Haldern Pop 2012 (II): Zwischen Routine und Spielfreude

Freitagnachmittag beginnt nach dem Verzehr eines schmackhaften, mit geschätzten 320g Käse und Champignons gefüllten Handbrotes auf der Hauptbühne, auf der das Indie-Duo Wye Oak mit austarierten Laut-Leise-Variationen und Sonic-Youth-Flair die neu hinzugewonnenen Anhänger aus dem Vorjahr nicht enttäuscht. Auch die mit zwei Drumsets ausgestatteten White Rabbits sorgen – allen voran mit „Percussion Gun“ – für zufriedene Gesichter. Und dies sowohl bei der stehenden Menge als auch bei den Träumern auf den Decken abseits im Schatten.
Träumerisch geht es auch im Spiegelzelt zu. Das Trio Daughter ist eine der Neuentdeckungen dieses Wochenendes. Getragen durch Elena Tonras Stimme, irgendwo zwischen Björk, Enya und der zarten Feist, strahlt ihr Ambient-Folk in dem hell erleuchteten (und inzwischen ziemlich stickigen) Spiegelzelt auf die dankbar eintauchende Menge ein. Eine Band, die man durchaus gut finden darf. Dies ist im Fall von Thees Uhlmann kurz danach nicht nötig. Der findet sich selbst gut.
Zwischenzeitlich Obskures vom Zeltplatz: Etwa drei Meter weiter zwei Jungs, die anscheinend mit unterschiedlichen Absichten ihr Zelt betreten: „Hey, Deine Hand hat dort nichts zu suchen. Nimm die weg jetzt. Nein, nicht auch noch da dran jetzt …“ Typisch Jungs, würde man meinen, wenn nicht gerade beim Beachen neben dem Zelt zwei Mädels vorbeilaufen würden, von deren Gespräch man gerade mal einen Satz mitbekommt: „Was ist denn, hast Du etwa schon wieder eine Spinne in der Muschi?“ Schon wieder?
Vielleicht einfach zu viel Sonne. Davon können tUnE-yArDs nicht genug bekommen. Mit zwei Publikumslieblings-Bläsern und der selbst auf dieser großen Bühne so immens präsenten Merrill Garbus als Drumloops-und-Ukulele-Power-Frontfrau dürfte klar sein, warum die Band längst nicht mehr nur Geheimtipp ist. Zu „Gangsta“ und „Bizness“ tanzen die Zuschauer auf staubigem Boden – der sich zusammen mit dem süßlichen Duft von Nachbars Joint in der Nase mischt. Vielleicht die schönste Stunde dieses Festivals.
Auf dem die Afghan Whigs schon vor gut fünfzehn Jahren gespielt haben. Die Comeback-Tour der Alternative-Rocker ist jedoch durchaus in der Gegenwart verankert – dies beweist nicht zuletzt das tolle Frank-Ocean-Cover. Während Greg Dulli, der zusammen mit Mark Lanegan vor vier Jahren noch als Gutter Twins im Spiegelzelt zu Gast war, so routiniert ist wie man sein darf. Das gilt an diesem Abend leider nicht für Wilco, die ihren Gig vor schwindendem Publikum eher abwickeln als zelebrieren. Manchmal ist es gar nicht gut, wenn eine Band zu eingespielt ist. Anders als noch vor einigen Monaten in Berlin ist die Spielfreude an diesem Abend jedenfalls ein wenig auf der Strecke geblieben. Aber einen haben wir ja noch.
Für viele ist Alt-J noch eine solch frische Entdeckung, dass das Spiegelzelt zum Abschluss zwar randvoll, aber nicht wie so oft viel zu früh überlaufen ist. Alle Glücklichen, die jetzt noch wach und da sind, werden Zeugen einer atmosphärischen Demonstration ohne all das, was aktuell für Atmosphäre steht. Kein ausuferndes Synthie-Wabern, keine knisternden Loops, keine große Akzentuierung der markanten Stellen. Der Schlagzeuger nutzt kein Crash-Becken, die Gitarren sind fast durchgehend völlig effektfrei. Stattdessen setzen sich viele talentierte Stimmen in reiner Form oder im Kanon übereinander, Folk trifft auf dem Hiphop entliehene Beats und dazwischen tummeln sich wunderbare, sich nur langsam zu erkennen gebende Popmelodien. „Tesselate“ und das etwas eindringlichere „Breezeblocks“ wackeln sich in Position, während „Matilda“ mit dem simpelsten Refrain größte Gebärden ersetzt und rührend Bedürfnisse im Spiegelzelt erweckt.
Als Alt-Js Aufschichtung von Flackern und Leuchten wohl das ganze Zelt erreicht hat, erlischt sie auch schon wieder. Ein viel zu kurzes Konzert, das nach 45 Minuten selig aber etwas hungrig zurücklässt und doch der stärkste Haldern-Abschluss seit langer Zeit ist. (Pascal Weiß & Sven Riehle)