Pageants / Boomgates / Bitch Prefect: Schwermut in Anmut


Ein Gitarrensound scheint dieser Tage nichts, was einer regionalen Zuordnung bedarf – alles taucht irgendwo mal auf, wird online gehört, verbreitet sich weltweit als musikalisches Standardvokabular weiter. Irgendwo wird man 2012 immer eine Jangle-Band finden.

Klar, ein paar mehr als anderswo in New York, aber von fast allem gibt es dort mehr als anderswo. Doch eine irrsinnig hohe Konzentration von exzellenten Bands, die janglig locker über goldig klar bis slackerig porös hallende Saiten streichen und fingerpicken, ist momentan im australischen Melbourne unüberhörbar. So viele, dass man über die langen Lieferzeiten von Übersee-Bestellungen schon das nächste Spitzenalbum entdeckt, bevor das letzte überhaupt angekommen ist.

Fast schon untypisch sonnig kommen in diesem Kreis Pageants daher, deren Tropenjangle auch im Albumcover von „Dark Before Blonde Dawn“ und gleich zu Beginn mit Zeilen wie „she crosses oceans in a rowboat“ alle Zeichen auf Eskapismus zu stellen scheint. Noch ungewöhnlicher ist die Vielfalt ihrer Ansätze: Hier glückselig chilliger Strandsound, dort aber auf einmal aggressive Verzerrung oder gar eine Portion schattigen Americanas – kein Stück ist mit einem anderen verwechselbar.

Vor allem aber eint diese Songs ein Gespür für fein arrangierte Begleitvocals, deren Verteilung quer durch die Band selbst ohne Ton im Video zum eröffnenden „Persian Fairy Floss“ offensichtlich ist. Nicht minder gut läuft das Zusammmenspiel der Instrumente, die immer wieder aufs Neue traumhaft durch Texturen und Kontramelodien Komplexität ins Innere dieser eingängigen Songs bringen. Doch unter dem Sonnenschein, den man von der Südküste des kleinsten Kontinents erwarten würde, klingt eine derzeit für australische Bands typische Malaise durch: Während das achtminütige Jangle-Epos „Footprints In The Sand“ wundervoll zwischen (für Pageants‘ Verhältnisse) Barschem und Sanftleichtem à la Real Estate pendelt, erklingt ein wehmütiges „I wrote a message with a knife in the sand / it washed away with everything that I had“ .

Deutlicher tritt dies in der Musik von Bitch Prefect zutage. Statt in seliger Nostalgie lebt ihr Debüt „Big Time“ niedergeschlagen im Jetzt, schleppt sich wie ein verwundetes Tier von finanzieller Englage („Dollar Blues“) zum Kollaps von Karriereträumen („Okay“). „Bad decisions, bad life decisions / every time“, irgendwie geht es doch immer schief in melodisch-trockenen Songs, die mitunter wie der punkig-nasale Gesang selbst kurz vor dem Kollaps wirken. Angemessen mobil mokiert sich „Walk With Style“ über Yuppie-Fortbewegung („They walk with style / they like to swing“), „Walk Through The Door“ gibt sich frei von Anspannung. Zu den stärksten Momenten gehört jedoch einer, der aus der Schwermut Profit erzielt: „So I try a little harder before i give up“ in „Summer Time“ macht das folgende „This is where I’ll be in the summer time with you“ umso unerwartet süßer.

Innere Schwermut ist nicht das einzige, was diese beiden Bands mit der nächsten verbindet. Wie schon anderswo angemerkt: Zwischen guten australischen Gitarrenalben besteht so viel Überschneidung, dass eine Verknüpfung zwischen zwei beliebigen zu finden leichter ist als „Six Degrees of Kevin Bacon“. So produzierte Jack Farley die Werke von Pageants und Bitch Prefect, der nicht minder vielbeschäftigte Mikey Young zeichnete sowohl fürs finale Abmischen Letzterer als auch des Debüts von Boomgates verantwortlich.

Boomgates teilen aber noch mehr mit Youngs eigener Bandbeschäftigung, den antipodischen Garage-Königen Eddy Current Suppression Ring: ECSRs Sänger Brendan Huntley leiht auch Boomgates sein markant knödeliges Stimmorgan. Die besondere Vocaldynamik auf ihrem Album „Double Natural“ ergibt sich aber immer wieder in Harmonie und Wechselgesang mit Steph Hughes, deren klare Höhen im Refrain von „Layman’s Terms“ wie als Reaktion auf Huntleys „Let’s communicate“ in der vorhergehenden Strophe folgen. Auch die Gitarren üben sich zu maßvoll fetzenden Drums in Kontrasten, helle Sauberkeit spielt mit körniger Verzerrung.

Man könnte sich durchaus mit der Schlechtwetter-Gemütlichkeit zufrieden geben, die das Album zur Mitte hin mit dem gepfiffenen „Cartons And Cans“ aufspannt, doch da schaltet es erst richtig in den Hit-Gang. Gekonnt binden Boomgates in „Whispering And Singing“ scharfen Hook an repetitiven Freilauf, „Hold Me Now“ schafft es noch eindrucksvoller, die in verschiedene Richtungen spielenden Einzelteile der Band zwischen pointiertem Druck, gemütlichem Schlenkern und wüstem Mundharmonika-Solo zusammenzuhalten. Vielleicht am bezauberndsten wird das Fingerspiel gen Ende, während die Texte sich so nüchtern besinnen („And time goes by so slowly / but on you I can depend“, „And I feel like dying old / but I feel like driving home“), dass sie wie Lebensessenz wirken.

„Big Time“ von Bitch Prefect und „Double Natural“ von Boomgates sind auf Bedroom Suck erschienen, „Dark Before Blonde Dawn“ von Pageants bei Sensory Projects

5 Kommentare zu “Pageants / Boomgates / Bitch Prefect: Schwermut in Anmut”

  1. Saihttam sagt:

    Wow! Mal wieder klasse Tipps! gefallen mir alle drei richtig gut, genauso wie Lower Plenty/Royal Headache. Da scheint dieses Jahr echt einiges aus Down Under zu kommen. Bleibt bitte weiter auf der Suche nach solchen Geheimtipps, Ich freu mich auf den nächsten Spot!

  2. Momentan ist wirklich Hochsaison dort unten. Allein aus Melbourne kommt morgen das Debütalbum von Milk Teddy, in 2 Wochen schon das zweite Album von Woollen Kits in diesem Jahr.

  3. […] eine Vielzahl von tollen Veröffentlichungen vorweisen – von den Melbournern Woollen Kits, Boomgates und Bitch Prefect bis hin zu einer gewissen Band namens Royal Headache, der letztes Jahr bei AUFTOUREN gar der Sprung […]

  4. […] Band über Regen, sollte man sich ihre Platte geben. Dick Diver, die “Hauptband” von Boomgates‘ Steph Hughes, gehen sogar soweit, ihre Schlechtwetterlaune durch ein Niederschlags-Sample zu […]

  5. […] Band über Regen, sollte man sich ihre Platte geben. Dick Diver, die “Hauptband” von Boomgates‘ Steph Hughes, gehen sogar soweit, ihre Schlechtwetterlaune durch ein Niederschlags-Sample zu […]

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