Der Liedschatten: (84): Eloise, Lucifer & der neue Orpheus

Barry Ryan: “Eloise”, Januar – Februar 1969

Kommerziell relevante Popmusik kann künstlerisch hochwertig, ja sogar innovativ sein und Themen der Tagespolitik auf gelungene oder bedenkliche Art behandeln. Zumindest, solange es möglich scheint, dadurch viele Einheiten abzusetzen.

Deren Format ist, genau wie Ausgestaltung und Themen der Lieder, historisch bedingt. So gab es – vereinfacht und ohne Rücksicht auf Gleichzeitigkeiten gesagt – Notenblätter, Musikautomaten und Filme, Tonträger verschiedener Art (vor allem LPs und CDs als Singles und Alben), das Livekonzert, Musikvideos, DVDs, Downloads und Streams. In letzter Zeit dürften diese um die recht abstrakte Kennzahl der Follower ergänzt worden sein, die den Marktwert eines Interpreten für die immer häufiger als „Sponsoren“ in Erscheinung tretenden Hersteller von Kleidung und anderen Lifestyleprodukten (Autos, alkoholischen Getränken) mitbestimmt. Bekanntheit ist in stärkerem Maße Sinn und Zweck eines Interpreten, da diese Einnahmen gewähren kann, die durch den alleinigen Absatz von Musik nicht mehr zu garantieren sind. Sie und die Reklame sind in diesem Fall untrennbar miteinander verbunden, womöglich verkauft erst die Reklame für ein nicht musikalisches Produkt einen Song, der dann wiederum als „der Song aus der Werbung“ angepriesen wird.

Ende der 1960er bewarb die bereits erlangte Prominenz eines Interpreten in erster Linie dessen noch zu veröffentlichende Musik, und das so lange, wie eine Karriere fortgesetzt werden wollte oder Tonträger verkauft wurden. War Letzteres nicht der Fall, musste etwas unternommen werden, zum Beispiel ein Stil- und auch Imagewechsel. Die Beurteilung solcher „Neuerfindungen“ hängt von ihrem Erfolg ab, der natürlich immer dem Recht gibt, der ihn hat, wofür die Redewendung „kommerzieller Selbstmord“ (Misserfolg) im Gegensatz zur „künstlerischen Emanzipation“ und „Hinwendung zum Mainstream“ (Erfolg) ein schöner Beleg ist.

Diese Ausdrücke würde man bei einem sogenannten „One-Hit-Wonder“ niemals gebrauchen, weshalb auch? Hier ist alles klar, ein Hit, das war’s. Selbstverständlich haben aber auch einmalig erfolgreiche Interpreten Versuche unternommen, ihre Karriere zu verlängern. Nicht selten waren diese Manöver aufgrund ihres offensichtlichen, ja anbiedernden Charakters höchst kurios, man denke nur an David Garrick („Mrs. Applebee“) und sein „Rüdesheim Liegt Nicht An Der Themse“, das auf den leicht obskuren, aber wirtschaftlich relevanten deutschsprachigen Markt abzielte. Ähnliches sollte auch Barry Ryan versuchen.

Liebe als Bedrohung: arme Eloise. Und jede Nacht ist er da.

„Eloise“ war sein größter und, von der Nachfolgesingle „Love Is Love“ abgesehen, einziger großer Erfolg. Mit seiner aufgeblasenen Plumpheit zeigt er, was der Popmusik Ende 1968 von ihrem Publikum zugestanden wurde, in etwa Überlänge und ein unerwarteter, ruhiger Break, Dinge, die im heutigen Privatradio mit aktuellem Programm undenkbar wären. Der Song sagt damit sicher einiges über den Geschmack seiner Zeit aus, mehr aber leider nicht. Es gibt ein Orchester, und was tut es? Es spielt einen Tusch und verleiht dem Refrain Fülle und dem Break Schmelz, eine andere Funktion hat auch der Chor nicht. Zu all dem singt Barry Ryan sehr kräftig, was ja aber nicht per se gut und schön ist. Auch Schlager sind oft kräftig.

heintje_heidschieIn seiner einfallslosen Fülle ist „Eloise“ ein geradezu brutaler Song, dessen Effekthascherei weder durch musikalische noch lyrische (die Bitte um Erhörung durch eine Frau) Substanz begründet ist. Was Ryans Zwillingsbruder Paul hier schrieb, war auf der Höhe der Zeit, ohne mit deren Stilmitteln einen Song schaffen zu können, dessen Potential über das eines derben Schlagers hinausging. Auf Wikipedia sind als Genre Power Pop und Progressive Rock vermerkt, und in beidem irrt die Schwarmintelligenz. „Power“ ist nicht bloß Dramatik, Pop mehr als eine hübsche Frisur, unüblich nicht gleich „progressiv“, und Rock … nun, auch Schlager können ordentlich rocken.

Davon zeugen die in Nachfolge zu „Eloise“ bis Mitte der 1970er veröffentlichten Singles Barry Ryans. Hier zwei seiner, ähem, schönsten.

Magical Spiel“ (1970), das ist Satanismus pur. Man beachte bitte den Text mit all seiner okkulten Symbolik.

„Spin me a spell – You do it well

Lucifer…

Fix me a potion in green – Merlin mix me a dream

You say Amen – Lucifer still exists

M is for Magdalen

A is for Alchemist

G is for the Grecian gods of light

I is for the Ice of love

C – the Clouds of Aphrodite

Medicine Man – Zodiac sanctifies

S is for Superman

P is for Purified

I is for the Incest of the Ram

(O)E – ‘dipus who loved his Mum

L with his sweet Cherubim

Lucifer – Lucifer

Hoho

Lucifer – Lucifer – Lucifer“

„Grecian gods of light“ – mehrere? „The Ice of love“ und „ Superman“? Ödipus und sein „sweet Cherubim“? Genau. Denkt nur mal drüber nach. Möchtet ihr nicht? Gut. Dann bitte einfach hierüber nachdenken:

Ein Bahnhof. Eine Uhr. Dieser Mann muss eine Botschaft haben.

„(…) die Zeit ist das, was bald geschieht“, oder „die Zeit läuft vor sich selber fort“, gut. Das lassen wir so stehen. Bedenklich aber ist: Nicht Gott befindet sich außerhalb der Zeit, nein, es ist der Teufel!

„Zeit macht nur vor dem Teufel halt,

denn er wird niemals alt,

die Hölle wird nicht kalt.

Zeit macht nur vor dem Teufel halt,

heute ist schon beinah‘ morgen.

Die Zeit – alle Zeit – Ewigkeit.“

Gott wird alt, da ist es nicht mehr weit bis Gott ist tot. Dafür gab es Platz 8 in den deutschen Charts, wer hätte das gedacht. Immerhin schwörte Ryan beizeiten nicht nur dem Teufel ab (siehe „Sanctus, Sanctus Hallelujah“ vom Album und, nun wird’s wieder heidnisch denn darunter macht er’s nicht, „Ein Neuer Orpheus“), sondern auch der Musik ab, von gescheiterten Comebackversuchen und Oldiehows einmal abgesehen. Auch sein Bruder bekehrte sich bis zu seinem Tod zur Ehrbarkeit und eröffnete eine Friseurkette. Der Song „Eloise“ aber ergriff 1986 von The Damned Besitz und verschaffte ihnen Platz 3 in den UK-Charts.

Der Sänger dieses Liedes braucht eine gute Frisur. Alles andere ist Nebensache.

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