AUFTOUREN: 2012 – Das Jahr in Tönen

Light Asylum

„Light Asylum“

[Mexican Summer/Cooperative]

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Die immense Ausstrahlungskraft von Sängerin Shannon Funchess war bereits weit vor der Veröffentlichung des gleichnamigen Debüts ein ziemliches Schwergewicht. Für manchen Kritiker. Nicht aber für das Duo selbst, denn Light Asylum strotzten auf dem mit tiefschwarzen Synthpunk-Stampfern gespickten Album nur so vor Entschlossenheit und Kompromisslosigkeit: „Fuck em, taking our freedom, biting our hands, we’re taking the streets…We want our freedom!“ Das hat auch die schwedischen Geschwister von The Knife derart aus den Socken gehauen, dass sie Funchess kurzerhand für einige Songs ihres lang genug erwarteten neuen Albums als Gast-Stimme verpflichteten. Und die müssen es nun wirklich wissen. (Pascal Weiß)


Cloud Nothings

„Attack On Memory“

[Wichita/PIAS]

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Nicht wenige hatten Dylan Baldi, den Kopf hinter Cloud Nothings und oft auch einziges Studiomitglied, nach dem letztjährigen Album schon in eine Schublade – beschriftet: „Teeny Bubblegum Pop-Punk, nichts von Dauer“ – gesteckt und abgeschrieben. Dann erschien mit „No Future/No Past“ der erste Teaser zu „Attack On Memory“ und alles wurde anders. Cloud Nothings klangen auf einmal inständiger und desillusionierter, als man sich das hätte vorstellen können. Baldi war frustriert und böse geworden und der Sound der Band hatte sich, mit Steve Albini an den Studioreglern, zu einem an Wipers orientierten Mahlstrom entwickelt. Eine musikalische Neujustierung, die „Attack On Memory“ zu einem der besten Indie-Alben des Jahres machte. (Mark-Oliver Schröder)


Rudy Zygadlo

„Tragicomedies“

[Planet Mu]

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Was im eröffnenden „Kopernikus“ klingt, als erwarte den Hörer ein melodramatisches Trauerspiel, in der die Schwester mit dem Tupfer gar nicht mehr schnell genug nachkommt, entpuppt sich alsbald als eines der erstaunlichsten und spannendsten Alben des Jahres: dreizehn Songs voller Aufgebehren und Resignation, gefasst in Vielgestalt zwischen Electronica, Autotune-Pop, Beats, Klavier-Songwritertum und fröstelndem Future-Funk. Der junge Schotte verbindet seine Einflüsse zu einer variantenreichen Mischung, weiß um modernes Songwriting und aktuelles Klangdesign. Dabei ist „Tragicomedies“ trotz runder Produktion in seiner Machart immer ein bisschen abgefuckt und deswegen streckenweise auch sehr liebenswert: Ein bisschen von allem, von nichts zu viel. (Markus Wiludda)


DJ Rashad

„TEKLIFE Vol.1: Welcome To The Chi „

[Lit City Trax]

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Nachdem Planet Mu 2010 über Alben, EPs und die „Bangs & Works“-Compilation prägende Figuren der Chicagoer Footwork-Szene nach Europa und den Rest der elektronikinteressierten Welt importierte, schien die weitere Entwicklung linear vorprogrammiert: Auf so einigen Highlights des vergangenen Jahres – Machinedrum, Kuedo oder Sepalcure zum Beispiel – tönte der Sound als eine neue Zutat im globalen Bassmusik-Schmelztiegel durch. Doch das schien 2012 die originalen Protagonisten nur zu größerer Kreativität und Ambition anzuspornen, ihre Art von Heimatmusik zu repräsentieren – allen voran DJ Rashad, dessen furioses Mammutwerk zugleich als Einladung und Tiefentauchen in den elektrisierten Ozean aus tollkühnst synkopierten Beats, zackig steilen und soulig warmen Vocal- und Synthkonstellationen dient und einfach zu vital ist, um über seine Länge zu ermüden. (Uli Eulenbruch)


Killer Mike

„R.A.P. Music“

[Williams Street]

