RaimeQuarter Turns Over A Living Line
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Referenzen:
Demdike Stare, Burial, Ben Frost, Vessel, Swans, Bohren & Der Club Of Gore
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Autor: |
Bastian Heider |
Die unzähligen, in einem kaum zu überblickenden Begriffsdschungel aus „Post-Irgendwas“ ausdifferenzierten Genres „urbaner“ elektronischer Musik haben oft eines gemeinsam. Neben dem unermüdlichen Fortschrittsglauben lebt in ihrem repetitiven Element eine Monotonie und Düsterkeit, welche die Großstadt als kalten, menschenfeindlichen Moloch charakterisiert.
Doch während etwa Burial den perfekten Soundtrack zu nächtlich pulsierenden Straßenschluchten liefert, wagt sich das ebenfalls aus London stammende Duo Raime mit seinem Debütalbum an Orte, zu denen garantiert kein Licht mehr durchdringt. Um in der Anfangsmetapher zu bleiben: Raime machen Musik für modrige Abwasserkanäle und verlassene U-Bahnschächte, dort wo der Beat der Metropole manchmal nicht mehr als ein hallender Wassertropfen oder vorsichtig tastende Schritte in der Dunkelheit bedeutet. „Quarter Turns Over A Living Line“ ist eines der schwärzesten in einem an düsteren Alben sicherlich nicht armen Jahr.
Stilistisch vermengen sich dabei Reste aus Industrial und Gothic, schockgefrostetem Dub und (nachzuvollziehen im FACT-Mix) Spuren von rohem 90er-Jungle zu einer kargen Meditation, die schwer in ihren Bann zieht. Ein motorähnlicher Brummsound wabert im Eröffnungstrack „Passed Over Trails“ durch endlose Echokammern und bläht sich hallend und kreischend zur verzehrten Fratze auf. Erst im zweiten Stück setzt ein skelettierter Jungle-Rhythmus und später die schleichende Basstrommel ein. In ihrem Minimalismus erinnern Raime eher an die Zeremonienmeister der Langsamkeit von Bohren & der Club Of Gore als an naheliegende Genreverwandte wie Andy Stott. Ihre Stärke liegt in den klingenden Zwischenräumen, den Lynch’schen Irritationen, die sich zwischen den schleppenden Beat schleichen. Ein beklemmendes Schaben und Hämmern, durch Mark und Bein echoende Soundfetzen, die in seltenen Momenten entfernt an menschliches Ächzen oder Schreien erinnern. „Quarter Turns Over A Living Line“ hat bei aller Ruhe und Meditativität gewiss kein Easy Listening im Sinn.
Gegen Ende des Albums bäumt sich die vertonte Postapokalypse dann endgültig zur vollen Größe auf, indem sie die bereits recht krude, stilistische Ausgangskombination um eine entscheidende Komponente erweitert. Drone-Lärm von beinahe an Sunn O))) reichenden Dimensionen durchdringt in „Your Cast Will Tire“ die vorausgehende Leere. Im Zeitlupentempo offenbart sich nach und nach ein psychedelisches Doom-Inferno. Die Intensität und Urgewalt dieses Tracks behalten Raime auch weiterhin bei. Der Abschluss „The Dimming Of A Road And Rights“ beginnt zwar gewohnt unbeeindruckt und kühl, legt sein immenses Gewicht aber voll und ganz in die mehrfach und kraftvoll nachhallende Bassdrum, die das Stück eindrucksvoll und unversöhnlich ausfaden lässt. Die umgebenden Field-Sounds lassen nun mehr als zuvor einen kläglichen Rest menschlichen Ursprungs erkennen. Hoffnung birgt dieser jedoch nicht.
Raimes klanggewordener Existenzialismus gelingt, ohne jemals den Bogen zu überspannen. Die sieben Tracks verpacken ihre kalte Monotonie in erstaunlich kompakte Dosen von fünf bis sechs Minuten. Nun sollte Konsumentenfreundlichkeit sicherlich nicht das ausschlaggebende Beurteilungsmerkmal dieser Musik sein, doch wo andere durch ewiglanges Auswalzen und Überstrapazieren bewusst quälen und anöden, fokussieren sich Raime gekonnt aufs Wesentliche. Das Ergebnis klingt letztendlich nicht nur verstörend, sondern auch verstörend gut.
Label: Blackest Ever Black
Referenzen: Demdike Stare, Burial, Ben Frost, Vessel, Swans, Bohren & Der Club Of Gore, Earth, SunnO)))
Links: Blackest Ever Black | Soundcloud
VÖ: 30.11.2012
Wie eine Schlinge, die sich langsam immer enger zieht. Mir fällt dieses Jahr kein Album ein, das seinen Effekt ähnlich konsequent über seinen Verlauf verfolgt. Dass die Stücke in sich so bemessen sind, hilft dabei sicherlich.
Neben Laurel Halo für mich übrigens das Albumcover des Jahres.
ich war intern kein großer freund dieser scheibe und hatte mich anfangs sogar gegen liebe ausgesprochen – doch nachdem ich heute „Quarter Turns…“ auf dem weg zur arbeit in der u-bahn nochmal gehört habe, sehe ich mich gezwungen alles zurück zu nehmen. DER soundtrack zum herbst/ winter.
Raimes label „blackest ever black“ ist natürlich toll. man denke z.b. nur an Tropic of Cancer.
Ach, sieh an. Aber stimmt, bei dem tristen Wetter über Kopfhörer kommt das ganze nochmal intensiver. Da fährt man dann morgens auch so richtig motiviert gutgelaunt zur Arbeit ;)
Ja, lieber Bastian,
seit dieser Fahrt ist inzwischen auch das Vinyl in meinem Heim angekommen und Raime werden wohl auch in meine persönlichen Top 20 einziehen ;-)
Es ist eine Stärke eigene Fehler oder Fehleinschätzungen zu revidieren, wenn das Werk dann doch überzeugt. Es dauert manchmal halt ein wenig länger.
Ebenso wie Favoriten in der Rückschau manchmal verblassen…
[…] […]
Dieses Album ist ein Klassiker!
[…] gibt es aber auch heute nichtsdestotrotz reichlich. Ähnlich wie Raimes letztjähriges „Quarter Turns Over A Living Line“ gräbt der Londonder Bobby Krlic in den Untiefen der Bassmusik, um deren Versatzstücke zu […]
[…] gibt es aber auch heute nichtsdestotrotz reichlich. Ähnlich wie Raimes letztjähriges „Quarter Turns Over A Living Line“ gräbt der Londonder Bobby Krlic in den Untiefen der Bassmusik, um deren Versatzstücke zu […]
[…] wenn ich zugeben muss, dass es bei mir etwas gedauert hat mit der Begeisterung – mit ihrem Debüt in die Jahresbestenliste, auch 2013 begann schon recht vielversprechend mit der Veröffentlichung […]