Flying Lotus ist der Meister über Raum und Zeit. Mit „Los Angeles“ besetzte er 2008 die Zukunft der Popmusik, verhedderte Beats und Glitches zu einer visionären Melange mit ungeheurer Kraft. Während Fans und Kritiker noch mit offenen Mündern und Ohren applaudierten, präsentierte er zwei Jahre darauf „Cosmogramma“, eine kettenrasselnde Weltraum-Reise. Hemmungslos und widerspenstig stöberte er im kosmischen Kramladen, bis fast jede Ausfahrt im Beat-Universum einmal durchfahren wurde. Mit metallischem Klang und einer gewissenlosen Härte verweigerte er sich jeglicher Anbiederung und genoss das Hinabtauchen in Geheimnisse des Maschinellen, in unergründliche Weiten von Relais und schwarzen Löchern, die sich bis zur Unendlichkeit ausdehnten.

Ohne Frage, dieser Künstler aus Los Angeles war binnen weniger Jahre zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Musiker der Nullerjahre  geworden – mit einer Strahlkraft, die in der grassierenden Flut instrumenteller HipHop-Alben weiterhin ihren aktuellen Widerhall findet.

Mit „Until The Quiet Comes“ nähert er sich nun dem Grad menschlicher Körpertemperatur an und wandelt auf irdischeren Pfaden. Nie klangen seine Klangentwürfe organischer und, bei aller digitalen Kälte der schlagkräftigen Beats, gleichzeitig so warm und sympathisch. Wo „Cosmogramma“ immer eine Spur Extrahektik einflocht, stellt Flying Lotus auf seinem neuen Werk eine gewisse Abgeklärtheit zur Schau: Technische Mätzchen werden gegen Atmosphäre und Anflüge von Melodien ausgetauscht. Die Darstellung reinen Könnens wird nun mit kleinen Herzen dahinter versehen. Und das steht dem Album ausgezeichnet!

Zwischen sanft wabernden und aufregend exzentrischen Tracks wird hier hin- und hergependelt. „Tiny Tortures“ beispielsweise pluckert freundlich wedelnd vorbei, während das kreuzbeatlastige „Heave(n)“ noch etwas demoliert HipHop und Jazzinstrumentarium unter einen Hut zu bringen versucht. Manchmal passieren derlei Dinge auch innerhalb eines Songs, wie das großartige „Me. Yesterday/Corded“ beweist: Nervöse elektronische Fitzelchen werden erst um ein zerbeultes und kaputtgefiltertes Klavier ergänzt, bevor die gebrochenen Beats dem Track einen ganz anderen Drall geben. Dass diese Abfolge an Unterschiedlichkeiten nicht zu zerrissen gerät, ist den oftmals gelungenen Anbindungen und Übergängen geschuldet – „Until The Quiet Comes“ funktioniert als flüssiges, musikalisches Liquid.

Manch einer mag den infernalischen Furor aus alten Tagen vermissen, die irrsinnige Akrobatik von bierbäuchigen und gleichzeitig scharfklingigen Beats. All das findet sich nur noch bedingt auf dem neuen Album, das jedoch andere Stärken heraufbeschwört: Die Rasanz findet sich hier vielmehr in den bedrohlichen Untertönen und in der Vielzahl an zersplitterten Details. „Sultan’s Request“ hat diesen doppelten Boden, der Verletzlichkeit letztendlich in Stärke verwandelt, der Angst und Unzufriedenheit nicht nur in eine Richtung ausdeutet. „Only If You Wanna“ ist einer dieser spinnerten Tracks, die gemächlich erst einmal wegdösen, um dann doch noch einen quergefalteten Beat und soulige Gesänge aus dem musikalischen Dilemma herauszuziehen, bevor zum Ende dann eine Ratsche einsetzt und der Song vollständig kaputt vor sich hin stolpert. Flying Lotus konstruiert bewusst diese Momente, in denen alles zusammenstürzt, Haken schlägt oder in Ekstase kumuliert.

Häufiger lässt sich aber eine neue Eleganz zwischen den weiterhin dicht geschichteten Sounds blicken, was oftmals auch mit den souligen Stimmen seiner Kollaborateurinnen zu tun hat: Die großartige Single „I See Thru U“ mit Erykah Badu, der sehnsüchtig gewundene erotische Appetizer „Phantasm“ mit Laura Darlington oder der Funk von Thundercat gleiten schöngeistig voran. Mal um Mal jedoch auch etwas zu entspannt, um vollends zu fesseln.

Flying Lotus schlägt auf diesem Album offenkundig Brücken in die Vergangenheit, verbindet seine futuristischen Klangformen mit der Geschichte des afroamerikanischen Pop und der eigenen Geschichte als Großneffe von Alice Coltrane. Weit zurück in die 70er reichen die Einflüsse, als Soulmusik gefälliger und weicher wurde und der elektronische Jazz der wilden und improvisierten Seite eine feminine Entsprechung hinzufügte. Eine Entwicklung, die auch Parallelen zu seinem Schaffen offenbaren: Mit dem aktuellen Output tastet er sich vorwärts in Gefilde, die neuerdings bis zu ambienten Laid-back-Songs reichen. Nie gab es zudem mehr Jazz-Instrumentarium auf seinen Alben: Klavier, Trompeten und Kontrabass-Linien finden sich als Versatzstücke auf nahezu der Hälfte der Tracks.

Wer „Cosmogramma“ und „Los Angeles“ zu experimentell fand, wird mit der atmosphärischen Ausdehnung von „Until The Quiet Comes“ eine neue Chance bekommen, sich dem Schaffen dieses Musikers zu nähern. Hier vereinen sich sanft zerfließende Tracks und der gewohnt knusprige Experimentalkram zu einer wertigen Mixtur, die auch nicht an mystischer Aufladung spart: „Getting There“ mag als prototypisches Beispiel einer stilsicheren Souveränität gelten, die im musikalischen Universum weiterhin ihresgleichen sucht.

81

Label: Warp

Referenzen: Aphex Twin, Nosaj Thing, Teebs, Gaslamp Killah, Thundercat

Links: Homepage | Facebook | Albumstream

VÖ: 28.09.2012

2 Kommentare zu “Flying Lotus – Until The Quiet Comes”

  1. […] auf „Stunt Rhythms“ vielleicht böse auf dem falschen Fuß erwischt: Denn wenn FlyLo auf „Until The Quiet Comes” klingt, als fliege er auf einem Riesenteppich über Los Angeles, ist das hier wohl eher sowas […]

  2. […] die Produktion von Flying Lotus ist ein wenig zu dominant, diese unnachahmliche Mischung aus plattgelatschten Beats und […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum