Der Liedschatten (88): Purpur über den Klee loben

Tommy James & the Shondells: “Crimson and Clover”, Mai 1969

Mindestens drei hübsche, beinahe schon stereotype Geschichten über die wundersamen Wege des Erfolges lassen sich anhand von Tommy James & The Shondells erzählen. Und ein klein wenig Kitsch ist, nachdem wir uns in der letzten Woche mit Peter Alexanders allzu kalkuliertem Erfolg herumschlagen mussten, nett. Zumindest, wenn er als solcher kenntlich gemacht wird, was deshalb noch einmal geschehen soll: Es folgen nun drei kurze, kitschige, erhebende und doch wahre Episoden aus der Welt der Musik verwertenden Industrie.

1963 veröffentlichen Tommy James & The Shondells aus der mittelgroßen Stadt Dayton in Ohio zwei Singles. Eine davon, nämlich „Hanky Panky“ (ursprünglich von The Raindrops), wird ein regionaler Erfolg. Dennoch löst sich die Gruppe auf.

Drei Jahre später erwirbt ein DJ aus einer anderen Stadt ein gebrauchtes Exemplar der 45er. Er spielt den Song mit Erfolg bei Tanzveranstaltungen und weckt dadurch das Interesse an einer Band, die es längst nicht mehr gibt und die nun plötzlich auftreten soll. Tommy James sucht sich eine neue Backingband zusammen und beschließt durch zahlreiche Bootlegs ermuntert die Wiederveröffentlichung von „Hanky Panky“.

Angesichts des doch sehr rauhen Charmes der ursprünglichen Aufnahme können wir James kaum Kalkül unterstellen, als er die alten Masterbänder 1966 an Roulette Records weitergibt und mit einem simplen Stück Garagerock über laut urban dictionary „1. The dirty dance, 2. Sexual intercoarse, 3. To fuck someone“ auf Platz 1 der Billboard Charts gelangt. Und wem an dieser Stelle kein „Hach!“ entfleucht, der möge, wie alle anderen auch, einfach weiterlesen, was soll’s. Ganz so so hübsch wird es leider nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist ein Widerspruch? Eben.

Es folgt nun Episode zwei, die genau genommen in 2.1. und 2.2. unterteilt werden kann. Bis Dezember 1968 veröffentlichten Tommy James & The Shondells zwölf Singles, von denen neun in die Top 40 der amerikanischen Billboard Charts gelangen. Zwei der daran gescheiterten gingen „Crimson And Clover“ voraus.

Bis dahin war die Gruppe in erster Linie eine Singlesband, was ihnen den Vorwurf einbrachte, keine „richtige“ Band zu sein. Den Monkees ging es ähnlich, und beide Gruppen hatten großartige Songs. Die für Tommy James & The Shondells geschriebene Musik war dabei mehr auf Tanzbarkeit bedachter Poprock als Pop, siehe ihr Hit „Mony Mony“ vom Mai 1968.

Es muss ja nicht immer „Hanky Panky“ sein. Man beachte deshalb bitte die Zeile „Don’t stop cookin‘, it feels so good“

Der Erfolg vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, dass selbst solch ein gelungener, geradezu souliger, aber recht traditioneller Song Ende 1968 nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit gewesen wäre. Zumindest im Bereich der Rockmusik wurden eine geradezu konzeptuelle Virtuosität und ein möglicherweise thematischer Überbau, realisiert in Form eines Albums, wichtiger als ein einzelnes packendes Riff. Man denke nur an Led Zeppelin, die ihre erste LP Anfang 1969 veröffentlichten, oder Crosby, Stills & Nash, deren Debüt im Mai gleichen Jahres erscheinen sollte. Inmitten dieser Entwicklung kündigte der bis dahin maßgebliche Songwriter der Band, Bo Gentry, die Zusammenarbeit auf.

Hier beginnt 2.1. unserer erbaulichen Episoden aus der Musik verwertenden Industrie. Tommy James nämlich beschloss, eigene Songs zu schreiben, „Crimson And Clover“ war der Anfang und wurde „obendrein“ noch gemeinsam mit seinem Schlagzeuger verfasst.

Es sei mir nun die kurze Bemerkung gestattet, dass Musiker keinesfalls coole, geschmackssichere, ähem, „Typen“ sind, sondern dem muffigen, spießigen und humorlosen Leben ebenfalls so leicht anheim fallen wie, sagen wir, Handwerker oder Krankenschwestern, da gibt es keine Unterschiede. Als Beleg mögen die arg dumpfen Witze dienen, mit denen bestimmte Gruppen von Instrumentalisten bedacht werden, im Bandgefüge meistens Bassisten und Schlagzeuger. Das ist nicht schön.

