Der Liedschatten (106)Jesus Freaks und ein stylischer Salomo

Norman Greenbaum: “Spirit in the Sky”, Juni 1970
„Konservativ“ ist ein relativer Begriff, der davon abhängt, was genau bewahrt werden soll. Würde eine progressive Gesellschaft sich ihre Lust auf das Voranschreiten erhalten wollen, so wäre selbst das konservativ. Womöglich gäbe es dann eine hübsche Parole wie „Beharren wir im Fortschritt!“
Bis jetzt bedeutet konservativ zu sein allerdings nichts weiter als ein Faible für den Status quo oder gar Rückschritt zu haben. Dabei gibt es doch auch progressive Konservative, ein Begriff, an den ich mich aus meiner (ob ich das wohl bereits schreiben kann?) Jugendzeit erinnere, als alberne Freunde irgendetwas von progressiven Konservativen erzählten und kicherten. Sie kicherten auch über mich, glaube ich, zumindest in meiner Erinnerung, mehr als die habe ich ja nicht. Vielleicht noch die Einbildung, gut. Jedenfalls hatten sie Recht, beziehungsweise hätten es gehabt, denn zu dieser Zeit war ich, um es mit The Jesus And Mary Chain zu sagen, „(…) just a teenage Jesus freak / drunk on punk“, bevor „then I found my feet“.
Auch unsere heutige #1 von Norman Greenbaum könnte der Song eines progressiven Konservativen sein. Denn was ist „Spirit In The Sky“ anderes als ein Gospel? Und die sind ja, und das sei festgestellt und keinesfalls abwertend gemeint, auf jeden Fall tendenziell konservativ.
Als man sich daran erinnerte, dass auch Jesus lange Haare hatte, wurde der Glaube ziemlich fancy, scheint es.
Gleichzeitig ist es ein herrlich fuzziger Rocksong. Und er kann beides sein: Eine verzerrte Gitarre macht noch keinen Ungläubigen und ein Rocksong ist auch dann ein Rocksong, wenn er christlich ist. Zwar hatten Rock’n’Roll und Blues als Vorläufer des Rock nicht immer einen direkten Bezug auf den Glauben, doch bewegten sie sich meist entlang christlicher Moralvorstellung. Sünde und Teufel, Erlösung und Seele spielten dort stets eine große Rolle, und solche Themen sind ohne einen religiösen Hintergrund schwer zu haben.
Greenbaum wollte mit „Spirit In The Sky“ bewusst einen Gospel schreiben, transformierte dessen Energie aber in ein groovendes Stück hippieesker Psychedelik. Das ist nur oberflächlich betrachtet widersprüchlich, denn die meisten Hippies stehen zumindest dem Spirituellem offen gegenüber. Mögen östliche Religionen auch hipper gewesen sein und Drogen sowie freie Liebe mit christlicher Sittlichkeit schwer vereinbar scheinen, lassen sich mit ein bisschen gutem Willen und Inkonsequenz die Ideale beider Geisteshaltungen vereinbaren. Pazifismus finden beide irgendwie gut, „All You Need Is Love“ ist nicht weit weg von der Nächstenliebe, die Ablehnung des Materiellen, worunter der Besitz ebenso wie das sinnlich Fassbare zu verstehen ist, ist für sie zumindest in der Theorie sehr wichtig und führt teilweise sogar zu einem asketischen Lebenswandel. Beide Gruppen mögen das Zusammenkommen und gemeinsame Erlebnis, haben ein Faible für Rituale, Wahlverwandtschaften und hübsche Gewänder. Sogar Märtyrer und Heilige finden sich bei den Hippies, in etwa Timothy Leary, Brian Jones, Janis Joplin, Jim Morrison und Jimi Hendrix. Gut, ihr Verhalten mochte eher den Gestalten der heidnischer Mythologien entsprochen haben, aber unter dem unbedarft ausgebreiteten Deckmantel des „Love and Peace“ stört selbst die Obszönität eines Morrisons nicht weiter. Außerdem soll hier nur deutlich gemacht werden, dass Blumen- und Gotteskinder sich ineinander wiederfinden können, zumindest abseits der Amtskirchen, wo es leichter sein dürfte, sich von ein wenig Idealismus befeuert seinen eigenen Glauben zurechtzulegen.
