CüloMy Life Sucks And I Could Care Less
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Label:
Deranged
VÖ:
April 2013
Referenzen:
Birth Deformities, The Ramones, Crazy Spirit, OFF!, HOAX, Fucked Up
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Autor: |
Uli Eulenbruch |
Bass, Bass, wer braucht schon Bass? Cülo jedenfalls nicht: Ihr erstes Album mag in der Breite seiner beiden Gitarren ein wenig an die Voluminösität Fucked Ups erinnern, doch setzen sie über die 20 Songs von „My Life Sucks And I Could Care Less“ nicht auf Format-Aufblasen, sondern die größte Tugend des Hardcore-Punk: unkompromittierte Direktheit.
Hört man sich durch die Hardcore-Geschichte, wirkt diese mitunter wie ein sonisches Aufrüsten: schneller, dicker, lauter, komplexer. Nicht alle Bands aber können oder wollen sich eine moderne Ballou-Produktion leisten (oder etwas, das bloß eine weniger kompetente Nachempfindung davon ist), im Fall von Cülo wäre sie wahrscheinlich auch nicht angebracht. „My Attitude“ hetzt im sirenenartigen Griffbrett-Zweitonjaulen präzise klöppelnd zu einem Breakdown, fokussiert sich im vermeintlich beizubehaltenden Midtempo mit simultan voranriffenden Sechssaitern über druckvollem Kick. Gerade als sich Sänger John Nickelson in einen dichten Krächzschwall hineinsteigert, kollabiert der Song erneut, hängt zwei Sekunden genüsslich im Nichts und wetzt punktgenau übershoutet zur Punktlandung. In diesen Dynamiksprüngen wirft sich der Song hin und her, kratzt an den eigenen Rändern, auch mit einem Sound, der schon im letzten Jahrhundert als genretypisch angesehen worden wäre.
„Generic“ – im Englischen dient diese Bezeichnung oft der Abwertung, bezeichnet Musik als genre- und konventionsgetreu, nicht dem unbegründeten Ideal des „Neu“-artigen folgend. Doch wie oft sind diese Superlative und anderen Adjektiv-Extravaganzen, die der Handvoll im Feuilleton besprochenen Musik angehängt werden, lediglich etwas, das sich die Rezensierenden herbeigedichtet haben? Worte besitzen Macht, wenn man sie scheinsachlich und authoritativ gebrauchen kann. Man könnte an dieser Stelle die Basslosigkeit dieser Band als „revolutionäre Neudefinition moderner Hardcore-Banddynamiken“ anpreisen, über die Homosexualität ihres Sängers „queere Subversion“ aus dem allerwertesten Bandnamen herbeifantasieren. Oder, auf die blumige Art, geben Cülo „der Frustration und Desillusioniertheit der Jugend einen nie dagewesenen Ausdruck der Hoffnungslosigkeit“, „zeichnen ein koks- und bluttriefendes Gemälde des begrabenen amerikanischen Traums“. Irgendwo noch eine Referenz aufs Internet, zwei andere Bands und ein aktuelles politisches Ereignis, fertig ist die steile These.
Doch das wäre, wie so manche steile These, wahrscheinlich Bullshit. „My Life Sucks And I Could Care Less“ schert sich, wie der Name sagt, einen Dreck um sowas. Das Faszinierende, Mitreißende an diesem Album ist gerade konkret, wie es sich mit Expertise innerhalb der Konventionen seines Genres bewegt. Relativ eingängige Melodien werden druckvoll in den Vordergrund gerückt, mal spielt eine Leadgitarre breite Powerchords, mal gniedeln schlanke Fingeranschläge, während kehlige Shouts die Ramones-Tendenzen stets mit Schlamm bewerfen. Kunstvoll sind daran die vielfältigen Konstellationen über die bis in die Übergänge durchdachte Sequenzierung: Der Nachhall von „On The Nod“ wendet sich ins Uptempo von „I Was Supposed To Be An Abortion“, „On The Streets“ hält den Energiepegel, so dass das streng betrommelte und auf zurückgenommenen Sprechgesang fokussierte „Down In Equador“ einen Ruhepol bildet. „Adult Life Is No Fun“ bricht daraufhin mit der maximalen Effektivität aus, indem es kein Intro oder einzelnes Instrument voranschickt, sondern alle Spieler auf den ersten Schlag loslegen lässt.
„Your Art Is Getting All Over Me“ wiederum zählt mit strengen 2-3-4-Anschlagbündeln an, um die rausgebellten Titelworte ungebrochen nur so herausschwallen zu lassen. Wendefreudig beginnt die zweite Seite mit dem Trio aus „My Attitude“, dem überraschend von klapprigstem Plastikorgeln begleiteten „Sick Sick Sick“ und „DOA In My Head“, welches die Konstruktion von „My Attitude“ invertiert. Dies sind mikroskopische Betrachtungen, wenig bemerkenswert erscheinende Herausstellungsmerkmale in der ungemeinen Weite sämtlicher musikalischer Möglichkeiten. Doch es ist der kumulative Effekt, die Art, wie sie in einer kreativen Summe und Treffsicherheit die Landschaft dieses Albums prägen, die„My Life Sucks And I Could Care Less“ zu so einem herausragenden Werk werden lassen. Zwanzig Songs, zwanzigmal gehört, immer noch völlig mitreißend – wie viele Alben vermögen so etwas schon?