The MenNew Moon

Als The Men „Leave Home“ veröffentlichten, erschien es noch als würde ein neuer, aber eben auch nur weiterer Stern am Post-HC-Noiserock-Himmel aufgehen. Dass es sich bei The Men allerdings um eine äußerst ambitionierte Band handelt, machte dann ihr drittes Album „Open Your Heart“ sehr deutlich. Waren die Vorgänger noch geprägt durch eine Sozialisation in Noise- und HC-Punk mit einem Hang zur Improvisation, schlug „Open Your Heart“ etliche Haken und erinnerte in seiner Stilvielfalt an Alben von den Butthole Surfers oder besser noch von Shockabilly.

Man könnte sich dem Œuvre von The Men auch über ihre Cover-Gestaltung nähern. Stellt man die Vorderseiten ihrer drei bisherigen Alben für Sacred Bones nebeneinander, drängt sich Anhand ihrer Motivwahl tatsächlich eine sehr enge Korrespondenz von musikalischem Inhalt und Artwork auf. Das schwarz-weiße, willentlich verwackelte Bandphoto in einer dunklen Seitenstraße von „Leave Home“ wird assoziiert mit urbanen Lebenswelten und dunklen Charakterseiten, dies wird auch durch Songtitel wie „Bataille“ unterstützt. „Open Your Heart“ bricht dieses Schwarz-Weiß auf. Das Weiß wird durch violett ersetzt und das Cover zeigt eine Figur, die eine Sonnenblume in der Hand hält und ihren Kopf zu dieser neigt. Mit diesem floralen Bild gesellen sich ein vage hippieesk-naturalistisches Motiv, wiederum untermauert durch Songtitel wie „Country Song“, und eine Hinwendung zu 60er Musik in den vormals ausgestellten Noise-Punk-Furor. Es finden sich des Weiteren auch versteckte Anspielungen auf die Rolling Stones, der „Sticky Fingers“-prä-Altamont-Ära („Candy“), die nahezu maschinelle Metrik von Can („Oscillations“) oder die transzendentalen Elegien der Spacemen 3 („Presence“). Betrachtet man nun das Cover von  „New Moon“, sind sowohl die figuralen Elemente als auch die Farbe Schwarz verschwunden. Auch das Medium Photographie hat ausgedient, an seine Stelle tritt ein voll auf den Farbkontrast von Türkis und Orange setzender floraler Siebdruck, welcher die Farben beim Betrachten ein dynamisches Eigenleben entwickeln lässt. Ein Effekt, der durchaus psychedelisch zu nennen ist und der natürlich auch als inhaltlicher Hinweisgeber funktioniert, tauchen The Men mit „New Moon“ doch noch tiefer in die verschiedensten Spielarten von Psychedelic Rock ein.

Dennoch traut man am Anfang von „New Moon“ seinen Ohren kaum: „Open The Door“ wird getragen von einer anmutigen Piano-Figur, auch im weiteren Verlauf des Songs bleibt dieses das beherrschende Instrument. Nach dem Psych-Folk-Rocker „Half Angel Half Light“ taucht dann in „Without A Face“ erstmalig eine Mundharmonika, die Ikone für Folk und Blues schlechthin, als Leadinstrument auf und übernimmt unprätentiös die Rolle der führenden Gitarre. „Bird Song“ kurz vor Torschluss ist (im The-Men-Gewand) eine wasserdichte Power-Ballade, mit angezerrter Hammond und Mundharmonika, und lässt nicht zum ersten Mal Erinnerungen an die goldene Ära des elektrischen Folk-Rock (Dylan mit The Band, oder The Byrds, der „Eight Miles High“-Phase) aufkommen. Auch Wipers, Hüsker Dü oder Heavy-Psychedelic-Rock à la MC5 oder The Stooges sind sicher als Inspirationsquellen und Referenzen nicht von der Hand zu weisen. Wer dafür noch abschließende Belege benötigt, möge sich einfach „The Brass“, „Freaky“ oder direkt die achtminütige Dampframme „Supermoon“ durch die Gehörgänge blasen.

Wenn man gehässig sein möchte, könnte man The Men als Metaband bezeichnen, die geschickt in Form von Riffs und Hooks sowohl mit Versatzstücken und Zitaten der Musikgeschichte bzw. der bandeigenen musikalischen Sozialisation, aber auch mit der Erwartungshaltung und dem Erfahrungshorizont der Hörer spielt. Anders als andere Bands arbeiten The Men jedoch nicht an einer retromanischen Fortschreibung vergangener Musik im Sinne von „das-hätte-man-besser-machen-können“ oder „dieser-Strang-jenes-Stils-verdient-noch-weitere-Aufmerksamkeit“, sondern sie übersetzen eben mit Hilfe des Zitats oder der Paraphrase ihr Wissen um die Musikgeschichte in etwas Neues, Diskursives. The Men lassen den Hörer an erinnerten Emotionen, dieser Geschichte und Wissen teilhaben, weil diese Fingerzeige manchmal fast in ihrem „Original“-Zustand, bar jeglicher Verschleierung, an die Oberfläche gelangen und irgendwie trotzdem ungreifbar bleiben. Auf diese Weise bringen sie eine Transparenz in die Entstehungsgeschichte ihrer Songs, die einmal mehr so eine Konstruktion wie „musikalisches Genie“ Lügen straft und gerne – auch offensiv – eine neue Runde im Diskurs über Authentizität nach fast 70 Jahren elektrisch verstärkter Gitarrenmusik einläutet.

Auch wenn es fast schon schwer fällt, dies zu schreiben und den Eindruck erweckt, der Rezensent befände sich in einem gedanklichen Loop: The Men machen mit „New Moon“, ebenso wie Iceage mit „You’re Nothing“, im Vergleich mit deren Vorgängern noch einmal einen riesigen Schritt nach vorn, indem sie unbeirrt ihren eingeschlagenen Weg fortsetzen und an dessen Verfeinerung arbeiten. Dies ist auch dem anfangs verstörenden Song-Vierer „Open The Door“, der tatsächlich die Türe weit öffnet, „Half Angel Half Light“, „Without A Face“  und dem semi-akustischen „The Seeds“ zu verdanken, die zum Zugänglichsten zählen, was diese Band bisher veröffentlicht hat und die perfekt das Feld bereiten, auf denen die Saat die „New Moon“ noch in petto hat vorzüglich gedeihen kann. Und so ist „New Moon“ nicht weniger als das bis dato homogenste und poppigste Album der Band.

3 Kommentare zu “The Men – New Moon”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Ähnlich wie bei Ty Segalls Twins habe ich auch hier meine Zeit gebraucht, gerade mit dem ersten Drittel. Bin inzwischen komplett auf Deiner Seite, Mark: der homogenste, poppigste und vielleicht sogar beste Output der Band bislang.

  2. René sagt:

    Bin gespannt auf die Live-Qualitäten.

  3. Phil sagt:

    The Men als „Metaband“ ist eine passende Beschreibung, überhaupt eine interessante Rezension mit der Annäherungsweise über die Covergestaltung.
    Daumen hoch für New Moon und Rezensenten!

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