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Die Frage, wie Public Enemy wohl heute klingen würden, erübrigt sich eigentlich, da die vielleicht wichtigste HipHop-Gruppe der Vergangenheit bekanntermaßen immer noch aktiv ist. Wären Chuck D und Co. allerdings auch heutzutage noch von musikalischer Relevanz, würden sie sich vielleicht von El-P produzieren lassen und im besten Fall klingen wie dieses Album. „R.A.P. Music“ ist ein zünftiger Tritt in die Magenkuhle, den man sich von Dirty-South-Schwergewicht Killer Mike nicht unbedingt erwartet hätte, zwischen Privatem und Politischem zeigt er sich mächtig angepisst und angrifflustig. Die brachialen Beats, die neben dem für El-P typischen Industrial- und Sub-Bass-Wahnsinn auch zahlreiche Oldschool-Verweise verarbeiten, unterstützen diesen Parforce-Ritt kongenial. Expliziter und durchschlagskräftiger war Rap in den letzten Jahren selten. (Bastian Heider)


Mount Eerie

„Clear Moon/Ocean Roar“

[P.W. Elverum & Sun]

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Die Musik Mount Eeries adäquat in Worte zu fassen, ist seither eine schwierige Aufgabe. Daran ändert auch das Albumduo aus „Clear Moon“ und „Ocean Roar“, dessen Hälften im Abstand weniger Monate veröffentlicht wurden, wenig. Man ist gewillt, jeglicher Naturmetaphorik zu entsagen und kommt doch nicht ohne aus, wenn Phil Elverum die Brüchigkeit verschrobenen Folks in eruptiv ausbrechende Gitarrenstürme münden lässt, die Schwaden melancholischer Keyboardsätze durch den schwarzen Nachthimmel wirbeln. Doch wo „Ocean Roar“ als lärmendes Sinnbild entfesselter Naturgewalten in stilistischer Nähe zum durch Noise und (Black-)Metal beeinflussten 2009er „Wind’s Poem“ steht, hüllt Elverum sein zivilisatorisches Unbehagen vorher auf „Clear Moon“ in subtilere, in ihrer Entrücktheit oftmals mystisch anmutende Klanglandschaften, deren Fremdartigkeit jedoch durch textlichen Fatalismus geerdet wird. Diese Reduktion lässt „Clear Moon“ noch introspektiver und vielschichtiger erscheinen als seine Vorgänger. (Till Strauf)


Jessie Ware

„Devotion“

[Island]

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Man muss „Devotion“ nicht größer machen, als es ist. Die Zukunft der Popmusik, die manch ein Kritiker hier auszumachen scheint, wird mit diesem Album jedenfalls nicht eingeläutet. Einem Großteil der versammelten Songs gelingt es jedoch mühelos, hübsche Bögen zwischen 80er- und 90er-Referenzen und R’n’B-Moderne zu schlagen, die dann von Jessie Wares durchaus divatauglicher Stimmgewalt veredelt werden. Lieder wie das über majestätischen Drumpatterns schwelgende „Wildest Moments“ scheuen sich nicht sehr vor großem Pathos, während anderswo klassische Songstrukturen zerfasern, Beats und Soundfetzen munter gegeneinander rasseln lassen, bis sie schließlich unter abgespeckten Melodiebögen doch noch zueinander finden. (Bastian Heider)


Merchandise

„Children Of Desire“

[Katorga Works]

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Merchandise haben mit „Children Of Desire“ eine der Überraschungen des Jahres 2012 veröffentlicht. Die beiden Multiinstrumentalisten Carson Cox und David Vassalotti aus dem sonnigen Florida, die ihre musikalische Sozialisation in diversen lokalen Punk-Kapellen durchlebt haben und auf ihrem 2010er Debüt mit verpunktem Krachpop noch an No Age erinnerten, lassen Weltschmerz und Frost wie Nebel aus den Boxen wabern. An und für sich nichts weltbewegend Neues, aber wie Merchandise Drum-Computer, Joy Division, Shoegaze, Noise und einen an Morrissey geschulten Gesang in bis zu 11-minütigen Epen verschränken ist dann doch einmalig – gut. (Mark-Oliver Schröder)


Perfume Genius

„Put Your Back N 2 It“

[Matador/Beggars]

