CandelillaHeart Mutter
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Label:
Zick Zack
VÖ:
15.02.2013
Referenzen:
Wire, Sonic Youth, Gang Of Four, Deerhoof, Liars
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Autor: |
Sebastian Schreck |
Die Eckdaten der Gruppe (denn Gruppe meint mehr als Band) Candelilla:
Steve Albini. Das ist der große Name mitsamt beeindruckendem Renommee (Pixies, Nirvana, PJ Harvey u.a.) auf dem Buckel, als Eyecatcher und Aufmerksamkeitshascher sozusagen, primär aber natürlich als Produzent bzw. das, was Albini unter produzieren versteht: (live) spielen lassen, Sounds bereichern, so wenig wie möglich nachbearbeiten. So hat er sich schließlich seinen Ruf als bester Nicht-Produzent der Welt verdient.
München. Dort wohnen die vier Frauen der Gruppe Candelilla. Dabei dachte ich: In München gibt es nichts, überhaupt nichts. Candelilla sind laut genug, das zu widerlegen. (Aufgenommen wurde das Album aber in Chicago bei Albini.)
Noise. Hardcore. Und Punk. In Sound wie Attitüde. Laute Rockmusik mit fetzig verzerrten Gitarren, die spielen Candelilla. Nur ist nichts an ihr tumb, breitbeinig oder geradlinig, was uns zum nächsten Punkt führt und uns an dieser Schnittstelle flüstern lässt:
Sonic Youth.
Kunst. Und zwar Kunst as fuck. Und damit sind nicht nur die nummerierten Songs (Keine klaren Aussagen!), die thematischen Videos (Bauen, Kälte, Gesten und Leidenschaft, mindestens) und auch nicht die Diskursivität der An- und Aussagen gemeint, sondern vor allem die Songs. Denn neben dem Noise der Gitarren, dem konzentrierten Schlagzeug, dem erstaunlich melodieverliebten Bass und einem prägnant und geschickt eingesetzten Piano sind es die Songs, die vertrackt und geradezu collagenartig zwischen Lautstärken, Emotionen, Stilen und Sprachen hin und her schwanken, modernistisch überbordernd und hektisch, versonnen und nachdenklich, wenn schon verkopft, dann mit Herz. Oder, mit dem Song „23/33“ gesprochen: „This is just a romantic concept, aha, aha.“ Dabei ist der Wechsel zwischen englischer und deutscher Sprache noch weit wilder als das, was zum Beispiel Ja, Panik in diese Richtung leisten. Exemplarisch: „A is the hardest part, B is better/ Wir sind so viel klüger/ als euer hot, hot topic.“ Diese wunderbaren Zeilen beinhaltet „21“, dessen Pianopassagen sinister und pointiert in grelle Gitarren und markerschütterndes Kreischen übergehen. Metamorphosen allerorten. Der nächste Punkt:
Songs. Und was für welche! Solche nämlich mit gut versteckten Pop-Slogans und -Melodien, mit bedingungslosen Versprechen an die Wahrheit („28“: „We choose the truth/ and the truth will be mine“), Selbstsuche statt -findung innerhalb von und weit abseits aller Grenzen („Ist es Lachen, ist es Weinen?/ Lass es Ungehorsam sein.“ – „30“, ein Pop-Hit mit zerrissenem Diskurs), Songs mit wummerndem Bass und monotonem Sprechgesang („32“: „Heart Mutter“), Songs, die geduldig auf das nahezu perfekte Rock-Sing-A-Long hinsteuern, ohne die Eingängigkeit zu überstrapazieren („26“: „The right thing/ ist the right thing/ What’s the right thing/ to do?“) und Songs, die Manifeste an Ekstase sind, stampfend, grummelnd, grell und sinnig: „Doing the straight edge/ there’s no other way“ (aus „22“). Unter dem Lärm und den Gedanken könnten sich einige Pop-Hits befinden, die gefunden werden wollen oder auch nicht. Wer sie findet, kann sich glücklich schätzen.
Komplexität. Und zwar: Lob der Komplexität! Versteckt die Einfachheit, streut Sand ins Getriebe der Klarheit, erlebt das Dysfunktionale! „Happiness is easy, my foolish friend.“ Wenn hier einer behauptet, hier regiere „der Spaß, und Spaß im besten Sinne“, dann muss das nicht stimmen. „Wir sind mit Freude dabei, unsere Wunden zu lecken … und heraus kommt kein Ganzes, aber immerhin irgendetwas“. Irgendetwas ist in diesem Fall allerhand und die einzelnen Teile benötigen kein Ganzes, um zu fordern, staunen zu machen, manchmal zu verstören und doch: zu beeindrucken.
