Der Liedschatten (90): Auf, auf nach hinten!

The Beatles: “Get Back”, Mai – Juni 1969
So, zurück zur Sache: nach einer eher unerfreulichen, jedoch notwendigen Unterbrechung in der letzten Woche geht es nun weiter mit unserer Reihe über sämtliche #1 der Singlecharts der BRD. Heute mit den Beatles und „Get Back“.
Das gar nicht erst außerhalb der BRD als Single veröffentlichte „Ob-La-Di-Ob-La-Da“ hätte es deutlich machen können: So sollte, konnte und musste es nicht weitergehen. Dafür gab es jedoch auch objektivere Gründe als die Belanglosigkeit dieses einen Liedes. Seit dem Tod Brian Epsteins im August 1967 war ein Zusammenwirken der vier Beatles keinesfalls mehr selbstverständlich. Es folgt nun eine lose Aufzählung von Umständen und Ereignissen, die einen Teil zu ihrer Auflösung beigetragen haben dürften.
Der Film „Magical Mystery Tour“ (Dezember 1967) bekam als erstes Werk der Band schlechte Kritiken, was für Irritation und Zweifel gesorgt haben dürfte und sich in ihrer mangelnden Anteilnahme an der Produktion seines Nachfolgers „Yellow Submarine“ niederschlug. Zu mehr als einem kurzem Cameo-Auftritt aus vertraglichen Gründen waren sie nicht zu bewegen. Die Anfang 1968 gemeinsam im indischen Rishikesh verbrachte Zeit brachte zwar sehr viel neues Material hervor, allerdings handelte es sich meist um allein an der akustischen Gitarre geschriebene Songs, eine der früheren, gemeinsamen Arbeitsweise widersprechende Methode. Das wirkte sich stark auf die Session für „The Beatles“ aus. Die Aufnahmen dazu fanden über einen relativ großen Zeitraum und mit unterschiedlich starker Beteiligung der einzelnen Mitglieder statt, am Ende gab es Streit über die Tracklist. Mit der einstigen freundschaftlichen Konkurrenz zwischen Lennon / McCartney und ihrer erschreckend schnellen und effizienten Zusammenarbeit der Vorjahre hatte das wenig zu tun. Das bandeigene Unternehmen Apple Corps versank bis Mitte 1968 nach und nach in einem geldverschlingenden Durcheinander, in dem sich die Beatles plötzlich als Geschäftspartner, nicht Freunde zurechtfinden mussten. Die Beauftragung eines neuen Managers zur Ordnung der unklaren finanziellen Verhältnisse erfolgte nicht einträchtig und sollte später noch für Streit vor Gericht sorgen. Gleichzeitig hatten mindestens drei von vier Beatles Besseres als Bandgeschäfte zu erledigen.
John Lennon nahm gemeinsam mit Yoko Ono „Unfinished Music No.1: Two Virgins“ auf, eine recht noisige Platte, die mit einem Nacktfoto des Paares auf dem Cover erschien. Sein Buch „In His Own Write“ wurde für das Theater adaptiert, er stellte aus und begann überhaupt mit illustren artsy Tätigkeiten wie dem Pflanzen von Eicheln für den Weltfrieden oder Sich-in-einen-Sack-Stellen. Er wurde wegen des Besitzes von Cannabis angeklagt, nahm jedoch auch Heroin. Ringo Starr schauspielerte erst in „Candy“, dann „The Magic Christian“ und verließ kurzzeitig die Band. Harrison hatte noch vor Lennon ein Soloalbum veröffentlicht („Wonderwall Music“), schrieb immer bessere, jedoch von den anderen gering geschätzte Songs und produzierte das Album seines Freundes Jackie Lomax. Auch er stieg kurzzeitig aus.
Die Beatles waren nach damaligem Verständnis keine wirkliche Band mehr, sie spielten nicht live und nahmen getrennt voneinander auf. Jedes Mitglied hatte ein eigenes Leben mit eigener, mehr oder minder intakter Familie und unterschiedlichen Interessen. Gleichzeitig wollten sie sich mit der Entwicklung der letzen beiden Jahre nicht einfach abfinden, vielleicht würde ihnen ja die Rückbesinnung auf anfängliche Qualitäten, vor allem das Zusammenspiel, helfen.