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Düsseldorf, Open Source Festival: Nachmittags bei strahlendem Sonnenschein sitzt Mike Hadreas auf einer überdimensionierten Bühne und versucht, irgendwie zu den Zuschauern durchzudringen. Keine Konstellation hätte „Put Your Back N 2 It“ weniger gerecht werden können: Perfume Genius‘ zweites ist ein durch und durch trauriges und fragiles Album. Tiefes Ein- und Ausatmen, Seufzen und raumfüllendes Klagen sind aufrichtige Bestandteile einer Welt, die durch den geringsten Widerstand zu kollabieren droht. Wenn es dann bei „Hood“ doch einmal etwas aufbrausender wird, scheint Hadreas das nicht lange ertragen zu wollen. Er beendet den Song einfach nach zwei Minuten wie aus dem Nichts. „Put Your Back N 2 It“ versprüht nicht den geringsten Hoffnungsschimmer, doch die Schönheit seiner der Songs erscheint unumstößlich.
(Felix Lammert-Siepmann)


Ty Segall Band

„Slaughterhouse“

[In The Red]

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Ich habe es schon in meiner Rezension zu „Twins“ geschrieben und wiederhole es gerne: 2012 war ein sehr gutes Jahr für Ty Segall. Sage und schreibe drei(!!) reguläre Alben hat er, solo oder mit verschiedenen Kooperationspartnern, veröffentlicht. Auf „Slaughterhouse“ zeigt er sich von seiner psychedelischen Garage-Punk-Seite. Raue, beinahe unbehauene Monolithen von Fuzzsongs hat er dafür mit seiner Tourband eingespielt, die einmal mehr beweisen, dass Popmusik nicht automatisch mit Hochglanzpolitur gleichgesetzt werden darf. Furios aufspielend untermauert „Slaughterhouse“ Segalls Sonderstellung innerhalb der boomenden und spannenden Psychedelic-Rock-Szene von San Francisco und Kalifornien. (Mark-Oliver Schröder)


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21 Kommentare zu “AUFTOUREN: 2012 – Das Jahr in Tönen”

  1. Spence sagt:

    Freut mich sehr, dass Nü Sensae den Sprung schon mal geschafft haben. Und Ty Segall kommt hoffentlich auch noch.

  2. Johannes sagt:

    Schön zu sehen, dass ihr dieses Jahr die gleiche Nummer 1 habt wie ich.

  3. Also, man kann an dem Miguel-Album ja das eine oder andere kritisieren, aber „Do You…?“ als belanglosen Popsong zu bezeichnen, kommt mir dann doch etwas, äh, herzlos vor.

  4. […] den Redaktions-Jahrescharts 2012 und den 30 Alben aus unserer „Geheimen Beute“ gibt es nun noch den ultimativen […]

  5. Saihttam sagt:

    wieder mal ne schöne Liste von euch. Mir persönlich fehlen nur irgendwie The Walkmen. Aber dafür habt ihr Merchandise dabei. Grandioses Album! Wie erstellt ihr eigentlich eine solche Liste? Errechnet ihr die Durchschnittspositionen aus den Einzellisten oder vergebt ihr für jede Position bestimmte Punkte? Oder diskutiert ihr einfach so lange bis ihr euch über jede Position einig seid?

  6. Am Ende ein Mix aus den letzten beiden Möglichkeiten. Und vielen Dank für das Lob, es steckt ne Menge Arbeit dahinter.

  7. Watzlaff sagt:

    Die „Kindred“ von Burial firmiert offiziell als EP. Was bewegt euch also dazu, ausgerechnet diese als Studioalbum zu definieren? Die Dauer allein kanns ja wohl nicht sein, eine halbe Stunde ist nichts ungewöhnliches für eine EP. Jedenfalls hat eine EP in einer Liste der besten Studioalben nichts verloren.

  8. Andererseits gibt es auch Alben, die kürzer sind als 30 Minuten (Royal Headache würde ich z.B. Pi mal Daumen darunter schätzen). Es gibt Alben, die nur aus Marketinggründen als EPs oder Mixtapes bezeichnet werden, die eine Konkatenation zweier separater EPs sind, die eher wie ein Mix oder Mixtape aufgemacht sind als wie ein Album, Mini-Alben, EEPs – sinnvoll kann man das gerade heute oft nicht differenzieren.

