BootBooHook: Von Seufzen, Hüpfen und charmanten Fremden

Schon die letzten Jahre bot das BootBooHook-Festival in Hannover sehr exquisiten Bands eine Bühne, Hot Chip etwa oder den ehrenwerten Goldenen Zitronen. Erstaunlich, dass ich nun zum ersten Mal höchstselbst zugegen bin, ein bisschen Peer-Group-Druck, viel Zeit und das Lechzen nach berauschenden Momenten musikalischer Glückseligkeit haben da ihr wundersames Werk getan. Das alte Expo-Gelände im hannoveranischen Süden, befreit vom Druck der längst weitergewanderten Pavillons, liefert am letzten Augustwochenende die pittoreske Kulisse für schmerzende Schuh‘, schwrummrig drehende Köpfe und selig vergessene Müdigkeit.
Der Zeltplatz versteckt sich hinter einem kleinen Wall, vom dem aus Sonnenuntergänge aufgesogen oder illegale Rauchschwaden verbotener Grillaktivitäten beaufsichtigt werden konnten, was begeisterte Grill-Fans in abseitige Buchten vertrieb, wo Fehlfarben nur verkehrt herum zu hören waren. Aber hey, für eine warme Mahlzeit kann man schon mal schmuggeln, ochsen und umherirren. Und wenn Türme in der Landschaft stehen, dann kann man auch hochklettern, auf Köpfe spucken und der tauben Menge eine SMS schreiben, statt sich die Stimme zu ruinieren. (Spleenige Moderne …) Ausblicke allerorten, auch wenn ich den Weg nach unten eher per Popo als per pedes zurücklege.
Aber chronologisch ist das nicht. Also zurück auf Anfang: Zelte können auch mal ein Wochenende schief aufgebaut sein, ohne in sich zusammenzufallen, das ist gut zu wissen (und der Härtetest aka Regen und Sturm hatte es zuweilen in sich …).
Freitag
Locas In Love sind recht beschaulich, aber wer positivistische Mia.-Ansagen verabscheut (ich zum Beispiel), sollte sich zwischen den Songs die Ohren zuhalten. Japandroids sind für die große Main Stage und für ihre quantitative Größe erstaunlich laut und überraschend präzise im Spiel, sodass ihre famosen Rocksongs energisch nach vorn eilen und darauf wohlig nachhallen. Palais Schaumburg bedienen (neben Fehlfarben) das ältere Publikum mit Punkvergangenheit, klingen aber enorm heutig und schön elektropoppig („Elektropop? Die sind doch gar nicht elektronisch!“ Ach was, Stil über Handwerk: Repetitive Elemente, Slogans, Dada, Pop brauchen keine Beats, um unter Elektropop eingeordnet zu werden, zumindest nicht von mir). Und tanzen können die alten Herren, es ist eine Freude.
Auf den Glamzirkus of Montreals habe ich mich am meisten vorgefreut und werde von Lady In Red Kevin Barnes (ehe er seinen sexy Oberkörper entrötet und entblößt) und seiner Band nicht enttäuscht. Wird der Synthie-Smasher „Heimdalsgate Like A Promethean Curse“ noch von allzu viel Gitarre rockistisch zugekleistert, mäht die Kraut-Wuchtbrumme „The Past Is A Grotesque Animal“ alle Zweifel mit stoischem Rhythmus und tausend tollen Zeilen, kulminierend in arg lang geratenen Krach (aber wer will ihnen die Spielfreude verargen?) hinweg. Zum Glück ist das Ouevre der Band reichhaltig und vielfältig genug, dass sie auf ihre letzten unentschlossenen Alben größtenteils verzichten kann. Tocotronic bieten statt neuer Songs und Dirk von Lowtzows grau meliertem Bart (den er sich frecherweise abrasiert hat) eher Oldschool-Hits wie z.B. den „Masterplan“, die üblichen Dankesformeln und den anbetungswürdigen Rick McPhail. Was ja nicht verkehrt ist und niemanden davon abhalten soll und kann, sich in den Songs zu verlieren, erst recht, wenn der letzte davon „17“ ist. Einzig: Das weiße Album verdient mehr Raum als nur „This Boy Is Tocotronic“, ich habe wohl ein Faible für Tocotronic als Synthiepop-Band. Aber ich klage nicht. Vielleicht macht mich auch nur mein Kopfschmerz mürrisch.
Eine Aspirin-Tablette und eine Flasche Wasser später vibriert der Spielzeug-Electro der Vögel in mir. Ich treffe Freunde wieder, die statt klarer Augen und unsichtbarem Atem plötzlich wirren Blickes mit Alkoholfahne umherschwenken. Es ist später geworden. Die Welt des Nachts ist zumeist angenehmer als sonst. Der Silent Noize Floor lädt zum Tanzen mit Kopfhörern ein. Sennheiser-Propaganda ist das, aber wer will schon wählerisch in der Dunkelheit sein?
Eine kurze Diskussion der Vor- und Nachteile des Discofloors, auf dem alle mit Kopfhörern tanzen:
– Vorteil: Zwei verschiedene Programmkanäle, die je nach Gustus (und Gerätefunktionalität … Ätsch, Propaganda!) geswitcht werden können. Plus: Das schöne Spiel, zu raten, welcher Mittänzer gerade zu welchem Kanal abhottet (Joker: Der Tanzstil passt zu keinem Rhythmus).
– Nachteil: Die Sicherheit, Körperausdünstungen und -scheidungen (Rülpsen, Furzen …) im Lärmpegel verhallen zu lassen, weicht der Fehleinschätzung durch Rausch und Musik. Gegrölt wird trotzdem laut. Und grölen ist immer ein Nachteil. Zudem: Der typische Kopfhörer-Disco-Dialog „Ey, was hörst du gerade?“ nervt nach einer Weile, auch wenn es schön ist, nicht zu Gossip und Franz Ferdinand tanzen zu müssen. Für eine Disco aber eine interessante Angelegenheit.
Samstag
Aufgeweckt zu werden von den Schweißperlen der übertreibenden Sonne erinnert an die Tücken des Zeltens: Zu viel Sonne. Selbst für 50+-Sonnencreme ist das zu viel und mich überkommt eine unangenehme Röte (Lady In Red revisited), besonders schmerzhaft – kein Witz! – auf meinem linken Handrücken. Das Warten auf Bands ohne Schatten kann selbst mit schusseligen Schachpartien dauern und das Verwerten von Proseccoresten ist vielleicht auch nicht so vernünftig wie eine halb leere Proseccoflasche verlockend ist. Aber alle geworden ist sie schon …
Jens Friebe ist ein liebenswürdiger, launischer Verführer und sein Schlagzeuger Chris Imler, wie er im Stehen elektrotrommelt, Schnurrbart und Sonnenbrille trägt und aus einer grau-blauen Dose trinkt, während er den Markennamen des Artikels mit der Hand verdeckt (Rock’n’Roll!), so ziemlich der Inbegriff der Coolness. Da wirken die Hundreds In The Hands schon bemühter, nicht ganz missglückt zwar, aber nur leidlich cool und nur bedingt zwingend. Auch musikalisch. Die Frames sind mehr Rock als Post. Das ist schade und in etwa so ausgelutscht wie die einheitliche schwarze Kleidung der Band. Gravenhurst spielt beschaulich und prosaisch mit einem Hauch von Band Songs mit Hang zum Sog. Warum habe ich nochmal die Band aus meiner Aufmerksamkeitsspanne vertrieben?
Das Konzert von Superpunk trägt so viel historisches Gewicht als allerletzter Auftritt der Band, dass die schweren Herzen der Enthusiasmierten nicht anders können als seufzend wild umher zu hüpfen. Das Zelt quillt über. Blaudzun wurden anscheinend am Arcade Fire-/Edward-Sharpe-Reißbrett entworfen und irgendwie glaubt auch jeder, da große Songs herausgehört zu haben. Ich bin mir da nicht so sicher, aber mit der Band auch nicht unzufrieden. Whomadewhos Porno-Disco-Rock belebt, während The Whitest Boy Alive interessanter in der Interaktion mit der rabiaten Security sind („We’re just trying to have a good time!“ – Ach!) als in ihrer Musik und Erlend Øye scheinbar nie schläft, sondern immer herumschleicht und mit tausend Menschen redet. Reptile Youths Standard-Hardcore gibt gern 120% – wenn sie meinen, das tun zu müssen … Spät am Abend noch Bratze, deren Songs in den Strophen derbe Techno-Bretter sind, während die Refrains sich genüsslich und poppig auftürmen. Und (betrunkene) Charmeure sind sie auch, der Norman und der Click.
