
Mungo Jerry: „In The Summertime“, August – Oktober 1970
Ah, der Sommer. Heute lässt es sich gut vom Sommer träumen. Es ist der 1. Mai, draußen bollert housig der Bass eines Raves neben der S-Bahn-Strecke hinter dem Haus, in einer anderen Ecke der Stadt erhebt sich die Arbeiterschaft — aber nicht, wie ihr denkt, sondern um Reden zu hören und Würste zu verzehren. Über all dem scheint eine knallgelbe Sonne feinstlieb am blauen Himmel. Und ich bin krank und bleibe besser, nicht lieber drinnen.
Aber, so tröste ich mich, da kommt ja noch mehr, wir haben erst Mai und so richtig warm ist es heute eh noch nicht. Außerdem ist Vorfreude ja bekanntlich eine gute Sache, und heute raus gehen, um mit all den Menschen durch die Stadt strömen, möchte ich das wirklich? Was mich erfreut, sollte delikater sein, nicht so ein einfaches Lustwandeln im Park oder am Fluss, eine Limonade in der Sonne, Müßiggang unter dem jedes Jahr neuen Gewebe aus Grün, Blau und Gelb, dieser abgeschmackten Frühlingsgeschichte, nein. Da bleibe ich doch in meiner Klause, sitze am rauschenden Rechner und trinke herben Tee. Anschließend falle ich ins Bett und verschlafe den Tag. Die Nacht übrigens auch. Und den Tag danach. Ach, herrje.
Nun, genug gejammert, widmen wir uns wieder der Vorfreude. Was hilft uns dabei? Die Erinnerung an vorherige Sommer und womöglich unsere heutige #1, „In The Summertime“ von Mungo Jerry.
In der Flasche war ganz bestimmt kein Rasierwasser.
Aber eben nur womöglich. Sicher, das Lied ist nett, allerdings könnte seine Verbreitung der Wirkung im Weg stehen. Es ist nämlich einer der Songs, von denen zu viele Menschen annehmen, er würde allen gefallen und unweigerlich „gute Laune“ hervorbringen, ein Stück, bei dem man „mit muss“, sozusagen. Ein Betriebsfest mit Coverband und ohne „In The Summertime“ ist möglich, sicher, aber es dürfte als Teil ihres Repertoires stets für ebenso große Begeisterung wie Marius Müller Westernhagens Untaten oder Steppenwolfs „Born To Be Wild“ sorgen. Es ruft die Ausgelassenheit nicht etwa hervor, sondern ermöglicht sie durch die Gewissheit, sich auf der sicheren Seite zu befinden. Zu „In The Summertime“ kann getänzelt werden, ohne jemanden zu befremden, tänzelt man aber, bevor es solch einen informellen Aufruf in Liedform gab, könnte es seltsam wirken. Mit Mungo Jerrys Hit jedoch ist es allen gestattet, ja wird von ihnen gewünscht, gediegen auszuflippen, es ist eine Art legitimes Rauschmittel. Alkohol für den Gehörgang, wenn man will.
Das mag etwas hart (und eklig) klingen und verbiestert scheinen,. Immerhin ist „In The Summertime“ ja wirklich leichtfüßig, luftig und animierend, was ist dagegen einzuwenden? Der Widerwille wird jedoch nicht durch das Lied an sich, sondern seine Funktion als Symbol und Ersatz geweckt. Mir ist es nicht ganz geheuer, dass Musik erst nach ausreichender Bekanntheit partytauglich wird, sollte sie doch bestenfalls unmittelbar durch sich selbst und nicht durch Zuschreibungen funktionieren. Oftmals sind diese aber stärker als die Musik an sich, was bei einem Genre wie Reggae deutlicher wird als bei diesem Lied. Die Enthemmung findet dann trotz des Rahmens einer Feier erst nach Rückversicherung statt, und das ist verbissener als das Unbehagen angesichts eines Liedes, das zum Klischee verkam.
Eines Liedes? Stimmt, da war doch noch was. „In The Summertime“ lautet der Titel der ersten EP der britischen Gruppe Mungo Jerry. Es wurde ihr größter, aber nicht einziger Erfolg. Bis 1974 hatten sie in England insgesamt acht Top-40-Hits, wobei sie sich von einem dem Skiffle nahen Stil (deutlich an der Besetzung ohne Schlagzeug) zum eher klassischen Bluesrock entwickelten.
Mungo Jerry in den Zeiten vor der Beschränkung auf ihren größten Hit.
Ab Mitte der 1970er wurde es ruhiger um die nach zahlreichen Umbesetzungen schließlich auf die Person des Sängers und Songwriters Ray Dorset reduzierte Gruppe. Dieser war von da an als Produzent und vor allem Verwalter des gewesenen Erfolges tätig. Nach einer missglückten Solokarriere befasste er sich mit Re-Recordings der Hits, mit Oldiefestivals und Reunions, wobei sämtliche Unternehmungen stets durch den einen großen Erfolgssong überschattet wurden.
Der aber ist in seinem wohlgemuten Froh-, ja Leichtsinn auch schwer zu übertreffen, außerdem verkauft sich eine Single nicht 30 Millionen Mal und wird danach vergessen. Schlecht verdrängen lassen sich vor allem das herzig purzelnde, sich immer wieder aufrappelnde Piano, wie es listig in den Gesangspausen aufblitzt und die Gesangslinie umspielt, deren Botschaft durch das begleitende, perkussive „Ch-Chch“ bestätigt zu werden scheint. Der Text ist auch dann, wenn man kein Muttersprachler ist, schnell zu erfassen, einfache Reizwörter wie „In the summertime“, „women“, „drink“, „happy“, „weather is fine“, „sing along with us“ sind wenig subtil und schon gar nicht ironisch auf den Singsang abgestimmt. Dass es um miteinander verbundenes Trinken und Autofahren geht, fällt dabei kaum auf. Selbstverständlich ist das höchst unverantwortlich, es zeigt aber, wie viele unausgesprochene Freiheiten damals im Pop existierten, solange sie sich nicht jenseits des Üblichen bewegten. Junge Menschen singen ihre unbedarfte Dummheit in die Welt und man lässt sie gewähren, auch das ist schließlich Freiheit. Dass sie dabei zu Schaden kommen können, muss dennoch auf jeden Fall erwähnt werden, und schon ist all das nicht mehr so fluffig.
Leicht drastisch und ein wenig blutig: Pädagogik im britischen Fernsehen der frühen 1990er.
Ich hoffe, Euch nun nicht die Freude am alkoholisierten Cruisen durch die Hoods Eurer Cities verdorben zu haben, weil Ihr so etwas eh niemals tun würdet. Herrje, krank und ermahnend, zurück ins Bett. Bis nächste Woche!