RaffertieSleep Of Reason
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Label:
Ninja Tune
VÖ:
02.08.2013
Referenzen:
James Blake, The xx, AlunaGeorge, Matthew Dear
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Autor: |
Philipp Kressmann |
Die Fähigkeit der Empathie ist nicht nur in der Sozialarbeit von Nutzen, sondern auch in der Musik. Ein Beispiel: eine der elektrifizierten Feinarbeiten dieses Sommers. Raffertie, ein junges Allround-Talent aus London, ist kein Grobmotoriker. Seine Songs entwickeln sich behutsam, wirken aber trotz Vielschichtigkeit kaum überladen. Dies demonstriert nach ersten Veröffentlichungen nun ganz aktuell auch sein Debütalbum „Sleep Of Reason“, das nicht nur dank der stimmigen Vorab-EP „Build Me Up“ mit Spannung verfolgt wurde.
Ein Geheimtipp ist Benjamin Stefanski jedoch nicht, in diversen Blogs und Radioshows ist er längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Höchster Wiedererkennungswert bei viel Abwechslung, das ist Raffertie auch auf dem Album gelungen, welches sich jedoch von dem Rave-Gewebe, wie man es bisher von ihm kannte, deutlich abhebt: Vom düsteren Introtrack „Undertow“, dessen Dub-Beats sich in ein bedrohliches Inferno entwickeln bis hin zu sensiblen Slow-Electronica-Kompositionen wie dem nebulösen „Known“ (zu dessen Claps sich Rafferties stark durch den Vocoder gejagte Stimme gesellt und an Matthew Dear denken macht) oder auch „Rain“, bei dem die luftigen Gitarren-Sequenzen doch stark an The xx erinnern.
Das hypnotisch anmutende „Touching“ offenbart sich mit seinen organisch pulsierenden Beats als der Schlüsseltrack des Albums, über den introvertierten und dennoch sehr tanzbaren Song loopt Raffertie die Zeile „And when we touch, I can´t breathe.“ Bei so viel Tiefgang und Tempowechsel befindet er sich stets auf der Schwelle zwischen Track und Song: „Principle Action“ scheint eher Dancefloor-orientiert, während die nervöse Grundstimmung auf „One Track Mind“ hingegen perfekt neben Chromatics auf den „Drive“-Soundtrack passen würde.
Immer wieder bietet Raffertie mittels progressiver, teilweise unübersichtlich geratener Nummern und kurzen Leerstellen das Pendant zu den helleren Momenten. „Window Out“ wirkt mit tiefem Klavier und Field-Recordings beinahe unheimlich, „Black Rainbow“ inszeniert Unbehaglichkeit, übt sich in Düster-Ambient und lässt eine schrille Gitarre gegen dumpf waberige Effektwände ankämpfen. Beim Abschluss „Back Of The Line“ scheint dann aber auch ganz auf elektronisch erzeugte Beats verzichtet zu werden. Auch die lyrische Struktur ist abwechslungsreich geraten, mal slogantauglich minimalistisch, mal eher am klassischeren Songformat orientiert.
Dub-affine Electronica-Feinfühligkeit, verzerrte Vocals, London, Klavier. Bei diesen Charakteristika sind gewisse Parallelen zu UK-Wunderkind James Blake naheliegend. Dennoch: die elektronischen Texturen auf „Sleep Of Reason“ sind enigmatischer arrangiert und dadurch weniger poppig veranlagt. Dafür wirkt „Sleep Of Reason“ aber mindestens genauso stilsicher und dicht wie „Overgrown“. Raffertie ist ein kohärentes und tatsächlich eloquentes Album gelungen.