Die 777-Trilogie: Blut is the new black


Als Vindsval, das einzige dauerhafte Mitglied von Blut Aus Nord aus dem französischen Calvados, am 28. April 2011 das erste Album der 777-Trilogie „777 – Sect(s)“ veröffentlichte, dürften die wenigsten Hörer auch nur im Entferntesten geahnt haben, wohin diese persönliche Reise Blut Aus Nord führen würde.

Zur Erinnerung: 2011 waren die Genregrenzen überschreitenden Alben von Wolves In The Throne Room, Liturgy oder Krallice noch nicht oder gerade erst erschienen. Während Doom-Metal durch Bands wie Sunn O))), z.B. auch durch deren Kollaboration mit den japanischen Heavy-Psychedelic-Rockern Boris, durchaus schon einiges an Aufmerksamkeit außerhalb eingefleischter Aficionadozirkel gefunden hatte, assoziierte man Black Metal, zumindest hierzulande, noch oft mit den Auswüchsen skandinavischen BM – antisozial, misanthropisch, oft rassistisch und einem mystifizierten nordisch-arisch-paganen Wikingerwunderland anhängend. Die eigentliche Erneuerung des Genres und seine Befreiung aus der unangenehmen Vereinnahmung durch rassistische, chauvinistische Zirkel muss zu großen Teilen dem US-Black-Metal auf die Fahnen geschrieben werden, auch wenn es dort mitunter NS-Strömungen innerhalb des Genres gibt.

Die Renovation verlief zweigleisig: Auf der einen Seite wurde das musikalisch Machbare neu justiert, Drone- und Doom-Elemente wurden ebenso wie Anleihen von Progressive- und Psychedelic Rock und sogar Shoegaze integriert, oder, wie bei Liturgy, die mathematischen Strukturen und die Repetition in den Vordergrund gestellt. Auf der anderen Seite wurde weitgehend auf  genretypische Verkleidungen und Schminke sowie auf einen cartoonigen Satanismus verzichtet und teilweise an die anarchistische, vegane/vegetarische Tradition des frühen Grindcore (z.B. Napalm Deaths „Scum“) angeknüpft, ohne natürlich die genreimmanente Todes-, Natur- und Mythenmetaphorik zu vergessen.

„777 – Sect(s)“ erschien im April 2011 zu einer Zeit, als sich das Genre erneut im Umbruch befand. Die sechs Songs „Epitome I“ bis „Epitome VI“ – die Nummerierung der Songs sollte auch bei den folgenden Alben beibehalten werden – präsentiert Blut Aus Nord noch als stark im traditionellen Black Metal verwurzelt. Die vorherrschende Stimmung ist grimm und aggressiv. Songs wie „Epitome I“ oder „Epitome III“, die beim unbedarften Hörer die Assoziation einer Kakophonie aus Gitarren, Drums und Grunzlauten evozieren, offenbaren beim genauen Lauschen Strukturen als ordnende Instanz in der ausgestellten Dissonanz. Denn auch wenn Black Metal aus einer DIY-Szene entstand, in seiner heutigen Erscheinungsform wird nichts dem Zufall überlassen und die Musik besitzt eine nicht zu unterschätzende Komplexität. Ein sehr anschauliches Beispiel hierfür bietet das Schlagzeugspiel des epischen „Epitome IV“, wobei hier mal dahingestellt sei, ob dieser Beat gespielt oder programmiert ist. Was sich jedoch auf „777 – Sect(s)“ schon andeutet, ist der Entschluss, sich an die Möglichkeiten und Grenzen des Genres heranzutasten und diese durchaus auch mal zu überschreiten. Ein Ansatz, der für die folgenden beiden Alben der Trilogie eine noch größere, sogar tragende Bedeutung erhalten sollte.

Schon am 11. November 2011 folgte mit „777 – The Desanctification“ (Epitome VII – XIII) der Mittelteil der Trilogie. Die Songs werden noch elegischer, gehen noch mehr in die Breite, ein Umstand der auch der zaghaften Integration von Synthesizern geschuldet ist, manche Gitarrenparts wirken offensiv geloopt („Epitome VII“ und „Epitome X“) und verschaffen der Ein-Mann-Kapelle somit mehr Raum für weitere Layer. Der Sound wird raumgreifender, weniger klaustrophobisch, bleibt jedoch bedrohlich; das Tempo wird für Genreverhältnisse streckenweise beinahe auf Zeitlupe verlangsamt, um dann passagenweise umso brachialer zu explodieren. Reminiszenzen an Industrial, Gothic und Doom sowie Maschinenbeats („Epitome X“) tauchen auf und auch vor der großen Geste der breitbeinigen, melodieselig-melancholischen Gitarrenfigur wird nicht mehr zurückgeschreckt.

