Der Liedschatten (99): Harrison / Lennon

The Beatles: “Come Together / Something”, Dezember 1969

Der nachgeborene Beatlesfan hat es leicht. Er musste die Trennung der Band nicht miterleben, sondern weiß von Anfang an: Die Beatles gibt es schon lange nicht mehr.

Vor allem muss er sich im Unterschied zu ihren zeitgenössischen Bewunderern die Frage nach dem „Warum?“ nicht stellen. Er weiß um die gesamte reguläre Diskographie, wurde darüber hinaus mit der „Anthology“ versorgt und kann auf zahlreiche mehr oder minder sachliche Bücher zurückgreifen, sogar die Musikmagazine bringen hin und wieder Sonderausgaben. Dadurch mangelt es dem Fantum ab einem gewissen Punkt an Spannung, denn was soll, von Traurigem wie dem Tod Paul McCartneys und Ringo Starrs einmal abgesehen, schon noch passieren? Vielleicht wird nach ihrem Ableben „Carnival Of Light“, ein bisher unveröffentlichtes Stück der Beatles, erscheinen, eventuell noch ein paar Memoiren oder Tagebücher, was sich halt so auftreiben und aufbereiten lässt, die Promovideos der Band gibt es ja auch noch nicht auf DVD.

Und so bleibt dem Fan nichts weiter übrig als Verfeinerung durch Sichtung und Sammeln, zwei recht gediegene Beschäftigungen, die den geradezu klassischen Platten und Songs der Beatles, Meisterwerken der Popmusik, angemessen sind. Denn die Zeitrechnung dieser Kunstform ist eine andere als die sonst übliche, seit spätestens Mitte der 1960er kann ein Generationswechsel von Jahr zu Jahr oder gar Album zu Album eintreten. In sehr kurzen Abständen entstanden unter anderem Folk Rock, Psychedelic Rock, Progressive Rock, Experimenteller Rock, Jazz Rock, Heavy Metal, Reggae und Disco. Bereits 1974 erschien „Autobahn“ von Kraftwerk, im gleichen Zeitraum entwickelte sich Punk, aber auch HipHop. Und dabei befinden wir uns erst in den 1970ern, einem Zeitraum, in dem die Beatles angesichts dieser Vielfalt und Fülle für durchaus altmodisch, wenn nicht gar antik gegolten haben könnten.

Womöglich war das bereits Ende der 1960er der Fall. Das für einstige Teenagerschwärme recht fortgeschrittene Alter, die versuchte Rückbesinnung auf die Direktheit des Rock’n’Roll, die Beschäftigung mit Religion und Politik und das Aufkommen neuer Stars wie zum Beispiel Led Zeppelin schmälerten weder Ruf noch kommerziellen Erfolg der Band, ließen sie womöglich aber wie Veteranen einer Zeit erscheinen, die im Dezember 1969 bereits Vergangenheit war. Das Woodstock Festival besiegelte den Mythos der Hippies durch scheinbare Erfüllung via Teilnahme, also Konsum, das Altamont Free Concert schließlich zeigte anhand eines Mordes, dass auch Drogen und kostenlose Musik die Welt nicht besser machen würden (wofür auch spricht, dass es damals kaum so viele Drogen und kostenlose Musik wie heute gegeben haben dürfte).

anders gehRückblickend scheint es da nur allzu passend, dass die Beatles seit August 1969 keine aktive Band mehr waren. Das erklärt womöglich auch, warum die auf „The Ballad Of John And Yoko“ folgende Doppel-A-Seite eine bloße Single-Auskopplung aus dem Album „Abbey Road“ war. Sowohl „Come Together“ als auch „Something“ sind auf der zuletzt eingespielten LP der Beatles enthalten. „Abbey Road“ ist die technisch brillanteste, am geschicktesten ausproduzierte Platte der Beatles. Zumindest diskutabel ist es jedoch, ob die darauf enthaltenen Songs durchweg zu den besten der Beatles gehören. Vor allen Dingen das Medley der B-Seite wirkt eher wie ein Glücksfall oder produktiver Umgang mit der Unlust, Songs zu beenden, die komplett entwickelt eher einer Band wie den Beatles entsprochen hätten. Vielleicht spricht daraus aber auch nur die Enttäuschung des Fans, hier nicht noch mehr Material mit solch wunderbaren Backgroundchören wie bei „She Came In Through The Bathroom Window“ zu finden. In ihnen manifestiert sich der Geist, der scheinbar das gesamte Album beseelt, nämlich dass die Beatles dann, wenn sie wollten, sehr wohl noch als Band funktionierten.

