Der Liedschatten (96): Wie schlimm alles wird

Zager and Evans: “In the Year 2525 (Exordium and Terminus)”, September – Oktober 1969

Die Reihe „Der Liedschatten“ gibt es seit genau zwei Jahren. Inklusive des heutigen Songs wurden bereits 96 Nummer-Eins-Hits aus den Charts der BRD mehr oder minder genau betrachtet. Dieses kleine Jubiläum macht mich fragen: Soll es denn immer so weitergehen?

Die Antwort lautet: Ja, an sich schon, vermutlich bis zu den Hits des Jahres… sagen wir: 2009 erst einmal. Denn wenn wir dort angekommen sind, ist für uns selbst mit Sicherheit bereits das Jahr 2021 angebrochen. Und in dem schauen wir dann weiter. Was sich aber bis dahin an dieser Stelle abspielen wird, ist so ungewiss nicht. Ich habe vor, einfach so wie bisher je nach Song und Laune zu unterschiedlichen Anteilen Fakten zusammenzutragen, Biographisches zu erwähnen und eher assoziativ als argumentativ zu schwadronieren. Alles in allem beabsichtigte ich, diese letztendlich doch von Dilettantismus, Wahnwitz und Anmaßung geprägte Textreihe einfach weiterzuführen.

Nun überlege ich, die Texte tendenziell etwas kürzer zu halten, wobei ich mir da keinen Zwang antun werde. Gerät ein Beitrag länger, so bleibt er das auch. Womöglich wird der Liedschatten demnächst als Teil einer monatlichen Radiosendung zu hören sein, dazu dann demnächst mehr an dieser Stelle. Und es kam mir der Gedanke, eine Fanzine-Variante der bisherigen Folgen anzufertigen, ähnlich des Fanzines „Transzendieren Exzess Pop“, dessen nächste Ausgabe bald inklusive eines Samplers erscheint, womit ich das schon einmal beworben hätte.

Solltet Ihr irgendwelche Ideen bezüglich formaler Änderungen haben, könnt ihr mir gerne einen Kommentar hinterlassen. Überhaupt ist in dieser Form Raum für jedwede Anmerkung gegeben. Auch inhaltliche Kritik nehme ich gerne wahr.

Schreiten wir nun aber in unserer kleinen, spleenigen Reihe fort, widmen wir uns der nächsten #1 des Jahres 1969, dem schmissigen Hit der Songwriter Zager and Evans aus den USA, die sich mit „In the Year 2525 (Exordium & Terminus)“ in eine Reihe mit ihren Vorgängern auf dieser Position stellen.

Evans erinnert äußerlich stark an Numminen, nur ist der visionärer.

zager_evansDas betrifft keinesfalls ihre Qualität, sondern das Verbreiten einer Botschaft, die sich recht allgemein als „gesellschaftskritisch“ bezeichnen lassen könnte – was aber nicht mehr bedeutet, als dass Menschen zum Nachdenken über etwas gebracht werden sollen. Natürlich kann diese Absicht nur unterstellt werden, vielleicht ging es auch nur darum, populäre Themen aufzugreifen und sich von anderen Bands abzugrenzen, indem eben nicht nur von Liebe gesungen wurde. „The Israelites“ thematisiert das an Sklaven erinnernde Dasein der Nachkommen ebensolcher, „The Ballad Of John And Yoko“ empfiehlt unter anderem die Herbeiführung des Friedens durch den Verbleib im Bett, „Oh Happy Day“ berichtet von durch Religion erlangter Freude und „In The Ghetto“ lässt anklingen, dass die Verantwortung für Verbrechen nicht allein beim Täter liegen könnte.

Zager and Evans halten sich nicht bei solchen Kleinigkeiten auf, sie beschreiben in ihrem doch recht ungewöhnlichen Hit die Zukunft der Menschheit, die sie als eine plumpe Dystopie, als einen von technischen Entwicklungen verursachten Niedergang der Humanität darstellen. In hübschen Schritten von anfangs 1010 Jahren wird eine Vorhersage über die Entwicklung des menschlichen Lebens ab dem Jahre 2525 getroffen. Diese gestaltet sich wie folgt:

Jahr 2525: Leben da noch Männer? Und Frauen, leben die auch noch („if man is still alive / if woman can survive“)? Falls nein, müsste nun rückwärts gezählt werden, sonst ergibt dass doch keine richtige Geschichte. Doch hurra, sie leben noch, und so schlucken sie dann im

Jahr 3535 Pillen, die ihnen jeden Gedanken, jede Handlung und alles Gesagte vor- oder auch mitgeben, man weiß es nicht genau („everything you think, do and say / is in the pill you took today“). Es gibt also keine Entscheidungsfreiheit mehr, alles ist in täglichen Dosen vorherbestimmt. Das ist nicht originell und etwas paranoid, aber brrrr!, schien zu wirken, der Song verkaufte sich bis heute um die 10 Millionen Mal.