Für diese Entwicklung fast schon exemplarisch erweisen sich direkt die achteinhalb Minuten des eröffnenden „Epitome VII“, zugänglicher hatten Blut Aus Nord bis dato nicht geklungen. Allerdings schlägt „Epitome VIII“ anschließend die geöffnete Tür erst einmal mit brachialer Geschwindigkeit und Noise wieder zu, um nachfolgend in seiner Mitte eine zum Heulen schöne Gitarrenlinie über die endlose Eiswüste gleiten zu lassen. „Epitome X“ und „Epitome XI“ wiederum eignen sich mit ihrer offerierten Hymnenhaftigkeit ebenfalls hervorragend als Einstieg in den neuen Klangkosmos.  Durch die ausgestellte Vielseitigkeit, die Ansatzpunkte zu diversen anderen Genres bot, war „777 – The Desanctification“ auch das Album, welches Leute außerhalb der (Black-)Metal-Szene endgültig aufhorchen ließ.

Am 21. September 2012, fast ein Jahr nach der Veröffentlichung von „777 – The Desanctification“, präsentierte Blut Aus Nord mit „777 – Cosmosophy“ endlich den Abschluss der Trilogie. Schon beim Vorgänger konnte darüber diskutiert werden, ob das Dargebotene denn noch der „reinen Lehre“ gehorchte, doch eins war sicher: In ihm schlägt unverkennbar ein Herz aus Metal.

Für „777 – Cosmosophy“ greift Vindsval aber noch tiefer in die Büchse der Pandora. Zwar arbeiten Blut Aus Nord konsequent weiter an der Formung monumentaler Klangkathedralen, so schließt „Epitome XIV musikalisch denn auch nahtlos an den Doom von „Epitome XIII“ an, bietet aber Gesangspassagen, wie man sie auch von Baroness vernehmen könnte. Insgesamt lässt sich feststellen, dass genretypischer, gutturaler Gesang merklich in seiner alleinigen bedeutungsschweren Macht weiter in den Hintergrund tritt. Genrepuristen, die die Inkorporation von Doom noch nachvollziehen konnten, dürfte spätestens bei „Epitome XV“ das Blut in den Adern kochen, wenn ihnen, in ketzerischer Weise, französischer Rap(!!) in die Ohren züngelt. Und gelegentlich kriechen einem beim Hören tatsächlich auch dunklen Gedanken an Nu Metal, Linkin Park und Kitsch durch den Kopf, um jedoch anschließend von einem Tonlagenwechsel oder Riff wieder ausradiert zu werden.

Vindsval ist unverkennbar viel zu sehr Freigeist, als das er vor solcher Anstößigkeit Bedenken hätte. Wie er sich auch recht wenig Gedanken über das Bauchpinseln seiner Fans macht, so verweigert er sich vehement den Wünschen nach Live-Auftritten, indem er zu Protokoll gibt: Seine Musik, besonders die „777“-Trilogie, sei eine reine Solonummer – sehr persönlich. Von ihm allein produziert, um allein in kontemplativer Stimmung gehört zu werden, schon der Gedanke an die Mitwirkung anderer Musiker an dieser Arbeit sei ihm unvorstellbar gewesen. Am Ende von „Epitome XVIII“ findet die Trilogie ihren Abschluss in einem sanften elektrischen Drone, von dem ich mir wünschte, er wäre auf der Vinyl-Version des Albums als Endlosrille zu finden. Nichts wäre ein würdigeres Ende für dieses herausragende Opus Magnum als seine Ausdehnung in die Unendlichkeit …

Metal ist in den letzten Jahren aus einem – gefühlt – langen Dornröschenschlaf am Rande der Bedeutungslosigkeit des rein konservatorischen Traditionalismus erwacht. Davon zeugen nicht nur die anfangs erwähnten Bands, sondern auch andere Protagonisten wie z.B. Pallbearer, die im letzten Jahr ebenfalls ein feines Album veröffentlicht haben.

Indes gelten Blut Aus Nord mittlerweile als immens einflussreiche (Black-)Metal-Band, die fast im Alleingang das Genre transzendiert hat und die „777“-Trilogie zählt mit Fug und Recht zum Besten, was Metal in letzter Zeit geschaffen hat.

„777 – Sect(s)“, „777 – Desanctification“ und „777 – Cosmosophy“ sind auf Debemur Morti erschienen.

13 Kommentare zu “Die 777-Trilogie: Blut is the new black”

  1. Nocturno Culto sagt:

    Wenn sich nicht so viele pseudo-intellektuelle Deppen wie der Herr Autor an progressivem Black Metal à la BAN ergötzten, würde solche Musik innerhalb der Szene auch ein höheres Ansehen genießen. Die alten (wahren) BM Bands sind übrigens tausend Mal besser, als Krallice und Liturgay, selbst wenn das nicht dem political correctness-Grad der Poser hier entsprechen mag!

