Der Liedschatten (91): Liebe, Alkohol & Schlager

Über die Anfänge Roy Blacks als Sänger einer Rock’n’Roll-Band schrieb ich bereits im Text zu seiner ersten #1, „Ganz In Weiss“ von 1966.
Gut, nun mag er einmal Rock’n’Roll gesungen haben, doch der Schlager brachte den Erfolg und Roy Black blieb deshalb beim Schlager. Das ist pragmatisch, opportunistisch, kaltschnäuzig, inkonsequent oder auch professionell und macht ihn damit zwar nicht zum Einzelfall, aber nichtsdestotrotz wenig sympathisch.
Einige seiner Fans scheint das erstaunlicherweise kaum zu stören. Dabei ist Geschäftstüchtigkeit nichts, was den Stars des Schlagergeschäfts zum Ruhm gereicht, sondern eine seiner Voraussetzungen, über die nicht gern gesprochen werden wird. Deutlich wird das an den Reaktionen angesichts des jüngsten „Skandals“ um die Kastelruther Spatzen, deren vermeintliches Vergehen darin liegt, Studiomusiker engagiert zu haben, die ordnungsgemäß ihre Credits bekamen. Umso erstaunlicher ist der offene Umgang mancher Bewunderer mit der glanzlosen Menschlichkeit Blacks.
So lässt sich auf „Die Roy Black Homepage“ lesen: „Roy wehrte sich vehement dagegen, eine Superschnulze, die auf die Gefühle des Hörers abgestimmt ist, aufzunehmen. Nach den Studioaufnahmen fuhr er schmollend zurück ins heimatliche Göggingen. (…) Persönlich gerät Roy Black in den Konflikt: Er kann sich, in einer Zeit des musikalischen Aufbruchs der Beatles und der Rolling Stones, nicht mit seiner Rolle als Softie und Schlagersänger abfinden. (…) Trotz der beruflichen Erfolge sucht er immer wieder Trost im Alkohol. (…) Roy Black hadert mit seinem Schicksal, auf Lebenszeit Schlagersänger zu sein und verliert zusehens den Spaß an seiner Rolle als „Roy Black“. Er widmet sich dem Alkohol. (…) Privat erkennt er immer mehr den Widerspruch in seinem Leben und flüchtet sich in Depressionen.“
Diese etwas ungelenke Darstellung (niemand flüchtet in Depressionen, man erkrankt an ihnen) hat wenig mit einer eher zu erwartenden Feststellung wie „Sein Bekenntnis zu Gefühlen, menschlicher Wärme und zum Guten im Leben ist zeitlos.“, zu finden in der Augsburger Allgemeinen, zu tun. Die „Roy Black Fanpage“ weiß außerdem zu berichten: „Wie viele andere Jungen hatte auch er einmal den Berufswunsch, Pfarrer oder Förster zu werden (…) Roy war überhaupt ein sehr naturverbundener Mensch, egal ob in sportlicher Hinsicht, oder in der Freizeit. (…) Er war aber auch jederzeit zu anderen Späßen bereit.“
Es scheint so, als seien sich die verbliebenen Fans nicht ganz einig, an welchen Roy Black sie sich erinnern möchten, einen verhinderten Rock’n’Roller, der sich geradezu aufopferungsvoll und gegen seinen Willen den Wünschen der Musikindustrie und seiner Fans unterwarf, dabei aber, hach! und herrje!, nie die Liebe erfuhr, die er schenkte, was zum ersten Zitat ja noch passen würde, oder einen charismatischen Sänger, einen Freund der Harmonie voller Liebe.
Schreiben wir’s ruhig ein drittes Mal, immerhin dürfte das Wort Liebe für sie alle von zentraler Bedeutung sein. Erst einmal ist ihre Verehrung in der Annahme der Wahrheit ebenso wie ihrer verbohrten Verleugnung sehr liebevoll, zum Anderen wurde sie bestimmt meist durch seine Schlager geweckt. Und die handeln stets in einer geradezu exemplarischen Süßlichkeit von biederer, und noch einmal, Liebe, oder dem, was einige darunter verstehen wollen oder können, keinesfalls wird ihr Wesen in den Schnulzen Blacks erschöpfend behandelt. Auch sein elfter Song in den Top Ten der BRD in Folge, die #1 „Das Mädchen Carina“, ist da keine Ausnahme.
Von Streichern verfolgt: Roy Black
Immerhin ist die Geschichte hier nicht allzu abwegig. Gut, die Plumpheit der pathetischen, aber keineswegs feurigen Bläser zu Beginn des Liedes klingt arg nach einem Klischee der Exotik, wie sie im Namen „Carina“ mitschwingt. Doch warum sollte sich eigentlich ein Junge, von mir aus ein 17-jähriger, nicht das erste Mal in eine Seiltänzerin verlieben? Man hätte es ihm etwas eher gewünscht, und allzu „unberührt“ dürfte bereits das Herz eines 14-jährigen nicht mehr sein, aber nehmen wir es einmal ausnahmsweise und voller guten Willens als Einzelfall, als rühriges, plumpes Geschichtchen.
Denn die musikalische Ausgestaltung ist derart unangenehm, dass man sich zumindest dann, wenn nicht alles verdammt werden soll (und irgendwie ist mir heute nicht danach) durch die Schlichtheit einer solchen Geschichte beruhigen lassen kann. Nun ja, er fand die Liebe „auf dieser Welt“, was sich von selbst versteht, und „schön wie ein Stern am Himmelszelt“ ist, denkt man das Bild weiter, auch nicht besonders schmeichelhaft, gibt es doch zig andere, ebenso schöne Sterne, aber herrje, es reimt sich, und geheiratet wird auch nicht gleich. Seine erste Liebe nicht zu vergessen ist ebenfalls vollkommen in der Ordnung. Es stört am Ende nur die Ausführung, der Inhalt ist kitschig, belanglos, nicht sonderlich liebenswert, aber ereifern brauchen wir uns heute nicht. Schieben wir ihn also kaum erbost zur Seite, vergessen wir ihn. Roy Black aber werden wir demnächst noch einmal begegnen.