DaphniJIAOLONG

Dan Snaith alias Manitoba alias Caribou alias Daphni entpuppt sich immer mehr als Alleskönner. Seine ersten Veröffentlichungen als Manitoba für The Leaf Label hatten schon für einiges Aufhorchen, auch außerhalb der Elektronikszene, gesorgt – passten sie doch hervorragend in das seinerzeit hippe Indietronic-Raster. Snaith musikalischer Werdegang ist dem seines Kollegen Kieran Hebden alias Four Tet nicht unähnlich, dessen Entwicklung auch entlang Koordinaten wie der Elektro-Kraut-Band Fridge, Indietronic und House/Techno verlaufen ist.

Saiths Durchbruch kam 2010 mit „Swim“, als Caribou, das sich zumindest live zur Banddimension entwickelt hat. Das Daphni-Alter-Ego hat sich Snaith für seine tanzfokussierten DJ-Tätigkeiten zugelegt, damit es nicht zu Verwechselungen mit Caribou kommt. Als Teil seiner DJ-Leidenschaft entpuppte sich die Arbeit an Daphni-Stücken als schnell und deren Aufgabe als funktional. Die Tracks wurden am Publikum getestet, was in Zeiten von CD-R oder USB-Sticks immer preisgünstiger und schneller vonstattengeht. Bestanden sie diesen Test, wurden sie auf Vinyl veröffentlicht, fallen sie durch, so wandern sie ins digitale Nirwana. Das Ganze Vorgehen nahm seinen Anfang, als Snaith zusammen mit Hebden auflegte und dabei einen neuen Track spiele: „Ye Ye“ funktionierte so gut, dass Hebden ihn neben seinem eigenen „Pinnacles“ kurzerhand auf einer 12″ seines Labels text veröffentlichte. Diese Flexibilität beeindruckte Snaith, sodass „Jiaolong“ nun sowohl der Name von Snaiths eigenem Label ist als auch (in Großbuchstaben) der Titel von Daphnis Debütalbum.

Wie bei Four Tets „Pink“ handelt es sich folglich auch bei „JIAOLONG“ um eine Compilation und nicht um ein „richtiges“ Album. Versammelt sind darauf neun Tracks und schon der Auftakt „Yes, I Know“ unterstreicht die oben vorgestellte Ausrichtung der Musik. Sein leicht verstolperter, slammender und ultrafunkiger Housebeat geht unmittelbar in die Beine, darüber tobt sich Snaith an einem analogen Modularsynthesizer aus, dass jedem Acid-Freund das Herz aufgeht. Und wenn dann Buddy Miles‘ „Yes, I Know She Told Me So“ aus „The Segment“ vom Stapel gelassen wird, dürften die Arme auf allen Tanzflächen dieser Welt unweigerlich nach oben gehen und ein Sturm der Euphorie losbrechen. „Ne Noya“ reitet anschließend ein langes Afro-Sample, wie man es auch schon von Osborne gehört haben könnte.

Es folgen Acid, beispielsweise in „Lights“, der gar nicht erst seine Vorbilder Phuture oder Adonis zu verbergen versucht und weitere Ausflüge in eine Zeit, als House noch nach Schweiß, absolutem Hedonismus und schwuler Subkultur roch und nicht nach Rexona, Wodka-Redbull und metrosexuellem Machismo. Diese Zeit liegt weit zurück, wir reden von Chicago Mitte der 80er Jahre bis Mitte der 90er, von Larry Heard, Lil‘ Louis, Virgo, aber auch von neueren Detroit-Ikonen wie Theo Parrish oder Moodymann. Freilich war diese Art von Musik nie verschwunden, gerade House- und Techno-DJs stellen in ihren Sets gerne die von ihnen gespielte Musik auch in einen zeitlichen Kontext. Sie zeigen ihre Einflüsse und Vorlieben auf, schaffen Vektoren vom Jetzt in die Vergangenheit und verknüpfen diese mit einer möglichen Zukunft.

Macht Snaith musikalisch mit „JIAOLONG“ irgendetwas genuin Neues? Nein, aber alles richtig! Sein House hat genügend Patina und Dreck in den Rillen und schert sich keinen Deut um Formatkonventionen – hiermit sind die House und Techno immanenten Regeln gemeint. Denn elektronische Tanzmusik ist und bleibt immer noch Formatmusik, die meist gewissen Regeln folgt, die dem DJ die Arbeit erleichtern sollen – wann kommen die Breaks, wann ist Peak- und wann Mixing-Time. Als „richtiges“ Album funktioniert „Jiaolong“ zugegebenermaßen nicht hundertprozentig, auch dieses Schicksal teilt er mit Four Tets „Pink“, und zum Ende lässt die Spannung ein wenig nach, so wie um 4 Uhr morgens. Aber einzelne Tracks gehören zum Mitreißendsten, was man dieses Jahr gehört hat.

79

Label: Jiaolong

Referenzen: Fout Tet, Osborne, Moodymann, Theo Parrish, Phuture, Adonis, Abe Duque

Links: Facebook | Soundcloud

VÖ: 19.10.2012

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum