Dean BluntThe Redeemer
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VÖ:
03.05.2013
Referenzen:
Hype Williams, Cooly G, James Ferraro, Angelo Badalamenti, Laurel Halo, Actress, TV On The Radio
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Autor: |
Constantin Ruecker |
Vergangene Woche erschien auf Hippos in Tanks das offizielle Debütalbum von Dean Blunt. Doch man verschluckt sich fast an diesem Satz, so umtriebig war Blunt bereits in den letzten Jahren. Nun lichtet sich langsam der Nebel der vergangenen Hype-Williams-Werke und plötzlich richten sich alle Augen auf „The Redeemer“. Es ist eines der originellsten und stimmungsvollsten Alben dieses Jahres.
Zum Einstieg in diese Rezension könnte man viele Geschichten erzählen. Beispielsweise prangt auf Seite drei der aktuellen Ausgabe des britischen Musikmagazines Wire eine Anzeige – wohlgemerkt, ganzseitig! Sie zeigt zwei schwarz umrandete, gefaltete Hände auf weißem Grund, die nicht nur entfernt an die „Betenden Hände“ Albrecht Dürers erinnern. Es ist das Cover von „The Redeemer“. Darunter steht lediglich der Name DEAN BLUNT, die Worte THE REDEEMER (dt. „der Heiland“ oder „der Erlöser“) und ein Datum: May 1. Es könnte sich ebenso gut um eine Todesanzeige oder eine Verkündigung handeln.
Was so eine Anzeige kostet? Keine Ahnung. Aber in anderen Magazinen bekommen solch prominente Plätze nur die Global Player der jeweiligen Sparte – je nach Zielgruppe Auto-, Uhren- oder Parfümhersteller. Die Annonce verdeutlicht daher vor allem eines: welche Hoffnungen Hippos in Tanks in diese Veröffentlichung setzt. Bereits im vergangenen Jahr hatte das Label den Vorgänger „The Narcissist II“ wiederveröffentlicht, der zunächst als kostenloses Mixtape erschienen war. Es war ein hochdramatisches Konzeptalbum über Liebe und Trennung. Es hatte Kammerspielqualitäten und war in mancherlei Hinsicht eines der spannendsten musikalischen Experimente 2012.
Auch „The Redeemer“ verfolgt nun über weite Strecken einen ähnlichen Weg, jedoch zaghafter und weniger theatralisch als sein Vorgänger. Statt der obligatorischen Synthiespielereien herrscht schlagartig Klarheit: Die Melodiebögen sind transparent, die Instrumente deutlich zu erkennen. Nur noch gelegentlich werden die Momente vollkommener Schönheit – etwa die synthetischen, glasklaren Choräle – von verstörenden Einspielern durchbrochen. Allein die erste Hälfte von „The Redeemer“ bietet mit ihrer schier endlosen Fülle an Ideen mehr Anknüpfungspunkte als manche über Jahre mühsam zusammengeschrammelte Diskografie.
„I Run New York“ wurde eins zu eins vom HipHop Duo K-Ci & Jojo („All My Life“) übernommen. „The Pedigree“ greift dessen Streicher auf und lässt Blunt über die Liebe sinnieren („Call me when your heart is empty“), bevor er in „Demon“ erstmals Unterstützung von Joanne Robertson erhält. Zu Streichern, Chorälen und einem schlichten Tomtom zerbersten Gläser an der Wand, ehe Blunts Hype-Williams-Mitstreiterin Inga Copeland die Bühne für eines der schönsten Lieder dieses Albums betritt. Fleetwood Macs „Oh Daddy“ liefert das Fundament für dieses grandiose Titelstück, dessen Ausläufer einen schließlich an den Strand von Twin Peaks führen. Möwen kreisen über der Szenerie, das Meer spült seine schaumigen Wellen an das steinige Ufer und spätestens wenn die Streicher von „Walls Of Jericho“ einsetzen, scheint man die Leiche Laura Palmers zu erblicken …
Dieses Album funktioniert hochassoziativ, seine einzigartige Atmosphäre ist vielleicht sein größter Trumpf. Leider wird diese in der zweiten Hälfte etwas getrübt, da einige Stücke geradezu unentschlossen, bruchstückhaft in der Luft hängen. „Papi“ vermag jedoch die Wogen zu glätten, wieder bedient Blunt sich kunstvoll bei einer großen Band: Pink Floyds „Echoes“ stand Pate. Und kurz fragt man sich ernsthaft, ob dies eine ähnliche Debatte über Songwriting-Qualitäten zur Folge haben könnte wie damals bei James Blake – denn auch „Papi“ und „The Redeemer“ sind vielleicht die besten Tracks auf „The Redeemer“.
Mit dem akustischen „Imperial Gold“ und dem Solo-Piano-Stück „Brutal“ folgen abschließend jedoch noch zwei weitere Highlights und ziehen das Interesse auf sich. Mitunter mag man etwas zuviel in die Lieder hineinlesen — etwa wenn man das Husten während „Brutal“ als ein Keith-Jarrett-Zitat auslegt. Doch Blunt unterhöhlt nicht nur den Musikbetrieb, sondern zugleich einige noch tiefer liegende Schichten unserer Kultur. Es wäre fatal, sich lediglich auf einer einzigen Ebene mit diesem Album zu beschäftigen, entfaltet es einige seiner Stärken doch erst bei noch genauerer Bemusterung.
Allerdings scheut sich Blunt auch nicht, falsche Fährten auf seinem Weg zu hinterlassen. Auf dem Promofoto für „The Redeemer“ trägt er eine Livestrong-Basecap, also eine jener von Lance Armstrong gegründeten Stiftung für Krebskranke. Ob er damit Sympathie ausdrücken oder auf einen anderen Aspekt des Falls Lance Armstrong(s), etwa dessen Realitätsverlust oder Lügenkonstrukte, verweisen will, bleibt offen. Aber auch Blunt spielt offensiv mit der Grenze zwischen Realität und Fiktion, beispielsweise wenn sich Dean Blunt and Inga Copeland bei Konzerten von Schauspielern vertreten lassen.
„The Redeemer“ ist letztlich eine Parabel über die Musik, ihre Funktionsweisen und ihre Industrie – zugleich ist es selbst bereits ein brillantes, originelles Stück Musikgeschichte. Es besteht aus 19 auditiven Collagen, Skizzen, Träumen und Erinnerungen, mit denen Dean Blunt einmal mehr seinen Status als größter Schattenboxer und Posterboy des Underground-Pop untermauert.