Der Liedschatten (110): Heavy Protopunk

Black Sabbath: „Paranoid“, Dezember 1970

Black Sabbath als One-Hit-Wonder zu bezeichnen ist zwar nicht sehr schmeichelhaft, aber richtig, zumindest, wenn es um Singles geht. Auf ihre Alben, die eigentliche Werkform des Heavy Metal, trifft es nicht zu.

Was aber erdreiste ich mich, vom „Eigentlichen“ des Heavy Metal zu sprechen? Das lasse ich lieber bleiben, schließlich habe ich wenig Ahnung von diesem Genre. Mein oberflächliches Wissen bezieht sich dazu noch auf mir bekannte Metaller als Vertreter einer Fankultur, die mir immer recht, nun ja, knuffig, wenn auch keinesfalls lächerlich erschien, hinsichtlich der Musik bin ich ein Laie. Wirklich böse kam sie mir selbst bei Missfallen nie vor, nicht einmal, wenn es in ihr teuflisch zugeht. Und doch erinnere ich mich, dass einige in ihr einst eine Bedrohung sahen. Erwähnt werden sollte allerdings, dass ich mich in christlichen Kreisen bewegte und die Bedrohung deshalb dem vermuteten Seelenheil galt. Doch finden sich auch dort differenzierte Sichtweisen, in etwa bei einem Menschen katholischen Glaubens, der über Metal bloggt. Nun, genug geplaudert, hören wir Musik.

Godzilla und Gegniedel, für jeden Gitarristen eines.

Weshalb sollte man in zum Beispiel obigem Song einst etwas Gefährliches gesehen haben? Sein Bezug auf die biblische Geschichte von der Apokalypse ist dafür nur oberflächlich betrachtet ausreichend, auch die musikalische Härte hält sich in Vergleich mit der Atonalität der Zwölftontechnik in Grenzen. Am Ende ist „The Number of The Beast“ nur exemplarisch für ein Genre mit Hang zum Theatralischen, in dem Themen aus dem Horror- und Fantasygenre textlich und visuell gerne auf meist mehr oder weniger angemessen scheinende Weise aufbereitet werden. Und selbst wenn seine Werke manchmal schlecht oder schlichtweg dumm sind (siehe Manowar), viel martialischer, ja brutaler als der alltägliche Umgang im Kapitalismus mit seinem Wettbewerb vermeintlich freier Teilnehmer an einem freien Markt sind sie nicht. Es sind, und das trifft auch auf härtere Stücke zu, Worte und Töne, keine Taten.

Die Verurteilung des Metal dürfte vor allem auf der Möglichkeit beruht haben, sehr einfache Erklärungen für Handlungen und Verbrechen zu finden, die es ohne dieses Genre der Popmusik ebenfalls geben würde; auf einem Menschenbild, das von einer Verführbarkeit der an sich Guten ausgeht; dem Bösen, das nur vom Fremden und Abweichenden bewirkt werden kann. Was hysterische Blüten wie die folgende Dokumentation des BR von 1990 (mehr Informationen auch zu den darin angespielten Liedern hier) trieb, war eventuell nur die übliche Xenophobie in Verbindung mit Schuldzuweisung an das Unverständliche.

„Unsoziale Verhaltensweisen“: Niemand kann sagen, es hätte keine mahnenden Stimmen gegeben.

Dass extreme Themen in der Musik wie in jeder Kunst behandelt werden, lässt sich in einer liberalen Gesellschaft nicht verhindern, damit müssen wir leben. Ebenfalls nicht verhindern lässt sich, dass es eventuell wenig geschmackvoll geschieht und es Subgenres des Metal gibt, deren Akteure und Fans zum Beispiel Nazis sind. Probieren sollte man es im Letzteren Fall aber, haben sie doch dort wie in Kammermusikensembles oder unter Liedermachern (wo man sie ja ebenfalls finden kann) und überhaupt nirgendwo etwas zu suchen.

Dieser Problematik begegnen wir bei „Paranoid“ nicht, hier ist kaum mehr als der Sound heavy. Der Text hingegen ist eine ungefähre Mischung aus „Help“ von den Beatles und „(I Can’t Get No) Satisfaction“ der Rolling Stones. Das Wort „Paranoid“ kommt darin kein einziges Mal vor, die vom Bassisten Terence Michael Joseph „Geeze“ Butler geschriebenen Lyrics handeln von Angst und Ratlosigkeit und sind mehr schlicht und direkt als diabolisch und abgründig.

„Think I’ll lose my mind if I don’t find something to pacify

(…)

I need someone to show me the things in life that I can’t find

I can’t see the things that make true happiness, I must be blind

Make a joke and I will sigh and you will laugh and I will cry

Happiness I cannot feel and love to me is so unreal

And so as you hear these words telling you now of my state

I tell you to enjoy life I wish I could but it’s too late,“

singt der damals 22jährige John Michael „Ozzy“ Osbourne und drückt damit nichts allzu Bösartiges aus. Selbstverständlich sollte ein junger Mensch aus Sicht biederer Menschen nicht so bedrückt sein, hat er doch das ganze Leben noch vor sich und verhindert durch Desinteresse und Mutlosigkeit den produktiven, ehrenwerten Lebenswandel, der notwendig ist, um so diszipliniert und nützlich wie sie zu werden. Dennoch steht es an Metal-Klischees gemessen nicht allzu schlimm um ihn, er ist kein Menschenfeind. Obwohl ihm Liebe und Lachen unwirklich scheinen, wünscht er anderen Freude am Leben. Er selbst weiß aber weder ein noch aus und sucht nach Hilfe.

rios_joyDavon unabhängig mochten Black Sabbath düstere Themen einfach lieber als frohe, nicht umsonst stammt der Name der Gruppe von einem Horrorfilm. Wie eine Gestalt aus einem düsteren Pulp-Roman wirkt auch der verschreckte Protagonist des Songs. Osbourne trägt Verzweiflung und beinahe panische Angst durch seinen schnörkellosen Stil glaubhaft vor, Theatralik und schauspielerisches Pathos fehlen ihm. Seine Stimmung wird durch Tony Iommis Riff treffend illustriert, ja untermauert oder gar begründet, treibt es doch flankiert von Schlagzeug und einem herrlich reduzierten Bass Osbournes Stimme vor sich her.

Nun las ich gerade eben, „Paranoid“ sei einer der ersten, ja vielleicht sogar der erste Song des Heavy Metal. Mir scheint es eine Vorform des Punk zu sein, was aber an meinen geringen Kenntnissen des Metal liegen könnte. Anders als in „God Save The Queen“ wird hier Niedergang zwar nicht gefeiert, das simple Riff und hohe Tempo jedoch erinnern an die spätere Schlichtheit nicht weniger desperater junger Menschen ohne Zukunft. Das einzige, was dabei stört, ist das Solo.

Ah, die Störung und die Queen. Unter Ausblendung der weiteren Geschichte der Band (dazu gibt es reichlich Besseres an anderer Stelle zu lesen) möchte ich mit besonderem Augenmerk auf die gesellschaftserschütternde Wirkung des Heavy Metal einfach das folgende Video posten. Auf bald!

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