Frequency 2012: Alles im Überfluss

Prinzipiell steht der österreichische Radiosender FM4 für eine ausgewogene und spannende Musikauswahl. Daher überrascht es ein wenig, dass sein eigenes Festival in St. Pölten auf teilweise verzichtbare Bombast-Acts wie Korn oder The Killers setzt, doch diese kann man ja meiden. Haben wir allerdings nicht getan. Außerdem dabei: Quirlige Youngster, altersweise Virtuosen und jugendlicher Blödsinn.
Das Frequency Festival ist mittlerweile also getrost mit deutschen Größen wie dem Hurricane oder dem Southside vergleichbar, was man durchaus kritisieren kann Der Event-Charakter stand nämlich deutlich im Vordergrund, zahlreiche Besucher verkleideten sich albern, der Alkohol floss in Strömen, der Exzess war für viele das zentrale Motiv. Bei alldem rückte das Essentielle in den Hintergrund: Für die Musik waren jedenfalls viele Festival-Gäste nicht da.
Dabei war die künstlerische Bandbreite extrem. Das Frequency machte keinen großen Hehl daraus: Möglichst viele Menschen sollten angesprochen werden, megalomane Headliner wie Korn oder The Killers sprachen Bände. Beide Bands spielten ihre fürchterlich routinierten Sets, ohne mit der Wimper zucken. Auf der einen Seite war das also höchst schlagerhafter Las-Vegas-Pomp, auf der anderen Seite peinlicher Nu-Metal-Dubstep. In beiden Fällen war es aber sowieso schon recht spät und entsprechend leicht fiel die Entscheidung, sich ins Schlafgemach zurückzuziehen. Been there, seen that, never ever again.
Doch bevor der Eindruck entsteht, alles sei furchtbar schrecklich gewesen, sollte man relativierende Worte finden. Man darf auf einem Festival dieser Größenordnung nichts anderes erwarten, betrunkene Jugendliche und Quisquilien als Headliner sind die entsprechenden Nebenwirkungen. Was uns natürlich viel mehr interessiert: Wie haben sich Alt-J verkauft? Bleiben Wilco eine der besten Livebands? Und ergeben Hot Chip live überhaupt Sinn?
Die bemerkenswerteste Show des gesamten Festivals legten ohne jeden Zweifel Wilco ab. Die altersweisen Alt-Country-Heroen um Chef-Melancholiker Jeff Tweedy spielten ein leidenschaftliches Set, bei welchem sie sich vor allem ihr 2002er Meisterwerk „Yankee Hotel Foxtrot“ zur Brust nahmen, aber auch Fans des aktuellen Albums kamen nicht zu kurz. „Art Of Almost“ war auch live ein überlebensgroßer Wahnsinns-Song, der sich zum Ende hin in unwirkliche Höhen schraubt. Nels Cline schrubbte und schredderte dazu beherzt und voller Inbrunst, so dass teilweise Szenenapplaus aufbrandete. Das zärtliche „One Wing“ vom weitgehend unterschätzten „Wilco (The Album)“ entfaltete im sanften Lichte des Augustabends seine wahre, unumstößliche Größe.
Auch groß – obwohl sie zu den kleinen Bands des Festivals zählten – war der Auftritt von Alt-J (Bild oben). Zwar hatten sie zunächst kleinere Probleme, weswegen ihre Show mit Verzögerung startete, danach konnten die vier jungen Herren das Publikum jedoch mit ihren eklektischen Pop-Turnübungen begeistern. Egal ob „Matilda“ oder „Fitzpleasure“, jede Nummer wurde mit technischer Brillanz und feinem Händchen intoniert, während sich die Zuseher dem geometrisch unperfekten Tanz hingaben.
Enttäuschend war hingegen der uninspirierte Auftritt der Cloud Nothings. Ihre aktuelle Platte „Attack On Memory“ wurde vielerorts (auch hier) gefeiert, live hingegen verloren sich die vier Jungs in zu viel Noise, verwechselten sich selbst mit Sonic Youth und vergaßen das Publikum. Freilich steckten Dylan Baldi und Co. eine Menge Energie in ihre Show, wirkten aber eher wie vier Asperger-Patienten bei der Beschäftigungstherapie.
Hot Chip bemühten sich redlich, dass Publikum zum Tanzen und zum Schmunzeln zu bringen. Ihre Songs sind natürlich höchst infektiöse Dancefloor-Magneten, die auch auf einem Festival ihren Reiz haben. Dass die Briten bei alledem aussahen wie eine campe Kegelmannschaft auf Welttournee, machte das Ganze nur noch sympathischer. In einem Club hätte das Ganze vielleicht besser funktioniert als auf der großen Bühne, dennoch gelang es ohne sonderliche Abzüge.
Dezent und krachig, eloquent und anklagend geriet das Set der leicht ergrauten Indierock-Institution Tocotronic, die vornehmlich ältere Songs spielte. Logischerweise setzte sich Dirk von Lowtzow erneut als salbungsvoller Redenschwinger in Szene, seine durchdringenden Parolen wollten hingegen keinen Staub ansetzen. Stücke wie das verzerrt-verzerrende „Jungs, Hier Kommt Der Masterplan“ verlieren schließlich genauso wenig an Gültigkeit wie das Gesamtwerk Emil Ciorans.
Mit Skepsis erwartete man hingegen The xx. Ob ihr extrem intimer Pop auch live funktionieren würde, war eine der meistgestellten Fragen. Dass diese mit einem seufzenden „Ja“ beantwortet werden kann, ist sicherlich eine der positiven Überraschungen des diesjährigen Frequencys. Wie kaum eine andere Band zerstückelten sie ihre Songs, ließen ihren Tastendrücker und Mann fürs Grobe Jamie xx den Bass auf- und zudrehen, flirteten hernach mit der Modedroge Dubstep und spielten eine extrem verlangsamte Version ihres Übersongs „Crystalised“. Toll auch der neue Song „Angels“.
Und sonst so? Lykke Li ließ mit ihrem aseptischen Set weitestgehend kalt, Kettcar kumpelten sich freundlich durch ein bequemes Best-Of-Programm, Maxïmo Park „gingen ab wie Zäpfchen“ und Bloc Party präsentierten eine wundersam schnittige Show, die man ihnen so sicherlich nicht zugetraut gehabt hätte. Ach ja, Brian Molko konnte nach einem Song krankheitsbedingt nicht mehr fortfahren und verließ die Bühne. Er kam auch nicht wieder, was bei den zahlreichen blassgesichtigen Placebo-Fans für schlechte Stimmung sorgte.
Hervorzuheben wäre noch die Möglichkeit des Green Campings, bei dem sich die entsprechenden Besucher dazu verpflichteten, wenig Müll zu produzieren und diesen selbstverständlich ordnungsgerecht zu entsorgen. Darüber hinaus wurde angenehm auf die Mit-Camper Rücksicht genommen: Obsolete Helga-Rufe oder andere Prollereien hörte man auf diesem speziellen Areal nicht, was für Menschen, die tatsächlich der Musik wegen ein Festival besuchen, Nerven und Ohren schont.
Bilder: Maike Baltner