Justin TimberlakeThe 20/20 Experience
Tweet |
Label:
RCA
VÖ:
15.03.2013
Referenzen:
Miguel, Usher, Frank Ocean, Jamie Lidell, Michael Jackson, Pharrell
|
Autor: |
Bastian Heider |
Letztens mal wieder alte Bilder von Justin Timberlake aus den 90ern gesehen. Kaum zu glauben, dass dieses Boygroup-Hampelmännchen mit dem unschön blondierten Lockenkopf später einmal zum Konsens-Popstar der 00er-Jahre aufsteigen sollte. Doch zwei beachtliche Alben und eine Handvoll Singles für die Ewigkeit sprechen eine klare Sprache. Sein letztes Solowerk „Future Sex/Lovesounds“ ist nun auch schon wieder über fünf Jahre alt, ein Zeitraum, in dem JT seiner Marke mit TV– und Filmauftritten und der jüngst abgeschlossenen MySpace-Restaurierung erfolgreich weiteren Glanz verlieh. Man könnte es fast schon wieder langweilig finden, wie cool und souverän hier einer sein Ding durchzieht.
Die Ankündigung, für sein jüngst erschienenes neues Album erneut mit Haus- und Hofproduzent Timbaland zusammenzuarbeiten, stimmte hingegen erstmal weniger optimistisch, hatte sich der einstige R’n’B- und HipHop-Erneuerer doch über die Jahre zur ärgerlichen Signature-Sound-Nervensäge herabgewirtschaftet. Sollte also JTs goldenes Händchen hier zum ersten Mal falsch liegen? Hatte der einstige Pop-Prinz über seine zahlreichen anderen Aktivitäten schlicht und einfach den Anschluss an den musikalischen Zeitgeist verloren?
Lange braucht „The 20/20 Experience“ nicht, um all diese Bedenken in Luft aufzulösen. Schon die ersten Takte von „Pusher Love Girl“ klingen vertraut und gleichzeitig überraschend frisch. Der altbekannte Timbaland-Sound scheint hier auch deshalb wieder so gut zu passen, weil er statt auf Eurodisco-Elemente mehrheitlich auf zartschmelzenden Südstaaten-Soul setzt. Fünf schmachtende Minuten lang gleitet der Song so auf wattigen Bläsern und Streichern daher, bevor er mit wummernden Sub-Bässen und den berühmt-berüchtigten trockenen Klapper-Hi-Hats zu seinem eigenen Remix ansetzt. Die für ein derartiges „Pop-Produkt“ erstaunlich epischen Songlängen von öfters mal über sieben Minuten sind zugleich Segen und Fluch des Albums. Wo das Soundbild einerseits immer wieder durch unerwartete Breaks gelockert wird und es ergo viel zu entdecken gibt, scheint es an manchen Stellen hingegen eher so, als hätte sich das Timbo-Duo nicht zwischen verschiedenen Songideen entscheiden können und diese stattdessen einfach aneinandergereiht. Echte Hits schreibt man so jedenfalls nicht, auch dann nicht, wenn man sich ganz augenscheinlich an jüngeren Pop-Meilensteinen wie „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ oder „channel ORANGE“ orientieren wollte.
Trotz alledem ist „The 20/20 Experience“ ein ungemein reifes Album, das die verschiedensten Soundansätze zu einem funktionierendem Ganzem verpuzzelt. „Let The Groove Get In“ zum Beispiel gelingt spielend der Übergang von billigen Latin-Konservenbeats und Synthiebläsern zu schwülstigem 80er-R’n’B. Die zweite Singleauskopplung „Mirrors“ unterdessen vermählt sogar die käsigsten Coldplay-Reminiszensen zu einem ausufernden, aber letztendlich gelungenen Popsong. Erwartungsgemäß weniger gelungen sind hingegen die Lyrics, denn Timberlakes triefende Kitschmetaphern (Stichwort: „Strawberry Bubblegum“) streifen seit jeher gerne mal die Grenze zwischen Verliebtheit und Debilität. Autobiographische Deutungsansätze oder die dreiste Behauptung, ein glücklich Verheirateter liefere keinen Stoff für spannende Popmusik, schießen jedoch weit über das Ziel hinaus. Denn mal ehrlich: Wer achtet bei Justin Timberlake schon auf die Texte?
Ohne Frage ist Timberlake mit „The 20/20 Experience“ das musikalisch erwachsenste und bis dato dichteste Album seiner Karriere geglückt – einziger, aber nicht ganz unerheblicher Wehmutstropfen (und hier mögen mich die kommenden Monate bitte Lügen strafen): Es ist auch das mit den wenigsten Hits.