Reib (XVI): Burning Down The House

„Mann, lange nichts mehr von Dir gehört, Reib.“ Bauke putzt sich übertrieben vorschriftsmäßig die Schuhe ab, bevor sich die beiden herzlich umarmen – und dabei etwas ungelenk gegenseitig ihre Kippen ausdrücken.
„Musste eine Weile untertauchen.“
„Untertauchen?“ ist das Letzte was Bauke fragt, bevor seine Brille vollends beschlägt.
„Ja, nach dieser verflixten Odyssee mit Janine. Habe gleich geahnt, dass da was faul ist. Jedenfalls hatte sie einen Ex-Freund, der das „Ex“, sagen wir, anders auffasst als Du oder ich es tun würden. Und der in der Nordstadt erstaunlich viele Brüder zu haben scheint. Und Hunde, Spürhunde und all das, wenn Du weißt, was ich meine.“
„Wie, die haben Dich ausfindig gemacht?“
„Die haben ordentlich Möbel verrückt bei mir, sag ich Dir. Die Bude sah aus wie Sau. Also noch mehr als sonst.“
„Hä, wieso musstest Du denn dann noch untertauchen? Nachdem sie Deine Rumpelkammer eh schon einmal umgekrempelt haben.“
„Ich war ja nicht da. Und irgendwie sah der Tatort so aus, als würden die noch mal wiederkommen, weil sie noch nicht fündig geworden sind.“
„Verstehe.“
„Da ich eh umziehen wollte, dachte ich mir: Noch deutlicher müssen die Zeichen ja nicht werden. Erstmal raus da, soll sich doch ein anderer mit den Herzallerliebsten anfreunden.“
„Du bist echt direkt raus?“
„Die Wohnung sofort ins Netz gestellt und hatte innerhalb von einem Tag gleich fünf Anfragen. Dann ging alles ganz schnell. Da ich noch keine neue Bleibe hatte, musste ich mich erstmal ne Weile durchschlagen. Ein paar Klamotten in die Garage bei Ansgar, zudem eine neue, naja, Bekannte, bei der ich…“
„Du hast echt gar nichts dazu gelernt, oder?“
„Warum? Dieses Mal habe ich strengstens darauf geachtet, dass SIE nicht mit „Ja-“ anfängt. Läuft gut.“
„Weil Du Möbel unterbringen willst, lässt Du Dich gleich nach dem letzten Fiasko, ach, was heißt nach DEM letzten – wie bildet man hier eigentlich gleich den Plural? – also, nur deswegen …“
„Nein, nein, die Frau ist echt töfte. Zum ersten Mal das Gefühl, das könnte echt was geben.“
„Immer noch die gleiche Leier.“
„Sagt wer? Oder hat sich da bei Dir inzwischen überhaupt mal was getan?“
„Hast Du Bier im Haus?“
Reib geht sporadisch zum Kühlschrank, als hätte er den Stunden seines Filmrisses tatsächlich mal was Gutes zugetraut und würde einen inzwischen gefüllten Kühlschrank vorfinden: „Hätte nicht gedacht, diese Frage je verneinen zu müssen. Wohl noch nicht so richtig eingelebt hier“, ruft er aus der Küche.
„Da vorne hat doch gerade ein Kiosk aufgemacht, zwei Häuser weiter“, erwidert Bauke, noch immer im Flur verharrend und weiterhin im Clinch mit der willensstarken Brille.
„Ein Kiosk. Echt? Wann das denn?“
„Wohne ich hier oder Du? Wann warst Du denn das letzte Mal draußen?“
„Gestern Nacht, denke ich. Aber da waren überall die Rollläden runter. Auch wenn ich das jetzt nicht beschwören würde.“
„Oh Mann. Ja, was ist jetzt, wollen wir uns den Laden erstmal ansehen? Ich hoffe der hat nicht bloß die Standard-Biersorten.“
„Dieser Pessimismus.“
„Und Du meinst echt, hier im Süden der Stadt bist Du sicher vor der Meute?“
„Soll ich etwa noch weiter weg ziehen?“
„Ich frag ja nur. Und warum muss es eigentlich wieder der dritte Stock sein?“ Die Treppe runter, an den schreienden Kindern in der zweiten Etage vorbei, an der lauernden Katze im Ersten.