Sonntag
Der Wecker am Morgen ist ein wütender Sturm, der die Schieflage unseres Zeltes strapaziert (remember?), aber nicht bricht. Aber der Schlaf, der ist gebrochen. Nun gut, genug Zeit also, um unter gelegentlichem Regen zum Soulfrühstück von Carsten Friedrichs of Superpunk-Fame zu gehen, das saucoolen und sauobskuren Soul und Rock’n’Roll zu kostenlosem Kaffee (Yay!) bietet. So lässt sich der Tag fortsetzen, so wird sogar ein versierter Misanthrop wie unsereiner gesellig genug, um auf dem getarnten Schlagzeugtisch (kein Scheiß!) des Tabakanbieters rumzutrommeln. Wenn Teller auf einem Tisch stehen, dann trommelt man doch mal drauf … aber offenbar traut sich keiner sowas. Jedenfalls lasse ich mich sogar zu unblödem Smalltalk hinreißen mit zwei Mädchen, wobei der Bruder des einen sich „mit 28 schon ziemlich alt für so ein Festival fühlt“ … Ach Gott! Ich behalte mein Alter für mich. Ein etwas blöderer, aber dafür auch absurderer Smalltalk mit dem Zigarettenwerbemenschen, bei dem es zumindest immer Kippen gibt: Er will mir, ich war ihm als „Hubert Wöllner“ bekannt, die tausende Male, die ich ihm über den Weg lief (viele Zigaretten …), immer Hosenbeine und Ärmel abschneiden, damit ich wie ein Hipster bzw. wie ein Hipster abseits des Hipstertums oder etwas in der Art aussehe, ein Anliegen, das ich schmunzelnd mit den Worten „Das ist mir zuviel Subtext“ abwiegele.
Jedenfalls wird mein Herz unter solchen Umständen schwer genug, dass ich von Wolke und ihrem nihilistischen Kitsch-Piano-Pop gerührt und angetan bin. Nicht umsonst kommen mir beim Book Of Love, weil es so long and boring ist, gern mal Tränen in die Augen. Me And Cassity klingen aus der Ferne arg gewöhnlich. Ja, Panik dürfen auch alle schwarz tragen, so lange es solche Mäntel wie der vom Spechtl sind. Und das einleitende „Meine Herren!“ zu den Bandmates illustriert den famosen Stil der Band sehr gut. Sie können Refrains wie Strophen bringen und zudem nicht einzuordnende Passagen. Und sollte eine dieser Passagen nicht funktionieren, gibt es ja immer noch die fantastischen Texte, an denen man sich langhangeln kann. Dear Reader sind anscheinend gut, soweit ich das aus der Ferne sagen kann, denn das Zelt ist bereits voll. Boy schließlich sind beschaulich und genehm, könnten allerdings ruhig häufiger die Steelguitar auspacken. Als Festivalabschluss passt der arg harmlose Pop der Beiden aber gut, auch wenn der finale Song des regulären Sets, oh Überraschung, der Hit aus der Werbung ist. Die sichere Variante halt. Wer Mut sucht, hat ja auch nur bedingt Interesse an Boy.
Um den Erzählfluss von meiner Überhand gewinnenden Geselligkeit wieder aufzunehmen: Nachdem das Festivalgelände geschlossen und auch der Zeltplatz schon halb geleert ist, ziehe ich umher, treffe partywütige Holländer (hihi), Frankfurter Apfelwein (naja) und einen berauschten Liedermacher namens Jon Lupus, der zwar zu betrunken ist, um sich an seine eigenen Texte zu erinnern, aber trotzdem Gitarre spielt und dazu improvisiert. Und wenn es für diese Stimmung angebrachtere und alberner anmutende Zeilen gibt als die, an die er sich zum Glück noch erinnert, aus seinem Hit „Denken ist scheiße, Bier ist es nicht“, dann ist mein Urteilsvermögen … ähm, na ja … getrübt: „Bier hält mich vom Denken ab, aber Denken nicht von Bier/ Klarer Punktsieg für den Gerstensaft, ich wünschte, du wärst hier.“ Selbst nüchtern sind das gute Zeilen und ein bisschen Frohsinn bringt uns auch nicht um, ahaha.
Bilder: BootBooHook
Camera ausgelassen? Das darf ja wohl nicht sein! ;)
Camera nur halb ausgelassen, nämlich nur das Ende gesehen, das aber immerhin für gut befunden. Ein paar gute Bands gehen einem immer durch die Lappen…
na gut, dann sei dir verziehen! ;-)
Das alte Expogelände und pittoresk, so hab ich das auch noch nie gesehen. An normalen Tagen eher trostlos. Die Bilder sind leider Montagen.
Top Text. Könnte mich dazu bringen, mich darüber zu ärgern seit Jahren nicht mehr auf Festivals gewesen zu sein. Mal sehen, ob der Ärger bis zum nächsten Sommer anhält und in Taten mündet.
Und ja: Wirklich mal ein unterhaltsamer Text aus der sonst doch eher drögen Kategorie Festivalnachklapp.