Jahr 4545: Wenn’s Pillen gibt, braucht man was nicht? Eben, Zähne. Und keine Augen, ähem, klar. Es gibt nichts zu kauen, niemand schaut einen an („you won’t find a thing to chew / nobody’s gonna look at you“). Was für eine freudlose Welt muss diejenige sein, in der es trotz ansonsten handlicher Ernährungsweise nicht einmal mehr Kaugummis gibt?

Jahr 5555: Nun kommt’s aber noch schlimmer: die Arme sind zu nichts mehr zu gebrauchen, die Beine werden nicht mehr benötigt, weil Maschinen ihre Funktion übernehmen. Wir befinden uns offensichtlich im Transhumanismus, dem die beiden Folkrocker nichts abgewinnen können. Die Menschheit, wie sie von ihnen gesehen wird, ist zu diesem Zeitpunkt mittlerweile degeneriert. Ob sie uns damit wohl etwas sagen möchten?

Jahr 6565: „You won’t need no husband, won’t need no wife“, denn die Babies kommen aus Glasröhren. Verheiratet braucht auch niemand sein, gut. Nur warum erst jetzt? 1010 Jahre vorher konnten sie bereits ihre Arme und Beine nicht mehr benutzen, hatten aber dennoch ein Sexualleben? Hier liegt doch was im Argen.

Jahr 7510: So, nun ist aber auch mal gut, denn Gott sieht das ähnlich. „If God’s a-coming, he oughta make it by then“, also wann, wenn nicht jetzt? In etwa 7511? Lachhaft! Die Menschheit hat’s zu bunt getrieben, nun wird aufgeräumt, „Guess it’s time for the judgement day“ sagt Gott und schaut sich noch mal um.

Jahr 8510: „God is gonna shake his mighty head / he’ll either say ‚I’m pleased where man has been‘ / or tear it down and start again“, das dauert, so ein göttliches Kopfschütteln. Es stellt sich die Frage: Ist Gott erfreut?

Jahr 9595: „I’m kinda wonderin‘ if man is gonna be alive“, das tun auch wir. Wie hat sich Gott entschieden? Immerhin hat der Mensch „taken everything this old earth can give / and he ain’t put back nothing“, und da haben die beiden Sänger in ihrem einzigen Charterfolg durchaus recht und geben nun den entscheidenden Hinweis, „Now man’s reign is through“, Schluss, aus, vorbei.

Doch seht! Es funkeln die Sterne, und womöglich beginnt ja alles von vorne beziehungsweise begann bereits, „maybe it’s only yesterday“.

Was aber lernen wir daraus? Nichts, denn die Erzählung ist zyklisch und ein Ausweg deshalb nicht in Sicht, die Zukunft missraten, weil die Menschheit, ja, weshalb denn? Technik nutzt? Es klingt ganz danach, und man wundert sich doch sehr, schließlich ist es deren Aufgabe, den Menschen das Leben zu erleichtern, indem Arbeitsabläufe automatisiert werden und der Mensch mehr Selbstbestimmung durch mehr Muße erlangt. Gut, die Gegenwart sieht nicht danach aus, als würde sich das Leben dementsprechend gestalten, aber wer weiß, vielleicht kommt das ja noch, denn die Ursachen dafür liegen nicht in der Technologie an sich, sondern Gesellschaftsform begründet.

Es sei an dieser Stelle deshalb Dietmar Daths Essay „Maschinenwinter“ empfohlen, in dem sich zwar keine Wahrheit finden lässt, der aber bestenfalls einem Pessimismus wie in unserem heutigen Song entgegenwirkt. Das ist möglicherweise weniger schmissig als ein dramatischer Uptempo-Song, kommt aber auch mit weniger Klischees und gänzlich ohne pathetische, aufdringliche Tonartwechsel aus. Wobei dem Stück zugute gehalten werden kann, dass seine Struktur ohne Refrain das passende Format für eine lineare Erzählung darstellt und immerhin für kommerzielle Musik unüblich frei, wenn auch nicht innovativ ist.

Jedoch besitzt die Innovation an sich ja weder einen positiven noch negativen Wert, sondern muss als einzelner Fall betrachtet werden, gleiches gilt für technologische Entwicklungen. Das lässt sich in einem Song selbstverständlich nicht ohne Weiteres darstellen, doch müssen die Menschen ja eh durch anderes als minutenlange Popsongs klüger werden.
Weshalb also sollte ein solcher keine kleinen Schauergeschichte erzählen? Dagegen ist nichts einzuwenden, nur ist zu viel Ernsthaftigkeit dem Vergnügen hinderlich. Dass dem Titel ein bedeutungsschwangeres „(Exordium And Terminus)“, in etwa „Beginn und Ende“, angehangen wurde, lässt allerdings vieles vermuten, nur keine Bescheidenheit. Leider findet sich dieser prätentiöse Unterton neben dem Arrangement auch im Gesang, wodurch das an sich erfreulich kuriose Stück auf Dauer schwer erträglich wird.

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