    Dass wir eine Liste für Alben und eine andere für EPs haben, hat vor allem praktische Gründe. Für Letztere ist ein Konsens weitaus schwerer in gleicher Stärke zu finden als für Alben, so dass sie in einer einzigen großen Liste untergehen würden. Doch wenn es, wie dieses Jahr gleich dreimal, Ausnahmen gibt die albumartig ein schlüssiges Gesamtwerk darstellen – warum solche herausragende Werke nicht auch albumartig würdigen?

  9. Lieber Watzlaff,
    ich bin immer erfreut, wenn sich Leser so ihre Gedanken machen und uns diese auch mitteilen. Ganz besonders, wenn Sie dies mit dem Wissen die „Wahrheit“ und das einzig „Richtige“, wie Geschmacksstalinisten, auf Ihrer Seite zu haben tun.

    Wir haben lange darüber diskutiert, ob die Burial in die Albumliste gehört und uns für „Ja“ entschieden. Und ja, die Länge war tatsächlich einer der Gründe, die angeführt wurden, vor allem aber die Güte der VÖ. Zudem stehen wir mit dieser Einschätzung/ Zuordnung nicht allein da.

  10. Mhm, also, ob Rock- und Popmusik den Geschmack irgendwelcher Stalinisten treffen und sie sich überhaupt mit deren Formaten befassen, sei dahingestellt. Überhaupt, Stalinisten? So wie hier? Ein bißchen wenigstens?

    http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistischer_Realismus

    Ansonsten glaube ich, die Frage „Was bewegt euch also dazu, ausgerechnet diese als Studioalbum zu definieren?“ ist legitim und kann beantwortet werden, das ist doch keine Besserwisserei, so etwas zu fragen und sich bis zur Beantwortung halt „Jedenfalls hat eine EP in einer Liste der besten Studioalben nichts verloren.“ zu denken.

    Uli hat’s erklärt, alles klar, da wäre doch so eine forsche Entgegnung nicht notwendig gewesen, Mark.

    Ah, und um Geschmack ging es dabei nie… ansonsten: „Geschmacksstalinisten“? Ist das ein der Extremismusklausel entsprechendes Gegenstück zum nicht minder misslungenen „Geschmacksfaschisten“?

    Ansonsten kenne ich nur „Indiespießer“, und das macht Sinn.

  11. Watzlaff sagt:

    Lieber Mark-Oliver,
    man muss doch auf solch eine (meiner Meinung nach berechtigte) Frage nicht gleich so eingeschnappt reagieren. War auch nicht im geringsten als Angriff gedacht, nur denke ich nach wie vor, dass eine EP, die „Kindred“ per Definition ist und bleibt, strenggenommen nicht in eine Albenliste gehört. That’s all. Ist ja auch nicht extrem wichtig, aber ich habe mir die Frage eben mal gestellt, was diese EP im eher zum Studioalbum macht als viele andere EPs die 2012 erschienen sind. Dass sie gut ist, habe ich nicht in Frage gestellt, das sehe ich ja genauso.

  12. Watzlaff sagt:

    „Ah, und um Geschmack ging es dabei nie… ansonsten: “Geschmacksstalinisten”? Ist das ein der Extremismusklausel entsprechendes Gegenstück zum nicht minder misslungenen “Geschmacksfaschisten”?

    Ansonsten kenne ich nur “Indiespießer”, und das macht Sinn.“

    Das sehe ich haargenauso.

  13. Watzlaff sagt:

    Die Erklärung von Uli kann ich zumindest nachvollziehen.

  14. Pascal Weiß sagt:

    @Watzlaff: Alles klar, ich denke, auch bei Mark ist der Kommentar eher aus der Laune heraus (ist ja auch nicht immer ganz einfach, die Intention eines (unbekannten) Lesers sofort richtig zu deuten) entstanden und sollte ebenfalls keinen Angriff in Deine Richtung darstellen.

    Und dann bleibt auch alles friedlich, falls Burial morgen unerwartet in den Leser-Album-Jahrescharts auftauchen sollte;)

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