nichtsdestotrotz lässt sich das Artwork von „Deformed Worship“, das einen Fahnenträger der Stars & Stripes zeichnet, in Verbindung mit dem Albumtitel durchaus politisch deuten, so wie auch der Kreuz tragende Jesus vom „Nature Tries Again“-Cover.
Mittlerweile sind Raspberry Bulbs zu einem Quintett gewachsen, was sich auch an der Komplexität der neuen Songs bemerkbar macht. Übersprangen diese auf „Nature Tries Again“ selten die Zwei-Minuten-Grenze, geschieht dies auf „Deformed Worship“ des Öfteren. Del Rio selbst widmet sich inzwischen hauptsächlich dem Gesang und in seinen Texten weiterhin den Abgründen der menschlichen Natur: Selbstzweifel, Zerwürfnissen und suizidalen Tendenzen. Aus diesem Sujet hätte auch ein veritabler Cold-Wave-Rocker werden können, man hat jedoch nicht den Eindruck, Del Rio hätte durch die Erweiterung der Band irgendwelche Kompromisse bezüglich der Ausrichtung eingehen müssen. „Deformed Worship“ präsentiert die Band in einem erstaunlich autarken und brüchigen Sound – klar ist die Soundqualität im Vergleich zum Vorgänger deutlich besser geworden, aber immer noch recht weit entfernt von gängigen Hörgewohnheiten anno 2013. Vor allem aber liegt ihr Fokus weiterhin auf aggressivem Hinausbellen (Höhlenklang auf dem Gesang) und sonischem In-Scheiben-Schneiden (scharfe, aber meist klare Verzerrung der Gitarren, extrem trockenes Schlagzeug). Dies ist schmerzhafte Sektion, keine einlullende Selbstbemitleidung.
[…] Was umso erstaunlicher ist, da die Musik von Tropic Of Cancer weder besonders ereignisreich, geschweige denn abwechslungsreich zu nennen ist und sich auch nicht zum einfachen Konsum mal eben zwischendurch anbietet. Wahrscheinlich wird es nicht wenige geben, die sie einfach nur todlangweilig finden werden. Der Musik sind sämtliche Rockismen sowie Pathos und Theatralik, wie sie auf ähnlichem Terrain Zola Jesus pflegt, und jegliche Partytauglichkeit ausgetrieben. Was macht also ihren Reiz aus? Es sind die unglaubliche Strenge des Konzeptes (kongenial visuell umgesetzt zum Beispiel bei Room 205), das Ändern und Neujustieren der individuellen Zeitwahrnehmung, das Aus-der-Zeit-gefallene, das feine, zugleich eisige und lichte Leichentuch, das Tropic Of Cancer weben und über das Hier und Jetzt ausbreiten und die sich aus all dem ergebende Erhabenheit, die Tropic Of Cancer so solitär funkeln lassen. Blackest Ever Black hat sich seit dieser Begegnung zu einem meiner absoluten Lieblingslabel gemausert, das immer wieder zu überraschen weiß, zuletzt mit der Veröffentlichung von Raspberry Bulbs. […]