Wenn wir abseits von rosafarbenen Klischeeträumereien zum Thema Liebe vordringen wollen, dann ist es das Sinnigste und Klügste, zu sagen, dass wir, wenn überhaupt, nur eins wissen: Wir wissen, was Liebe nicht ist. Dass Jens Lekman das weiß, bedürfte eigentlich keiner weiteren Betonung. Und so, wie mich diese Betitlung in ihren Bann zog, weiß offenbar auch ich (nur allzu gut), was Liebe nicht ist und genau das. Diese süße Verbindung aus Negativität und Gefühligkeit macht uns schließlich schaudern, oder?

Es ist ja auch zweifelsohne sinnvoll, die Sinnsuche in der Causa Liebe von hinten und ex negativo aufzuzäumen, denn wer glaubt, die Liebe von vornherein zu kennen, ist entweder von abscheulicher Hybris oder unglaubwürdiger Intuition geschlagen (als ob das wen stören würde!). Wir Ahnungslosen versuchen derweil, unseren Wissenstrieb per Versuch und Irrtum zu befrieden, lieben hier wie dort, so oder so, ehe alles zerbricht. Dann wissen wir zumindest mehr über die Liebe, nämlich dass sie so nicht ist. Aber genauso zur Liebe wie die Liebe selbst gehört dies: ihr Vergehen. Sei es in Resignation, Tod oder Drama, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Was entsteht, vergeht.

Und damit haben wir einen mühseligen Bogen geschlagen zu Jens Lekman, dessen erstes Album seit dem 2007er Erfolg „Night Falls Over Kortedala“ eine Trennung im Leben des Künstlers thematisiert, die ihn zeitweise so lähmte, dass er lieber Liegestütze machte statt Songs zu schreiben („I started working out when we broke up/ I can do one hundred push-ups/ I could probably do two/ if I was bored.“ – „Every Little Hair Knows Your Name“). Sobald die Songs von „I Know What Love Isn’t“ Gestalt annahmen, war die Stoßrichtung klar: Liebe in ihrer Modalität als Trennung. Dabei wirkt das musikalische Korsett leicht überzuckert, wie es bei Lekman schon eh und je der Fall war, mit glatt polierter Eleganz und ohne Samples. Immerhin: Der Kontext hätte auch weit üppigere Arrangements hergegeben, aber – das Selbstmitleid des Künstlers reicht dann doch nicht so weit – Lekmans Croonerstimme braucht Luft zum Atmen und die Musik begleitet ihn als großes Easy Listening oder kleiner Edel-Pop.

Alles beginnt mit zartem Pianogeklimpere und alles mündet darin: „Every Little Hair Knows Your Name“. Liebe und wie sie sich einbrennt bis in die kleinsten Partikel des Körpergedächtnisses. Selbst und besonders nach der Trennung. Aber schon in der eigentlich noch intakten Beziehung fallen die Schatten dunkel, zu cheesy Saxophon-, Chor- und Flötenbegleitung und wenn „She asks you what’s wrong/ you say nothing“, dann ist das ein verdammt gewichtiges und trauriges „nothing“. Ein bereits kräftig nichtendes Nichts. Und wenn es kulminiert zur finalen Trennung, dann bleibt nicht viel zu wünschen außer: „I want a pair of cowboy shoes.“ So ein Abgang soll schließlich klingen und wenn schon keine Liebe, dann wenigstens Stil ohne Ende. Wenn auch nur im langgezogenen und besinnlichen Traum, aber seltsamerweise ohne Steel-Guitar. Die „cowboy shoes“ sollen schließlich nach „anywhere but you“ führen. Obwohl: „You don’t get over a broken heart/ you just learn to live with it gracefully.“

„The World Moves On“, das längste Stück des Albums, ist eine Mischung aus „sadness and glory“, gedämpfter Funkgitarre und sinnlich kleiner Flöte und Violine: „If you don’t love me/ please have the dignity to tell me.“ Ja, emotionale Dringlichkeiten tendieren dazu, die Würde mit Füßen zu treten. Viel ehrlicher wäre da schon eine Heirat um der Staatsbürgerschaft willen, die sich keine Illusionen um Liebe machen braucht, auch wenn die Angesprochene bei dem Vorschlag lacht und Lekman schmunzeln muss: „I always liked the idea of it/ a relationship that doesn’t lie about its intentions and shit.“ Da kann der Song auch in einem jubilierenden Refrain münden, der stolz verkündet, nicht zu wissen, was Liebe ist, aber genau zu wissen, was sie nicht ist. Nein, das ist mehr als eine Verschiebung der Negation.

