Der Liedschatten (80): Nimm ihn!

Tom Jones: “Help Yourself”, September – Oktober 1968
Ein Entertainer ist dann erfolgreich, wenn er sich so etwas hier nicht nur erlauben kann, sondern es von ihm erwartet wird.
Phalli? Sieht hier irgendwer Phalli?: Tom Jones bietet sich an.
Nun, erwartet ist womöglich zu viel gesagt, wer würde schon mit einer Choreographie wie dieser rechnen? Hier dürften die Zuschauer der ersten Folge der TV-Show „This Is Tom Jones“ von 1969 etwas überrascht gewesen sein. Und Überraschungen können ja durchaus der Unterhaltung dienen.
Und erlauben, was heißt hier erlauben? An sich geschieht nichts Ungebührliches, Tom Jones singt Playback, doch ist das nichts Verwerfliches. Auch ist es nicht gänzlich abwegig, wenn der Namensgeber einer Show prominent vertreten ist – warum nicht sein Konterfei mit seinerzeit sicher nicht geringem Aufwand abbilden? Das Verhalten der Tänzer und vor allem Tänzerinnen lässt ebenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, um wen es hier geht, nämlich einen umschwärmten Mann, dessen Auftreten sich selbst Anlass genug zu sein scheint.
Jones war, anders als die Stones oder Beatles, ein Star beinahe klassischer Art. Nachdem seine Karriere im Zuge der sogenannten British Invasion begann und relativ rasch zu enden drohte, ermöglichte ihm eine Erweiterung seines Repertoires um ernsthaftere, teils melodramatische Songs (zum Beispiel „Delilah“) sechs Top-Ten-Hits in den britischen Charts in Folge.
Das Grundlegende aber blieb gleich, nämlich Tom Jones und seine Stimme. Wer ihn hört, weiß, was er bekommt, nur eben nicht wie. Was im Rückblick teilweise wie ein logisches Adaptieren nicht unbedingt neuartiger, aber unverbrauchter Trends aussieht, dürfte häufig für Aufhorchen bei denen, die über keine bessere Musik verfügten, gesorgt haben. Er selbst war stets hinter allen Stilwechseln auszumachen, „Aha, Tom Jones macht jetzt so was“ konnte sich auf ein Image beziehen, das seit Beginn seiner Karriere aufgebaut wurde, relativ wenig mit Musik zu tun hatte und auch auf die Vergangenheit bezogen werden konnte. Denn wer Jones in den 1990ern entdeckte, konnte in ihm unschwer den Interpreten der 1960er ausmachen.
„Help Yourself“ zeigt, wie viel wirkungsvoller als die Texte seine Person gewesen sein dürfte. Wenn Jones zur Selbstbedienung in Sachen Liebe aufruft, spricht aus ihm nicht irgendein Protagonist eines Liedes, es ist er selbst. Hüftschwung, offene Arme und die einladend erhobenen Brauen illustrieren nicht nur die, wenn man will, an einen bestimmten Menschen gerichtete Botschaft, sie scheinen eine Aussage bezüglich seiner eigenen Person zu sein.
Nun werden ihm zahlreiche Affären nachgesagt: „Jones himself has admitted that during his Lothario period he slept with up to 250 women a year. On tour, he would have two dressing rooms: one for entertaining friends, the other – nicknamed “the workbench” – for entertaining groupies.“ – ganz so abwegig ist der Gedanke also nicht. Was ihm und Groupies widerfuhr, dürfte jedoch auf einen Großteil der Millionen Menschen, die seine Platten erwarben, nicht zugetroffen haben.
Wie aber hätten sie, von der logistischen Unmöglichkeit einmal abgesehen, auch verkauft werden können, wenn die Bedürfnisse, die sie weckten, befriedigt worden wären? Am Ende geht es vor allem um den Traum, nicht nur begehrt zu werden, sondern diese Begierde auch zur freien Verfügung gestellt zu bekommen:
„Love is like candy on a shelf
You want to taste and help yourself
The sweetest things are there for you
Help yourself, take a few
That’s what I want you to do.“
Konnte man sich eingangs noch über die Choreographie des obigen Videos wundern, so scheint sie angesichts des Textes beinahe bildhaft. Einfach die richtigen Hebel in Gang setzten, schon läuft es, schon ist da
„(…) love enough for two
More than enough for me and you“.
Das ist zum Einen plump, zum Anderen mehrdeutig und gar nicht so weit weg von den Hippies und ihrem Glauben daran, alles sei einfach, man brauche nur Liebe. Das einzige, was bei Jones nicht gegeben wird, ist ein Hinweis auf Veränderung, eine Liebe, die mehr als nur Spaß und Bedürfnisbefriedigung ist. Bei ihm ist sie Privatsache, eben ein Bedürfnis, kein Bedarf.
Wenn „Help Yourself“ thematisch dennoch ein Liebeslied sein sollte, so ist es ebenfalls keine klassische Romanze, vielmehr ein überzogenes Statement. Es gibt nur die Verfügbarkeit, keine Erzählung wie in „Then He Kissed Me“ von The Crystals oder „Strangers In The Night“, keine persönliche Offenbarung wie bei „I Want To Hold Your Hand“ oder „I’m A Believer“. Die Idee, Liebe sei alles, was ein Mensch braucht, wird als eine Tatsache vorausgesetzt und ohne jeden erzählerischen Rahmen als Grundlage für ein Angebot genutzt, dessen Einlösung durch die Beschaffenheit des Interpreten zumindest glaubhaft erscheint. Im Zusammenspiel mit „It’s Not Unusual“ (mit Augenmerk auf die einprägsamen Zeilen und unter Missachtung des Zusammenhangs), seinem ersten großen Hit, verkörpert Tom Jones so eine leicht schalkhafte, der Liebe um ihrer selbst willen hingegebenen Frohnatur. Seine Liebe ist nicht für immer, sondern einen Moment, schließlich gilt:
„It happens every day no matter what you say
You find it happens all the time“ („It’s Not Unusual“)
Warum sich also nicht die Freiheit nehmen, eben „Help Yourself“? Dieses mag dann vielleicht nur die schmissige Bearbeitung eines Liedes („Gli occhi miei“) mit neuem Text sein, doch findet sich hier im Vergleich zu anderen Nummer-Eins-Hits unserer Reihe etwas Neues, ein sehr freizügiger Hedonismus, der zwar laut Image von Tom Jones vorgelebt wurde, sich aber nicht auf diesen zu beschränken braucht. Liebe ist hier keine Himmelsmacht, kein Schicksal und keine exklusive Singularität zweier Menschen, sondern ein bloßes Vergnügen, das sich bei Lust einfach vollziehen und kurzum konsumieren lässt. Das klingt eher nach Gelegenheitssex als langfristiger Beziehung und könnte ein Hinweis darauf sein, dass sexuelle Unverbindlichkeit nicht einfach ein Ideal jugendlicher Szenen war, sondern auch abseits dieser und wahrscheinlich vor allem durch die Antibabypille breitere Akzeptanz fand.
„Nur für uns zwei“: Peter Alexanders Version hört nicht einmal dort auf, wo Tom Jones anfängt. Trotzdem gab’s Platz 9 in den Charts.
[…] so schlecht ist der Beat nicht, die Stimme klingt ein wenig wie Tom Jones, das muss man nicht mögen, aber der Refrain geht schön auf. Nur das „Sha-lala-la-lala-la-la“ […]