Das ist selbstverständlich nicht mehr als ein Wunsch und eine Unterstellung, aber wer würde einer Band, die Songs wie „Come Together“ und „Something“ spielt, schon abnehmen, sie wäre am Ende?

„Come Together“ ist ein reduzierter, wenn auch keinesfalls simpel gespielter, bluesiger Rocksong. Er besteht aus einem kurzen Intro, das später noch als Break genutzt wird, vier Strophen, einem sehr kurzen Refrain, einem Solo sowie einem Schlusspart. Diese übersichtliche Struktur lässt ihn trotz über vier Minuten Spiellänge kompakt, ja geradezu gedrungen erscheinen, ein Eindruck, der durch den irritierenden Text noch verstärkt wird. Hier gibt es nichts zu verstehen, nur wahrzunehmen. Das Lied ist eine undurchdringliche Einheit von Wort und Ton, womit Lennon nach gut verständlichen Songs wie „Don’t Let Me Down“ oder „The Ballad Of John And Yoko“ wieder zum Nonsens von Stücken wie „Strawberry Fields Forever“ und „I Am The Walrus“ zurückkehrt. Damit eröffnet er einen Spielraum für eben die Interpretationen, die er in „Glass Onion“ noch verspottet hat. Einzig die in der Einleitung beinahe geflüsterten Worte „Shoot Me“ sind recht eindeutig, wenn auch gewiss nicht so ernst gemeint, wie sein späterer Tod denken lassen könnte.

Trotz dieser offensichtlichen und sehr typischen Eigenheiten wurde Lennon 1973 von Morris Levy  wegen Plagiats verklagt. Dieser besaß die Rechte an zahlreichen Rock’n’Roll-Songs, unter anderem Chuck Berrys „You Can’t Catch Me“ von 1956 – ein Stück, das Lennon sicher kannte, jedoch keinesfalls kopieren wollte, selbst wenn er die Zeile „Here comes old flat-top“ zitiert und Berry als Einfluß nennt.

Hört hier irgendwer die Beatles? Wenigstens ein bisschen? Und wenn ja, dann mehr als bei anderen Rock’n’Roll-Songs?

Für Levy reichte das aus, was zu dem von Tommy James (dessen Hit „Crimson And Clover“ auf Levys Roulette Records erschien) in einem Interview Erzählten passt:

„Morris Levy, the head of the record company, was quite definitely an associate, and a very notorious individual at that. They used Roulette as a place to dump illegal funds, launder money, like a social club almost. And of course they had big meetings up there. It was a very interesting place, to say the least. (…) He was the spitting image of Al Capone, only I’d say bigger and scarier. And he played that role. He had the big, guttural voice. We go to the office and we meet him and we end up signing, and as we’re sitting there in the office two goons walk in and signal to Morris to ‚come here,‘ and he says (in deep guttural voice), ‚Scuse me.‘ And he gets up and he goes over, and you can hear him talking about busting this guy’s legs out in Jersey for pirating records. And he said (deep guttural voice), ‚You do what you gotta do.‘ All this kind of talk that means nothing except ‚we just beat up somebody.’“

Levy und Lennon einigten sich außergerichtlich. Lennon versprach, drei Songs, an denen Levy die Rechte besaß, aufzunehmen, was schließlich zu der Aufnahme des Albums „Rock’n’Roll“ von 1975 führen sollte.

Eine unverkennbare Neuschöpfung ist hingegen Harrisons erste A-Seite für die Beatles seit Bandbestehen. „Something“ ist für viele Fans und Kritiker nicht nur einer der besten Songs der Beatles, sondern überhaupt.

The Beatles 1969: vier Menschen mit jeweils einer Partnerin. Ein paar Jahre vorher waren es noch vier Menschen mit je drei Partnern und einer Partnerin.