„Sitzt die immer hier, Reib?“
„Keine Ahnung.“
Draußen sind es tatsächlich nur wenige Meter bis zum Kiosk. „Das ist ja praktisch, bis dahin schaffst Du es selbst bei Platzregen. Wow, hat sogar ein Vordach für Stamm-Trinker.“ Er lächelt. Draußen bringen zwei mehr oder weniger motivierte Männer mittleren Alters gerade ein etwas abgehalftertes Schild an: „Trinkhalle“.
Reib spöttisch: „Diese Schilder sehen echt überall gleich aus, oder? Könnte glatt das aus der Nordstadt sein, von dem Kiosk direkt neben meiner alten Wohnung.“
Da macht bereits ein nettes und in erster Linie großes, blondes Mädel die Scheibe zur Seite. Ziemlich groß sogar. Und viel. Und möglichst wenig, was dies verdecken könnte. „Na, wollt ihr meine ersten Kunden sein?“ fragt sie erwartungsvoll.
„Hola, was kostet denn das Gesamtpaket, ich bin nämlich gerade etwas knapp bei Kasse?“ ist das, was Reib nicht fragt. „Ähm, ja, was habt ihr denn für ein Sortiment an Bier? Und wie heißt Du eigentlich? Sollte man immer direkt klären, sowas.“
„Also, wir haben Kronen, Stifts, Brinkhoff’s, DAB und …“
„Da kommt aber jetzt noch was, hoffe ich?“
„Klar, zudem …“
„Mensch, Reib!“ posaunt eine Stimme aus dem hinteren Teil des Kioks. Es ist Günni, ein alter Bekannter.
„Günni, verdammt, was machst Du denn hier?“
Bauke blickt in die Runde und braucht einen Moment, um klare Sicht zu bekommen: „Reib, das ist nicht euer Ernst, oder? Der ist Dir doch tatsächlich hinterher gezogen?“ Er nimmt einen ersten Schluck aus der Flasche, die er gerade etwas unbedacht bezahlt hat und achtet gar nicht darauf, dass er Kronen partout nicht mag.
„Willst Du denn jetzt noch meinen Namen wissen?“ zwinkert die große Blonde mit aufreizender Geste dazwischen und lässt den Blick wieder auf ihre (immer noch nicht ganz freiliegenden) Brüste richten.
„Und wer ist das eigentlich, Günni?“ fragt Reib und erntet lediglich ein provozierendes „Warum fragst Du mich nicht selbst?“
„Häh..“
Günni schaut fast etwas entschuldigend drein: „Was blieb mir denn für eine Wahl? So richtig rentabel war der Laden in den letzten Wochen nicht mehr, ein ziemliches Umsatz-Loch. Da muss es irgendwie einen losen Zusammenhang mit Deinem Weggang geben, Reib. Als ich dann das Angebot meines Onkels bekommen habe, hier im Süden zu – na, ihr wisst schon – günstigen Konditionen was Neues aufzumachen, musste ich nicht lange überlegen.“
Bauke setzt die Flasche kurz ab und blickt mit Wahrsager-Pose in den Himmel: „Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Kiosk-Besitzer zieht bestem Kunden hinterher.“
„Woher, verdammt noch mal, kommst Du eigentlich darauf, dass ich hier …“ beginnt Reib, ohne auch nur zu versuchen, seine Nervosität zu überspielen.
„Naja, in der Nordstadt hat man, oder sagen wir zumindest EINE, irgendwie Wind von der Sache bekommen. Dann spricht sich sowas natürlich schnell rum, kennst das ja, ne.“
„Stop Making Sense“ von den Talking Heads ist 1984 via Sire erschienen.