Camera ObscuraDesire Lines
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Label:
4ad / Beggars
VÖ:
31.05.2013
Referenzen:
Phil Spector, The Concretes, Belle & Sebastian, The Pastels, Jens Lekman, Sambassadeur
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Autor: |
Sebastian Schreck |
Schiene die Sonne in Glasgow, fänden wir Camera Obscura im Schatten ihrer großen und größer gewordenen Geschwister im Geiste Belle & Sebastian, damals, 1996, als sich die Band formte und die darauffolgende Zeit, als Stuart Murdoch und Richard Colburn hier und da mal mithalfen. Zarte, filigrane Pop-Songs entstanden im Regen und hinterließen Pfützen aus Seufzern und Tränen. Hier wie dort.
Nun aber, Jahre später, da Belle & Sebastian der Sonne des Northern Soul hinterherjagen, wo sind Camera Obscura? Immer noch im Schatten, aber dem des Lichts ihrer eigenen Vorstellung vom Popsong an sich, diesem Versprechen, an das vor der Postmoderne, der Ironiefalle und der Marktanalyse, also bis irgendwann in den 60ern, mal geglaubt wurde. Daran glauben Camera Obscura, wie der Twee Pop es in den 80ern tat. Auch wenn kein Popsong die Welt verändern kann, so lassen sich mit ihm Seelen streicheln, mit Tracyanne Campbells großäugiger Stimme, mit Geigen und Harmonien.
Die zeichnen Camera Obscura heute und immer aus. Nur reifer sind sie geworden: Die vier Jahre, die sie nach dem Erscheinen ihres letzten Albums „My Maudlin Career“ 2009 für die Aufnahmen zu „Desire Lines“ brauchten, waren dem Vernehmen nach eine lange und schwierige Zeit. Dankbar seien sie über die Hilfe von Produzent Tucker Martine (REM, Decemberists …) in Portland, weit weg vom schottischen Regen.
Was aber bedeutet Reife wenn nicht Klarheit, Souveränität, Weisheit und auch: Schamlosigkeit? In musikalische Sphären übersetzt, hieße das ein Mehr an ausformuliertem Pop und ein Weniger an verhuschtem Singsang. Farbtupfer im Nebel gewissermaßen, ausdauernd und geduldig gemalt, um Verzweiflung und Unsicherheit zu vertreiben oder wenigstens auszuhalten. Unverkennbar klingt das nach Camera Obscura, nur deutlicher und breiter. Der Titelsong, eine Folkballade mit Steelguitar, hätte auch auf späten Rilo-Kiley-Alben seinen Platz gehabt. „Do It Again“ ist Power-Twee fürs Radio und wenn dieser Refrain, diese Gitarre und ihr Solo nicht schamlos sind, dann wäre die Bezeichnung „Power-Twee fürs Radio“ es ebenso wenig. „This Is Love“ dagegen ist mit Trompetenzucker überzogener Girl-Group-Pop in Mid-Tempo und so souverän wie schamlos schmalzig.
„Troublemaker“ und das wunderhübsch geigenverzierte „Break It To Me Gently“ stolzieren elegant nach vorne, besonders Letzterer ist ziemlich nah dran am perfekten Pop-Song. In „William’s Heart“ fragt Campbell inbrünstig „Does he need a friend?“ und eine softrockende Gitarre antwortet langsam. Neko Case und Jim James stecken irgendwo in den Chören, in „New Years Resolution“ („to kiss you like I mean it …“) oder in dem euphorischen „Every Weekday“ vielleicht. Die Streicher in „Crie Du Couer“ sind so fein wie die Bläser in „Missed Your Party“ schelmisch.
Camera Obscura sind weise genug, um schamlos zu sein. Stilvoll und souverän genug, um (zumeist) klar zu sein. Sonnenklar vielleicht nicht, schließlich pflegen und hegen sie ihre inneren Wolken und ihre regnerische Gefühligkeit doch zu gut und gern. Camera Obscuras Geschick für Melodien und Songs bleibt unangetastet, unberührt vom Wetter.
Hm. Filigraner Pop oder Schlagerlangeweile?
http://guthoerenistwichtig.wordpress.com/2013/05/24/brei-camera-obscura-desire-lines/
Nun ja, wenn Schlager so klingen würde, dann würde auch ich Schlager… nein, gehen wir besser nicht so weit.
Melodien allein machen keinen Schlager, es kommt darauf an, wie Lieder arrangiert und produziert sind. Und da sind Camera Obscura über jeden Verdacht erhaben.