Sogar McCartney und Lennon, die für Harrisons Songs bis dahin nie viel übrig hatten, schätzten „Something“, Lennon erklärte es sogar zum besten Song des Albums. Wir aber wollen uns darüber nicht wundern. Harrison war, das lässt zumindest sein Soloalbum „All Things Must Pass“ von 1970 vermuten, schon länger ein grandioser Songwriter, auch wenn das den beiden entging. Seit 1966 hatten sich zahlreiche Songs angesammelt, die er erst nach der Trennung der Beatles aufnehmen konnte und zusammen das beste Soloalbum eines Beatles ergaben, besser noch als John Lennons „Plastic Ono Band“ oder McCartneys „RAM“. Menschen, deren Lieblingsbeatle Harrison ist, haben auch schon verlauten lassen, die Beatles hätten sich nur deshalb aufgelöst, weil Lennon und McCartney es einfach nicht ertragen konnten, einen weiteren, ebenbürtigen Songwriter in der Band zu haben. Trotz offensichtlicher Polemik ist das nicht sonderlich abwegig, siehe ein Interview des NME mit Lennon vom Dezember 1969:

„The problem is that in the old days, when we needed an album, Paul and I got together and produced enough songs for it. Nowadays there’s three of us writing prolifically and trying to fit it all onto one album. Or we have to think of a double album every time, which takes six months.
That’s the hang-up we have. It’s not a personal ‘The Beatles are fighting’ thing, so much as an actual physical problem. What do you do? I don’t want to spend six months making an album I have two tracks on. And neither do Paul or George probably. That’s the problem. If we can overcome that, maybe it’ll sort itself out.
None of us want to be background musicians most of the time. It’s a waste. We didn’t spend ten years ‘making it’ to have the freedom in the recording studios, to be able to have two tracks on an album. It’s not like we spend our time wrestling in the studio trying to get our own songs on. We all do it the same way… we take it in turns to record a track. It’s just that usually in the past, George lost out because Paul and I are tougher. (…)
“This is why I’ve started with the Plastic Ono and working with Yoko… to have more outlet. There isn’t enough outlet for me in the Beatles. The Ono Band is my escape valve. And how important that gets, as compared to the Beatles for me, I’ll have to wait and see.“

Warum sollte jemand wie Lennon, der in seinem Song „God“ singt, er würde an nichts außer sich selbst und seine Liebe zu Yoko Ono glauben, Interesse daran haben, etwas zu „My Sweet Lord“ von Harrison – einer Hymne nicht nur an Krishna, sondern den religiösen Glauben an sich – beizusteuern? Die Größe der Beatles bestand 1969 darin, sich für „Abbey Road“ noch einmal zusammenraufen zu können, ansonsten waren sie schon längst drei eigenständige (und ein mehr oder minder eigenständiger) Künstler geworden. Harrisons „Something“ unterscheidet sich von den anderen Stücken auf „All Things Must Pass“ vor allem im Sound der Produktion, nicht im Songwriting oder der Instrumentierung, selbst die von nun an für ihn typische Slidegitarre ist schon vorhanden. Die Trennung der Beatles musste nur noch öffentlich gemacht werden, vollzogen war sie bereits.

 „I don’t really remember anything about the Beatle-days“: Ab ca. 05:30 gibt’s Vernünftiges über die Trennung der Beatles zu hören, drumherum aber auch mal ziemlichen, wenn auch guten, Quatsch.

5 Kommentare zu “Der Liedschatten (99): Harrison / Lennon”

  1. Watzlaff sagt:

    Großartig geschrieben! Weiter so!

  2. Lennart sagt:

    Besten Dank, ich gebe mir Mühe. Auf einen Fehler wurde ich aber dennoch aufmerksam gemacht, der muss jetzt erst mal raus.

  3. Pascal Weiß sagt:

    Auch von mir Glückwunsch, Lennart. Super Arbeit.

    Doch eigentlich wäre dies doch die perfekte Folge 100 gewesen, was?

  4. Lennart sagt:

    Wiederum vielen Dank, Pascal! Ja, an sich schon, die ist aber Roy Black vorbehalten… der hatte, glaube ich, auch schon die Folge 50 okkupiert. Schade, schade. Überhaupt sehr schade ist, dass die Beatles nur noch eine #1 in der BRD hatten, danach werden wir nimmermehr von ihnen hören… naja, indirekt sicher. Aber nicht mehr so richtig.

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