  2. Pascal Weiß sagt:

    Hehe, Mark, Du bekommst echt immer die Besten zugelost;)

  3. Da hast du recht! Es ist aber auch zu lustig…

  4. Ganz alte Schule halt. Hat sich da etwa der Wigger auf unsere Seite verirrt?

  5. Hihi. Beinahe könnte man neidisch werden, Mark. Und so zerstört man also das Ansehen einer Black Metal-Band? Und „Poser“… sehr gut! Nicht schlecht! Klar, Darkthrone hätten uns seinerzeit sicher auch echt doof gefunden, wobei ich jetzt gar nicht weiß, ob ich den Namen überhaupt in den Mund nehmen darf…

  6. Sicher nicht!! Der ist jetzt entweiht und die Band damit sicher im „Inner Circle“ diskreditiert. Ich wusste auch nicht das deren Sänger/ Bassist so fließend unsere Sprache spricht ;-)

  7. Nocturno Culto sagt:

    Jaja, ihr seid alle so erwachsen, Kompliment! Nochmal meine ursprüngliche These in simple Worte gefasst: Man kann eine gute Band wie BAN auch mögen, ohne so übertrieben arrogant zu sein. Venom, Bathory, Mayhem, Burzum, Darkthrone, Vlad Tepes, Mütiilation, Inquisition usw. sind einfach „wahrer“ Black Metal. Respektiert Black Metal für das, was diese Strömung wirklich darstellt und bildet euch nichts auf eure progressiven (böse Zungen würden sagen „hipster“) Bands ein.

  8. Lennart sagt:

    Es ist ja durchaus in Ordnung, sich ein wenig Respekt für die Begründer eines Genres zu wünschen. Nur ist es bei sozusagen Nachgeborenen eben oft so, dass sie in der Gegenwart, bei neueren Bands beginnen und sich dann nach hinten arbeiten. Da hilft eine kurze Aufzählung wie in Deinem letzten Kommentar mehr als der Vorwurf, Musik dadurch zu diskreditieren, dass man sie hört.

  9. Bastian sagt:

    Und dass die von dir aufgezählten Genrebegründer zu Teilen ein zweifelhaftes bis absolut krankes und rassistisches Weltbild vertreten, lässt sich auch kaum wegdiskutieren. Also darf man es ruhig begrüßen, wenn Bands wie Krallice oder Liturgy sich davon distanzieren. Als ob die Musik dadurch irgendwie an Authentizität verlieren würde.

  10. Nocturno Culto sagt:

    Dass die Begründer fragwürdiges Gedankengut vertreten streite ich doch gar nicht ab. BM ist nunmal eine extreme Bewegung. Deswegen stört es einfach, wenn gewisse Leute plötzlich z.B. Krallice entdecken und sich plötzlich einbilden, sie wüssten, wie richtiger BM zu klingen habe und welche Ideen er vertreten solle. Ich mag ja selber Blut Aus Nord und selbst Wolves in the Throne Room sehr gerne. Aber ich sehe in ihnen nicht den neuen „reifen“ Black Metal. Ich sehe darin einfach gute progressive Musik dunkler Art.

  11. Also, ich frage mich langsam, was für eine Meinung du überhaupt vertreten willst! Nazi-Bands vertreten auch eine „extreme Bewegung“ und trotzdem wenn jemand NS-Weltanschauung und Propaganda vertritt und verbreitet, dann ist und bleibt das SCHEISSE!
    Und ich glaube in diesem Punkt sind wir uns hier alle einig.

  12. Nocturno Culto sagt:

    Der Reiz der ursprünglichen Black Metal Bewegung liegt nun einmal im Extremen. Sei es Hass auf das Christentum, die USA oder generell die moderne bürgerliche Gesellschaft (Norwegen), radikaler Pessimismus, Menschenverachtung und Satanismus (Les Legions Noires) oder theistischer Satanismus (Orthodox Black Metal), BM Bands treiben den Hass und die Verachtung auf die Spitze. Bands wie Nokturnal Mortum, Drudkh, Drowning the Light usw. sind auch eigentlich keine typischen Nazis, sondern verwenden gerne NS-Ästhetik um zu provozieren und ihren kulturpessimistischen Antikonformismus zu radikalisieren. All diese Dinge gehören zum Black Metal dazu. Ich hab übrigens nichts dagegen, wenn du BAN hörst; es stört mich lediglich, wenn man „sozial akzeptablen“ BM benutzt, um auf die Väter des Genres hochnäsig herabzublicken.

  13. […] genannt wird und zu der beispielsweise auch Altar Of Plagues, Liturgy, Krallice oder Blut Aus Nord gezählt werden können. Jene Bands zeichnen sich durch die Öffnung des Genres für Einflüsse […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum