Jon HopkinsImmunity

„Knusper, knusper, knäuschen! Wer knuspert an meinem Häuschen?“ „Es ist der Wind, der Wind, das himmlische Kind!“ Diese Weise oder ähnlich märchenhaft Romantisches geht einem durch den Kopf, wenn „We Disappear“, der erste Track von „Immunity“ aus den Lautsprechern ertönt. Verblassende Erinnerungen an Laura-Palmer-Strings wehen melancholieinduzierend durch den Raum, noisige Soundfragmente mäandern über das Raster um fluchs mit dem Einsatz einer stoischen Bassdrum auf Form gezurrt zu werden.

Jon Hopkins, der Verursacher dieser Imaginationen ist kein ganz Unbekannter im Musikgeschäft. Bis dato hielt er sich allerdings eher im Hintergrund, produzierte zum Beispiel Coldplays „Viva La Vida“ und Natalie Imbruglia, arbeitete in Kollaborationen mit Brian Eno und King Creosote oder komponierte Filmscores. Nun legt er mit „Immunity“ sein viertes Solo-Werk vor und es bleibt nicht weniger zu vermelden, als dass ihm, wie unlängst schon Disclosure, dabei ein großartiges elektronisches Album gelungen ist. Hopkins nähert sich allerdings der Musik von einer ganz anderen Richtung. Wo Disclosure, mit dem geballten Wissen von Chicago bis 2-Step im Hinterkopf, die Diskokugel poliert haben und ihre Musik im Glanz derselben funkeln lassen, agiert Hopkins eher in den Räumen, die die Spiegel der Diskokugel nicht hell erleuchten. Sein Ansatz liegt weniger eindeutig in Detroit oder Chicago als bei dem, was man mal mit „IDM“ umschrieb oder was House/Techno-Puristen gerne etwas abfällig als „Progressive“ betiteln. So wie Hopkins diesen Sound zum Klingen bringt, muss man unweigerlich an James Holden und sein Label Border Community denken.

Bei wem jetzt noch keine konkreten Töne durch den Kopf schwirren: Auf der Basis einer klaren Kick, die gerne von britisch angeswingten Snares und Hi-Hats begleitet wird (es findet sich aber sogar, wie bei Disclosure, ein 2-Step), arbeitet ein Bass, der am besten mit „shoegazig“ („Open Eye Signal“) zu bezeichnen wäre. Um das Klangbild voll zu machen, werden Melodiefragmente und Flächen in das grundierende Gewebe eingearbeitet. Hört sich unsexy an? Mitnichten. In den richtigen Händen – und Jon Hopkins besitzt solche – entwickelt sich daraus die Art von Techno, die auch die Gitarrenfraktion abzuholen weiß, ohne wie beispielsweise Justice tatsächlich Gitarrensounds breitbeinig zu emulieren; die Trancezustände induzieren kann, ohne dass man Insulinspritzen gegen die befürchtete Überzuckerung bereithalten muss; die selbst in Ambient-Tracks genug Drive bereit hält, um nicht zur bloßen Klangtapete für den nächsten Kaffeeladen zu verkommen. Hardcore-Elektronikern ist das vermutlich phasenweise zu „rockistisch“ und vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum „Immunity“ bei dem Indie-Gemischtwarenladen Domino und nicht bei irgendeinem szeneaffinen Techno-Label erscheint.

„Immunity“ ist nicht weniger als das Album, das man sich von James Holden oder Nathan Fake immer gewünscht hätte, bevor Ersterer seine Musik von Software in ketamininduzierte, kubistisch-zersplitterte Fragmente zerbröseln ließ. Holden hat mit seinem anstehenden Werk die Chance, nachzulegen – ob er dabei allerdings die von „Immunity“ extrem hoch gelegte Latte wird überspringen können, muss sich noch zeigen.

Ein Kommentar zu “Jon Hopkins – Immunity”

  1. Jessy sagt:

    Als ich den erstes Satz der Rezi gelesen habe, dachte ich noch: oh gott, knüsper-knäuschen-wtf?! Aber das ist ein echt treffender Artikel geworden, der das Album schön auf den Punkt bringt! Kompliment – liest sich gut! :)

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