Der Liedschatten (113)Partylöwen hören die Sonne

Heut‘ Nacht, heut‘ Nacht…! Ja, heut‘ Nacht ist wirklich alles drin. Freuen wir uns drauf!
„Gonna hear the sun“? Gewiss! Wobei, ganz sicher war ich mir nicht und musste deshalb nachschauen. Weil ich aber sah, dass der Text so auch auf Fanseiten steht, wird er wohl stimmen. Denn niemand dürfte eine solche Seite anlegen, um dort falsche Texte zu posten. Fans meinen es ernst mit ihrer Liebe zu einer Band, ihre Begeisterung verlangt die gewissenhafte Dokumentation, ein unaufmerksamer Fan ist ein schlechter Fan. Wie gut also, dass ich Creedence Clearwater Revival (im Folgenden CCR) nicht übermäßig schätze, ich höre bei „Hey, Tonight“ nämlich etwas ganz anderes.
Nämlich „Gonna hear the son“ beziehungsweise „Gonna hear this song“, beides zwar verständlichere, doch nicht weniger seltsame Ankündigungen, vor allem die erste. Den Song am Abend erneut hören zu wollen hingegen dürfte im Sinne der Interpreten sein. Die Single wieder immer und immer wieder abzuspielen, wieder und wieder, und wieder, und wieder? Warum nicht, probieren wir es aus.
Nein, „Gonna hear this song, tonight, tonight“ etc. wäre eine nur mäßig unverfrorene Forderung. Die letzte #1 der Gruppe aus Kalifornien ist wie zahlreiche ihrer anderen Hits („Proud Mary“, „Lookin‘ Out My Back Door“, „Bad Moon Rising“, „Have You Ever Seen The Rain“, „Susie Q“) ein nur zu packender, ja zupackender Song. Nicht so ein kleiner, wendiger Ohrwurm, der sich festsetzt, eher schon eine Schlange, die den Hörer erst mit ihrer Geschmeidigkeit überrascht, dann plötzlich zuschnappt und selbst denn nicht loslässt, wenn es wehtut. Da wird selbstbewusst gepoltert und Aufmerksamkeit eingefordert, Party mit Ansage also. Vom Gestus erinnert das an klassischen Rock’n’Roll, den CCR vermischt mit Rockabilly, Country und selbst Soul in Ansätzen reproduzieren. Sie tragen keine subtile Geschichte aus den entlegenen Winkeln ihrer geplagten, sensiblen und höchst lyrischen Persönlichkeiten vor, sie suchen die direkte Konfrontation und den einfachen Ausdruck, ohne sich dabei auf Feierei zu beschränken.
Ihr Hit „Fortunate Son“ von 1969 in etwa ist ein kritischer, ja politischer Song auf der Höhe seiner Zeit gewesen, eine Mischung aus Arbeiterlied und plakativem „die da oben!“-Gegrummel, der angesichts des Vietnamkrieges an Stammtischen (oder deren Äquivalent in den USA) ebenso wie bei den Hippies funktioniert haben dürfte. Aus der Frage „Warum muss denn nur der ‚kleine Mann‘ in den Krieg, während die Reichen daheim Fahnen schwenken?“ lassen sich unterschiedliche Konsequenzen ziehen, entweder ein konservatives „Sollen die doch genauso wie wir für unser Land kämpfen“ oder „Einzig die Besitzenden sind Kriegstreiber.“
Gedudel zum Vietnamkrieg? Das liegt an den Machern dieser Doku, nicht CCR.
Zugegeben, dieser Popsong ist wie viele andere nicht differenzierter als die Menschen, die ihn schrieben und hörten, klang allerdings nicht nur gefällig, sondern unverschämt gut. Das ist mehr, als es manchmal für einen Erfolg braucht, siehe die tönende Sonne bei „Hey Tonight“.
Die Zeile „get it to the rafters“ reiht sich in dessen Text sehr gut ein. Womöglich bedeutet sie so etwas wie im positiven Sinne „an die Decke gehen“, durchdrehen, aufgekratzt und high sein, wofür „don’t you know I’m flyin’“ spricht. Wir lassen uns davon nicht überraschen, nein, wir haben uns so etwas schon gedacht. Immerhin macht sich ein Drang zu oberen Sphären ganz gut, wenn „Jody’s gonna get religion“, was auch immer das nun wieder bedeuten mag. Geht es hier um eine Evangelisation? Zum Verhörer von vorhin, „gonna hear the son“, also dem Gottessohn der Christen, würde es passen … wobei, nein, es muss ja die Sonne sein.
Ob sich der CCR weitgehend dominierende Songwriter und Sänger John Fogerty selbst über seinen Text im Klaren war oder nicht, spielt am Ende keine Rolle, er schafft es, Vorfreude glaubhaft zu übermitteln. Dabei erinnert er an einen Jugendlichen, dessen Pläne für einen bevorstehenden Zeltausflug oder eine Klassenfahrt höchst schwammig und deshalb umso vielversprechender sind. In der Atmosphäre des Songs schwingt kein Wissen um die Nichtigkeit ausgelassener Feierei mit, keine Melancholie und keine Bedenken, er ist Ausdruck einer ungebrochenen Hochstimmung. Begeistert werden kryptische Bilder über einem schlichten Riff markig, ja beinahe etwas verbissen hervorgestoßen. Schnell entsteht so der Eindruck, CCR seien eine Band mit höchst rockistischen Gemütern und vor allem für solche erträglich. Zerstreut wird diese Befürchtung allerdings von ihrer Version des Soul-Klassikers „I Heard It Through The Grapevine“.
„Tsch!“: Marvin Gaye spielt zwar in einer anderen Liga, CCR aber spielen immerhin gut.
Wenn wir an dieses Cover denken, wird uns der Griff in die Plattenkisten der Flohmärkte leichter fallen, wo sich mit Sicherheit das eine oder andere „Best Of“ oder Album finden lassen wird. Bis zu ihrer Trennung 1972 veröffentlichten CCR zahlreiche gelungene und erfolgreiche Singles, laut Hörensagen sollen sogar sechs von sieben ihrer Alben ziemlich gut sein. Dafür spricht auch die Flipside von „Hey Tonight“, „Have You Ever Seen The Rain“, mit der ich mich bis zur nächsten Folge verabschieden möchte.
Antwort: Ja. Das macht den Song aber nicht obsolet.