Der Mensch kämpft. Nach elektronischer Klangforschung und Hinwendung zum Band-Pop nun eben: maximales Theater. Leo Tolstois „Krieg Und Frieden“ sollte es sein; von Sebastian Hartmann in Recklinghausen inszeniert und während der Aufführungen musikalisch flankiert von einem Live-Set Apparats, samt riesigem Ensemble.

Längst sind jedoch alle Vorstellungen passé und die Bühne leer. Was bleibt, ist dieses nachträglich im Studio eingespielte Werk, eine Ode an das Vergangene und Verlorene, an die großen Gefühle, die damit unweigerlich zusammenhängen: „Alle Powerthemen – Verzweiflung, Verrat, Liebe – kommen vor“, diktiert Sascha Ring mit der Haltung eines Marketingkriegers ins Mikrofon des Pressebegleittext-Schreibers und gibt zugleich preis, dass dieses Werk sich vom früheren Output und auch den Live-Umsetzungen unterscheiden wird. Was sich zunächst offensiv anhört, ist jedoch eher durch Rückzugstendenzen geprägt: Geigen, Klavier, Cello – statt 30-köpfigem Ensemble wurde das Album als Trio aufgenommen, was das Werk jedoch nicht kleinformatiger macht. Nicht auf Angriff gepolt, fast introspektiv geht es zu. Die Offensive packt bloß mit einem aufbrausenden, schleierartigen und trockeneisförmigen Moment zu, was unter der Oberfläche immerwährend lauert.

Proben, Aufführungen, Jams: Die Reihenfolge wurde irgendwann bloße Nebensache und so erscheint das Werk wenig festgelegt als eine lockere Abfolge von krudem Rauschen, strukturellen Experimenten, sämigen Streicher-Parts und zwei, drei typischen Apparat-Songs, deren tiefenverbuddelte Melancholie das Herz mal wieder um Zentimeter absacken lässt. „Krieg Und Frieden“ ist das Ergebnis eines losen Prozesses und diese prozedurale Qualität formt auch das Klangprodukt: Dieses Album gefällt sich im Schwebezustand irgendwo zwischen halbfertigen Skizzen und Ausproduziertem. Apparat greift dafür die locker herumliegenden Fäden aktueller Ambient/Post-Rock-Komponisten auf und tut sich ebenso an den Sample-Fitzeleien, beispielsweise eines Daniel Lopatin, gütlich.

Schon mit seinem letzten Werk hatte es sich leicht angedeutet, dass Sascha Ring in die Breite gehen würde: Er füllt den musikalischen Raum mit Fläche. Nun ist da überwiegend Räumlichkeit, Noise, Ambient, Orchesterpop – und kaum noch ein Beat. Zu einem Gesamttrack verbunden ähneln die Songs der Alltagsprosa und den Schlachtengemälden des Literaturklassikers, der hier Pate stand. Verfranzt und verfilzt wie die Machenschaften der Aristokraten und erst Recht die Sprache Tolstois, die ebenso manieriert wie akkurat Stimmungen und Details in Bandwurmsätzen beschreibt. Texturen werden gebaut, abgerissen und durch ihren Nachhall neu geschaffen – die nachfolgende Struktur ist meist nur ein kaltes Echo der vorangegangenen. So geht das eine ganze Weile: „Blank Page“ flimmert, flirrt, dröhnt, schaukelt sich hoch – und wagt doch keine kathartische Eruption, sondern verharrt in einem nervösen Status des Dazwischenseins. Dieses Motiv der Tolstoi’schen Literatur (die Okkupierung der Heimat / das Fernsein von der Heimat) lässt sich mit dem Trägermedium der Musik auch auf zeitgenössische Phänomene des Transitorischen und Translokalen abbilden und gewinnt daraus aktuelle Relevanz. Wem das als zu viel Meta-Analyse erscheint, findet diesen Brückenschlag expliziter in den beiden Songs, auf denen Gesang eine Rolle spielt (manche sagen: das schwächste Element der letzten Apparat-Platte): Vom Verlust handelt das verhallte „Light On“. Vom Nichts, was sich schmerzhaft bemerkbar macht.

Das Unheimliche fängt an zu laufen und führt direkt ins Dunkle, was auf „Krieg Und Frieden“ leider oftmals mit kalter Nadel gestrickt und auch eher diffus und zufällig wirkt. So ist dann auch „PV“ einer der stärksten Titel der Platte. Er verspricht zunächst nur eine weitere reibeiserne Figur Störgeräusch zu werden, erinnert sich aber schnell an die zusammengekratzten Sample-Reste, die auf der zweiten Festplatte liegen und lässt sich damit willig überformen. Wenn daraufhin die Posaune einsetzt, ihr genüsslich die Luft zum Atmen genommen wird und das Schlagwerk Dominanz gewinnt, ist das einer der großartigen Momente, die auf „Krieg Und Frieden“ leider nicht allzu häufig zu finden sind.

Wer das letzte Apparat-Album mochte, wird mit diesem Werk nur bedingt glücklich. Wen jedoch die letzten Werke von Fur, Yann Tiersen oder Hecker/Lopatin faszinierten, der mag sich von „Krieg Und Frieden“ einnehmen lassen. Auf eine düstere Art und Weise  wird hier stets um die zentralen musikalischen Themen Melancholie, Traurigkeit und Abschied gekreist. Schon bei Tolstoi war die politische Rahmung bloß Bühne für das allzu menschliche innere Erleben. Für den Schmerz, der mit fletschenden Zähnen sprungbereit lauert – auch wenn er sich mitunter unsichtbar hinter der nächsten Hauswand verschanzt. Daran erinnert auch in gelungener Weise das süßlich verträumte, geradezu romantische „K&F Thema“ (mit Glockenspiel): Dessen organische Hülle trägt bereits den Nukleus der Vergänglichkeit in sich. So gerät selbst die Natur zu Apparats musikalischem Text. Und sein Text ist aus Schwingungen gebaut, die irgendwann verhallt ihr jähes Ende finden.

3 Kommentare zu “Apparat – Krieg Und Frieden (Music For Theatre)”

  1. […] “Krieg Und Frieden (Music For Theatre)” ist überwiegend instrumental und kann z.B. beim Fader vorab gehört werden. Die Kollegen von Auftouren.de haben das bereits getan. […]

  2. […] Apparat nun auch dessen Gelegenheitskollaborateurin: Electronica trifft Hochkultur. Alliens zum Album […]

  3. […] dem Tolstoi-Theater-Trip hat sich Sascha Ring aka Apparat anscheinend wieder mit den Technoavantgardisten Modeselektor […]

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