Generell gelten aber die berühmten Worte, zumindest sollten sie es sein: Liebe wird oft überbewertet. (Solche Worte in einem Artikel, der 26 mal das Wort Liebe erwähnt! Authentizitätsdebatte, ick hör dir trapsen …) Gegen das Ende der Welt zum Beispiel stinkt die Liebe ab: „The End Of The World Is Bigger Than Love.“ Der angeschrägte Männerchor assistiert Lekman zum vollgepackten Up-Tempo-Stück, während Lekman die Dinge aufzählt, die kleiner sind als das Ende der Welt: Eisberge und Geysire beispielsweise, Spinnen in Gläsern, Wechselgeld in Hosentaschen, Börsenkurse, unsere Probleme. Damit, und nicht mit dem Ende der Welt, muss sich Liebe erstmal messen! Wenn sie es so vollzieht wie „The End Of The World Is Bigger Than Love“, dann gern. Ein großes Wort, ein famoser Song.

Für ein Lekman-Album ist eine Rezension wohl nur ein bedingt geeigneter Platz, aber wir haben kein Poesiealbum zur Hand. Im Fahrstuhl würden wir tänzeln, am Fenster des Abends seufzen und sehnsüchtig schmachten, weil die Gewissheit, die Nicht-Liebe zu kennen, eine der (vielleicht sogar die?) Triebfeder(n) der Melancholie ist. Und das ist und war schon immer die Essenz lekmanschen Schaffens: Sensibel, filigran und traurig keine Ahnung von Liebe zu haben ist schöner als plump, positivistisch und banal bei der Pärchenlüge mitzumachen. Zumindest wenn Jens Lekman singt, mischt sich Stolz in das Fundament aus Trauer.

76

Label: Secretly Canadian

Referenzen: The Divine Comedy, Camera Obscura, Rufus Wainwright, The Left Banke, Jonathan Richman

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VÖ: 31.08.2012

5 Kommentare zu “Jens Lekman – I Know What Love Isn’t”

  1. Großes Kompliment für diese Rezension (für’s Album natürlich auch).

  2. Lennart sagt:

    Jepp, treffend geschrieben. Ein sehr feines Album über durch Liebe hervorgerufene Trauer, nicht einfach nur Liebeskummer. Bemerkenswert finde ich den Mut, Verlorenheit nicht um-, sondern zu beschreiben („The World Moves On“). Andere hätten sich da womöglich an großen Metaphern versucht.
    Souveränes & inniges Trauern ohne Durchhalteparolen, sehr fein und anrührend, auch und gerade, weil’s teilweise doch schon ein ganzes Stück über Melanchloie hinausgeht.

  3. Dank den Lobenden!

    Ja klar, Melancholie wird ja nicht umsonst nur einmal erwähnt. In ihr will sich ja keiner (der Lekman nicht, auch ich nicht) baden oder sonnen, hier geht es um das, was Liebe nicht ist, und um ihr Vergehen. Und zwar distinguiert, pointiert und präzise.

  4. Lennart sagt:

    Oh nein, in dem, was er beschreibt, möchte ich mich weder sonnen noch baden. auf keinen fall.

  5. Pascal Weiß sagt:

    Sebastian, eigentlich war das gar nicht die Zeit für Lekman, habe das Album nach zweimaligem Hören erstmal zur Seite gelegt. Seit gestern, nach dem Lesen dieser Rezi, sieht das aber mal ganz anders aus. Man dankt.

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