Schön hingegen ist „Crimson And Clover“.

james_crimsonAuf dem Papier legt die Schlichtheit des Aufbaus (drei auf denselben Akkorden basierende Strophen, zwei Breaks, ein Schlusspart mit den transponierten Akkorden der Strophe) geringe formale Schöpfungshöhe nahe. Doch der Song ist tatsächlich und ohne jede Übertreibung einer der seltenen Fälle in der Popmusik, in dem die Phrase von der „Unverwechselbarkeit“ angebracht ist.

Das liegt vor allem am massiven Gebrauch des Tremolos, das, vereinfach gesagt, für ein An- und Abschwellen der Lautstärken in gleichmäßigen Zeitabständen sorgt. Ohne das würde der eher lautmalerische als inhaltsschwere Titel zwar nicht weniger Sinn ergeben als mit ihm, aber seltsamer wirken, als er es ohnehin schon tut. So jedoch entsteht als Einheit aus Titel, Sound und Text ein wunderbar sanftes, wellenartig trippendes Stück Psychedelik, das seinen Gegenstand, die Verliebtheit, in den Status eines bewusstseinsverändernden Zustandes erhebt und damit gar nicht mal so falsch liegt. Nichts gegen Marmeladenhimmel oder Sonnen aus Papier, aber wie viel weniger angestrengt ist das Gefühl der kunterbunten Wunderlichkeit, wenn es durch Worte wie

„Ah, now I don’t hardly know her

But I think I could love her

Crimson and clover“

hervorgerufen wird? Hier muss nicht erst gesagt werden: „Achtung, sie turnen nun ihr Mind off“. Die Musik allein macht es deutlich und das gefällt sehr.

Der Sound allerdings ist, und nun kommen wir zu 2.2., nicht der, den das fertige Stück haben sollte, sondern nur der „Rough Mix“, eine Art erste Version und Richtungsanweisung. Als James ihn zu einem Besuch bei einem Radiosender mitbrachte und spielen ließ, zeichnete letzterer ihn heimlich auf, um eine „exklusive Premiere“ zu haben. Die Veröffentlichung wurde vorgezogen und insgesamt über fünf Millionen Einheiten verkauft.

Episode zwei, das war also ein unerfahrener Songwriter, der einen Hit landet, den es so gar nicht geben sollte. Wiederum: Hach.

Und Episode drei? Das häufige Covern durch andere Künstler. Andere ehemalige Stars mussten sich selbst für den Versuch, mit neuen Versionen ihrer Stücke dem Zeitgeschmack zu entsprechen, hergeben. Tommy James & The Shondells hatten andere, die das für sie erledigten. Hier mag sich zumindest die Band angesichts der Tantiemen gedacht haben: hach. Es folgt nun eine kleine Auswahl.

1981 durfte selbst Heaviness weichgezeichnet sein, da waren die Wände aus Papier, die Blicke aber heiß und fest wie Aluminium in der Sonne.

2007 jedoch transzendierte der große Jarvis Cocker die Psychedelik ins Okkulte. Mit Synthesizer! Als ob es nicht schon andere Gründe gäbe, ihn zu mögen.

Billy Idol hat sicher auch Leder gefrühstückt. Und ausgeschwitzt. Und die Nieten sind von selbst gewachsen.

Nein, sie sind nicht allein, und dementsprechend sollten sie sich auch benehmen.

Weil wir versöhnlich enden wollen, gibt’s jetzt noch Morcheebas Version des letzen Top-Ten-Hits von Tommy James & The Shondells. Die ist als Easy Listening immerhin so lala.

4 Kommentare zu “Der Liedschatten (88): Purpur über den Klee loben”

  1. Ohne Wenn und Aber schlichtweg klasse. Bei mir in der Familie wurden Sonntag nachmittags gern die damals schon alten Singles aus den Jugendjahren meiner Eltern gespielt, da war ein Hanky Panky oder Crimson & Clover dabei und das gefiel mir als kleiner Stöpsel weitaus mehr als die wenigen Singles der Beatles oder Stones. Viel von den Tracks, die meine Mutter damals spielte, prägen noch heute meinen Geschmack (etwas Johnny Cash oder The Kinks), andere gefielen mir damals wie heute ebenso nicht (Beach Boys). Tommy James & The Shondells sind meiner Meinung nach zu Unrecht ein wenig in Vergessenheit geraten. Von den Hits der Sechziger sind sie mir mit die liebsten.

  2. Lennart sagt:

    Oh, das klingt nach einer feinen Art, den Sonntag zu verbringen.

  3. […] „Hanky Panky”, den ersten Achtungserfolg von Tommy James & The Shondells (siehe die #1 „Crimson And Clover”) und schließlich auch „I’m A […]

  4. […] Levy reichte das aus, was zu dem von Tommy James (dessen Hit „Crimson And Clover“ auf Levys Roulette Records erschien) in einem Interview Erzählten […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum