Was für ein Klischee: Musik, die vom Ende einer Beziehung inspiriert wurde. Nicht nur entstand ein Großteil von Kirin J Callinans Debütalbum vor jenem Hintergrund, auch droht das Titelstück von „Embracism“ eine jener Selbstgeißelungen an, die sich noch klischeehafter aggressiv nach außen wenden.

Unter unbequem waberndem Beatpumpen erklärt Callinan allein das Körperlich-Physische für echt, predigt ein Leben in vermeintlich essentieller Maskulinität, die von Kindesbeinen an im Duell Mann gegen Mann auf die Probe gestellt wird. „A man is physical / and a man has to put his physical / body to the test / against another man“, grummelt seine heisere Stimme in unmetrischem, unrhythmischem Wortfluss, ein Heulen schraubt sich im Hintergrund zum ausgebellten „Do you measure up?“ empor. Es ist unbequeme, packende Musik, die sich in einer einseitigen Macho-Präsentation zu erschöpfen scheint – bis sich allmählich die homoerotische Lesemöglichkeit des Textes offenbart: vom Rumrollen und Ringen, bei dessen engem Körperkontakt die Kleidung vom Leib gerieben wird, zu „A man can meet another man / In a bar […] / Or in his own apartment / Or on the internet right now / So turn, face, connect / Embrace“.

„Come On USA“ ist musikalisch nicht weniger intensiv. Unter ominösen Bläsern und hochfrequenter, angeglitchter Perkussion präsentiert Callinan jedoch keine triumphal gereckte Faust, den Australier verbindet kein Gefühl der Erhabenheit mit der Weltmacht. „I cry every time that I listen to Springsteen“ zeigt Brüche in der muskelgespannten Haltung, die im folgenden „Victoria M.“ unter schwelgerischer Streicherromantik nicht nur als körperliche, sondern auch als persönliche Pose aufgedeckt wird. Callinan ist ein Provokateur, wirft mit extremen Bildern und Klängen um sich, in beide Richtungen. „Hart“ und „weich“ sind ebenso nur Optionen einer Performance wie „feminin“ und „maskulin“ für ihn, der jahrelang gerne die Kleider seiner Freundin trug.

Das von Ambientem in fest geschlagene Akustikgitarre übergehende „Chardonnay Sean“ erzählt vom Tod eines Freundes bei einem Autounfall, den Callinan verursachte, derart mitreißend, dass ihm nach Konzerten Mitleidsbekundungen zugetragen wurden. Allein: Die Geschichte ist Fiktion, die echte Männertragik ist inszeniert. Es ist erneut die Performance, die Callinans Musik bewegt und bewegend macht – oder die „Way II Way“ in seiner Gothrock-Überzogenheit zum einzigen echten Fehltritt des Albums macht.

Callinans industriell geschärfter Pop ist weder textlich noch klanglich so radikal wie der eines Jamie Stewart oder Scott Walker, neben denen er sogar ziemlich poppig dasteht. Dafür manövriert er auf „Embracism“ zwischen unterschiedlich extrem ausformulierten Einzelentwürfen, von anfänglicher Suicide-Kargheit bis zum Rock-Finale „Love Delay“, die in ihrer Konfrontationslust schwer zu ignorieren und ihrer Melodiösität nicht minder attraktiv sind. Optimismus ist allerorts dünn gesät. Welche Worte könnten diesem Album also ein passenderes, klischeehafteres Ende geben als „We will die alone“?

Ein Kommentar zu “Kirin J Callinan – Embracism”

  1. Carl Ackfeld sagt:

    Um Gottes Willen Uli, ich bin zwar erst mitten im ersten Drittel des Albums, aber der haut ja wirklich fast alles um, was ich in letzter Zeit gehört habe. Sagenhaft!!!!

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