Ein starkes Album.
Sehr tolles, schwer zu beschreibendes Album. Gerade das Tastenspiel gibt vielen Songs eine ganz eigene Wirkung, finde aber auch die (Sprech-)Sängerin unheimlich wichtig, hat eine sehr denkwürdige und einfallsreiche Art der Betonung. Ist auch mal eines der seltenen richtig stark abschließenden Alben.
Oh je! Da fangen durch die Referenzen die Ohren schon ohne Hördurchgang an zu bimmeln und dann das! Versnobbte Münchnerinnen machen auf großes Experiment. Wo ist die Wut, die den guten Albini’schen Werken und denen Sonic Youths innewohnen? Wahrscheinlich irgendwo im vom Papa bezahlten Loft verschwunden. Zum Glück fällt durch die Attitüde des „Nicht-Produzenten“ wenig auf den Großmeister der Wut, des Zorns, der Provokation zurück, der „Gruppe“ hat er hoffentlich ordentlich das Geld aus den Taschen gesaugt um damit später besseres zu produzieren. Verstehen musste er ja auch nur die Hälfte oder ist eben einfach rausgegangen.
Haha, welch schöne Polemik mitsamt abwertenden Anführungszeichen und so:)
Muss den Wut und Zorn sein? Ich finde, Musik braucht weder das eine noch das andere, um zu funktionieren. Stattdessen haben wir Kunst und erstaunlich viel Pop, auch wenn der erstmal entdeckt werden muss. Aber dahinter steckt schon Wut, wenn auch vielleicht keine allzu große Portion, oder? Und an Sonic Youth mag ich ja auch am liebsten die Kunst und den Pop.
Und der Vorwurf des Snobismus: Ja, kann man so sagen. Für meinen Geschmack ist das Urteil „verkopft“ aber nicht negativ besetzt, für die meisten dagegen- und das kann ich nicht nachvollziehen- schon, für Dich, werter Herr mit den vielen Ypsilonen, scheinbar auch. Ich mag Konzepte hinter der Musik, weil sie deren Erlebnis bereichern können. Und in diesem Fall findet sich ja noch abseits der moderaten Wut und des unauthentischen Snobismus aus Papas Luft auch das, wie schon von Uli erwähnt, wahnsinnig wirksame Pianospiel und der tolle Gesang samt seltsamer Textfragmente. Nein, also, die Platte wird mit jedem Hören besser in meinen Ohren. Vielleicht ist das der Vorteil der Kunst-Attitüde? Ich an Deiner Stelle würde der Platte noch ein, zwei Chancen geben, aber ich an Deiner Stelle hätte ja auch keinen Wutmangel und Experimentenüberschuss kritisierend diagnostiziert…
Dein Bild des durchtriebenen Geschäftsmanns Albini ist aber sehr witzig:)
Ein starkes Album, das kann man einfach mal so stehen lassen. Und dem Vorwurf bzw. dem Vorurteil von den versnobbten Münchner/New YorkerInnen mussten sich Sonic Youth anno dazumal wahrscheinlich schon genauso ausgeetzt sehen. Worauf ist der überhaupt begründet?
Nach einigen Hördurchgängen ist die Wut verblasst, der Zorn gegangen und die Langeweile geblieben, hin und wieder ergänzt durch das oft den Song zerstörende, aufdringliche Piano, welche unvermeidlich alles den achso hoch geschätzten Kunstanspruch evozieren soll. Zudem dringt manchmal die klare Kälte der Albini’schen Produktion, die ich eigentlich sehr schätze, bei dieser Art der noisigen Gitarrenmusik aber eher störend finde und man schnell versteht, warum z.B. Sonic Youth nie mit dem Meister gearbeitet haben und den warmen, verwischend-impressionistischen Sound bevorzugen. Albini erzeugt einen vollkommen transparenten Sound, der das klangliche Verwirrspiel, welche Sonic Youth spielen und wohl auch Candellela (dieser Name ist schon unsäglich) spielen wollen, vollkommen kaputt macht. Dies haben sie übrigens auf früheren Sachen besser hinbekommen, jedenfalls nach dem, was ich so gehört habe.
Der Snobbismusvorwurf ist durch eine vollkomen neutrale Studie bewiesen, die von mir, mit mir durchgeführt wurde und auf der Lektüre von „Our Band Could Be Your Life“, etlichen gesehenen Interviews und Konzerten beruht. Die Leiden des kritischen Konsumenten. Also eigentlich vollkommen egal und nur in der Hitze des ersten Gefechts herausgerutscht. Es Lebe die Kunst, aber ich bleibe dann doch lieber bei Steve selbst, Mclusky, Sonic Youth, Talk Normal etc. pp.