Die gegebenen technischen Möglichkeiten zu missachten und das nächste Album live, also ohne Overdubs, einzuspielen war nicht allein McCartneys Idee. Nur war er der Beatle, der sich seit Epsteins Tod am meisten für die Band verantwortlich fühlte. So befand er sich in der undankbaren Position dessen, der Vorschläge macht, wenn niemand nach ihnen fragt, sei es musikalisch (besonders Harrison soll öfter genervt von ihm gewesen sein) oder konzeptuell. Eine seiner Ideen war die eines Konzertfilms, aus dem später später das „Rooftop Concert“ werden sollte. Dieses und die vorausgehenden Proben sind, so sagt man, im Film „Let It Be“ zu betrachten, was mit Sicherheit stimmt, ich aber nur aus zweiter Hand wiedergegeben kann, da ich ihn noch nicht sah. Nächstes Jahr soll er endlich auf DVD erscheinen, dann werde ich mich nicht mehr drücken können und mir anschauen, wie schlecht es um meine Lieblingsband zu diesem Zeitpunkt stand, wie genervt und desinteressiert die Mitglieder, wie wenig inspiriert ihre Jams gewesen sind. Immerhin sind die dabei entstandenen Songs keinesfalls missraten, das aus ihnen zusammengestellte Album „Let It Be“ belegt es. Für dessen Fertigstellung wurden aber auch wieder Overdubs benutzt … nun, sei’s drum. Es ist einfach so: Die Sessions im Januar und Februar 1969 waren nach Bekunden der Bandmitglieder keine Freude. Dem am 30.01.1969 gespielten „Rooftop Concert“ sieht man das nicht an, denn angesichts winterlicher Temperaturen ist eine gewisse Steifheit nicht verwunderlich.
Kurz vor dem Absprung: das letzte gemeinsame Konzert der Beatles. Setliste des obigen Ausschnitts: 1. Get Back 2. Don’t Let Me Down 3. I’ve Got A Feeling
„Get Back“ ist ein im Vergleich zu vielen anderen Songs der Beatles eher simpler Bluesrock, der auch dann noch wiedererkannt werden kann, wenn man ihn auf seine drei Grundakkorde herunterbricht. Selbstverständlich würde man ihm damit Gewalt antun, rhythmische Feinheiten und vor allem die durch Lennon und Billy Preston gespielten Soli lassen sich nicht mal eben so schrammeln oder klimpern, da braucht es schon mehr, wenn auch kein Genie. Nichtsdestotrotz ist der Song kompakt und catchy, ein solider, nach dem Zeitgeschmack „heavy“ Rocksong, dessen einziges Manko der Text ist. Denn auch wenn die Idee der Reduktion musikalisch überzeugend umgesetzt wurde, der Inhalt ist flappsig. Seinen Höhepunkt findet er in den kryptischen Zeilen „Sweet Loretta Martin thought she was a woman / but she was another man“. Bei all dem wird jedoch nicht einmal kryptisch geklärt, wer weshalb dorthin zurückkehren soll, wo er oder sie einst hingehörte. Das ist letztendlich immerhin spaßig, aber wenig bezaubernd.
Auf Lennons früheren, mehr oder minder hintersinnigen Quatsch traf dies eher zu. Doch auch er versuchte sich nun in Klarheit und wählte nicht nur eine reduziertere musikalische Form, sondern fand bei der B-Seite „Dont‘ Let Me Down“ die zu ihr passenden Worte. Diese Bitte und die Zeilen „Nobody ever loved me like she does“, „I’m in love for the first time“ und „Ooh she done me / she done me good“ mögen unter anderen Umständen Phrasen sein, kommen hier aber hörbar von Herzen. Gut, womöglich ist das keine unvoreingenommene Wahrnehmung, man weiß ja doch um Yoko Ono, doch auch ohne dieses Wissen ist der Song eine der besten Arbeiten Lennons in der Spätphase der Beatles, glaubhaft, verletzlich, leidenschaftlich und seelenvoll. Doch sein Gesang allein hätte „Don’t Let Me Down“ nicht zur besseren Seite der Single gemacht. McCartneys Oktavsprünge am Bass, Harrisons dezente Slides und Starrs recht origineller Gebrauch der Becken ergeben mit Prestons dezent groovenden Einwürfen ein sehr entspanntes, selbstgewisses und reifes Stück, wie es der besten Band der Welt am langen Ende ihrer Karriere gut zu Gesicht stehen würde, wenn sie denn nur ein Gesicht hätte. Davon konnte 1969 aber nicht einmal mehr im übertragenen Sinne die Rede sein.
Dennoch wollen wir nicht so trübselig enden. Es folgt deshalb zum Abschluß ein obskurer Outtake aus den Sessions zu „Get Back“ mit dem schönen, inoffiziellen Titel „Geht Raus“.
[…] Back“, das gab es nie. Damit ist selbstverständlich nicht der Song gemeint, sondern ein schwer greifbares „zurück“, mit dem wir uns erst vor Kurzem befasst […]
[…] eine undurchdringliche Einheit von Wort und Ton, womit Lennon nach gut verständlichen Songs wie „Don’t Let Me Down“ oder „The Ballad Of John And Yoko“ wieder zum Nonsens von Stücken wie „Strawberry Fields […]
[…] 1969: Get Back […]