So gibt es neben Hippies mit einem Faible für Esoterisches und Spirituelles auch hippieeske Christen. Hierzulande dürften sie vor allem als die bereits erwähnten „Jesus Freaks“ bekannt sein, eine freikirchliche Organisation meist jüngerer Christen mit Anleihen bei allem, was eine Jugendkultur „hip“ machen könnte, zum Beispiel als widerborstig verstandene Frisuren, Piercings und Tattoos, Kapuzenpullis mit Aufdruck und laute Musik. Sie sagen, sie hätten „Bock auf Jesus“, glauben an Wunder und halten von Theologie, Dogmen, Liturgien und Kirchenämtern nicht viel. Die mir bekannten waren obendrein auch noch arg mystizistisch, da musste schon einmal ein Raum von bösen Geistern freigebetet werden oder wurde jemand vom heiligen Geist ergriffen, wenn nicht sogar vom Teufel befallen.
Ein Projekt, von dem ich damals noch nichts erfuhr, ist ihre eigene Bibelübersetzung namens „Volxbibel“. Sie kann als Wiki von jedem mitgestaltet werden und weist Stellen auf wie: „Hey, selbst der große Präsident Salomo, der so stylisch gut aussah, hatte längst nicht so coole Klamotten wie eine dieser schönen Blumen. Also, wenn Gott sich schon so einen Kopf macht, wie sein Grünzeug aussieht, was ja heute noch blüht, aber morgen schon wieder vergammelt ist, wie viel mehr wird er sich darum kümmern, dass ihr gut ausseht? Glaubt ihr das etwa nicht?“. Was unbeholfen und komisch anmutet, leugnet die Geschichtlichkeit des Christentums: Salomo war ein König, kein Präsident, und als solcher hat er in der Bibel eine andere Rolle als ein Vorsitzender, eben Präsident, von denen in der Bibel nichts steht, wo es ebenso nichts Stylisches gibt. Um zu wissen, dass Geschichte einer Religion nicht auf Kosten einer unterstellten „Volx“-Sprache verleugnet und umgedeutet werden darf – vor allen Dingen nicht, wenn in ihrem Namen zahlreiche Verbrechen begangen wurden -, muss man nicht gläubig sein. Menschen, die Stylo-Präsi Salomo, den alten Pimp, und vor allem Kumpel Jesus und Chef Gott derbe abfeiern, haben aber auf Geschichtsschreibung vermutlich schlichtweg keinen Bock.
Wegbereiter der „Jesus Freaks“ waren die seit Ende der 1960er in Amerika aktiven „Jesus People“, denen „Spirit In The Sky“ sicher sehr gut gefallen hat. Falls ihr mögt, könnt ihr hier einen Film über sie sehen, über dessen Güte ich nichts zu sagen vermag, ich habe ihn nämlich nicht bis zum Ende ausgehalten.
Unsere heutige #1 hingegen mag ich selbst dann, wenn mir ihr Text nichts sagt, weil ich anders als ihr Protagonist keinen Freund namens Jesus habe und nicht damit rechne, nach meinem Tod in irgendeiner Form weiterzuleben, nicht einmal als Energie, in etwa als Wärme, die durch die Zersetzung meines Körpers freigegeben wird und auch nicht in Form von Nahrung für die Maden, die mich verspeisen werden … weiterleben, indem Maden von mir zehren, nein, das gefällt mir nicht. Vermutlich werde ich aber eh verbrannt, aus Platz- und Kostengründen, hygienischer ist es auch.
Für den Songwriter aus Massachusetts blieb „Spirit In The Sky“ der einzige Hit, 1972 beendete Greenbaum seine musikalische Karriere ohne nennenswerte Ereignisse, von der 1967er Single „The Eggplant That Ate Chicago“ seiner Band „Dr. West’s Medicine Show & Junk Band“ einmal abgesehen. Manchmal reicht ein gelungenes Stück aber vollkommen aus, und „Spirit In The Sky“ hatte sogar genug Substanz für zwei One-Hit-Wonder.
Ist das denn schon die Himmelsleiter?: Doctor & the Medics fügten dem Song 1986 nicht mehr als ein paar neue Frisuren hinzu und hatten damit ihre einzige #1.
[…] modernere Songs hören. Davon gab es 1970 genügend. Norman Greenbaum veröffentlichte mit „Spirit In The Sky“ ein psychedelisches und zugleich geistliches Lied. Simon & Garfunkels „El Condor Pasa (If […]