Haldern Pop 2012 (I): Sonnenbrillen statt Schwimmflossen


Wie sich die Bilder nicht gleichen: Letztes Jahr noch anhaltender Starkregen, dieses Wochenende nur Sonne, soweit das Auge blendet: Das 29. Haldern Pop ist ein rundum gelungenes Event – zu den Highlights vor 6500 Gästen zählen vor allem Willis Earl Beal, tUnE-YaRdS und Alt-J.

Weg mit den Schwimmflossen, her mit den Sonnenbrillen. Haldern steht bauchfrei gut. Die Atmosphäre ist entsprechend entspannt, das Publikum noch relaxter als in den Vorjahren, das bestätigen auch die Arbeitskräfte auf dem Festivalgelände. Dazu trägt sicherlich bei, dass neben dem ca. 1000 Personen fassenden Spiegelzelt eine weitere Biergarten-Bühne aufgebaut ist, die das Publikum am Donnerstagabend aufteilt – und somit die in den Vorjahren manchmal ärgerlich lange Wartezeit in der Schlange vor dem Zelteingang deutlich reduziert.

Der Einstieg ins Festival bietet sich am Donnerstag in der Kirche an. Vor allem Chris Garneau, Loney Dear und A Winged Victory For The Sullen sorgen für frühe Vorfreude in sakraler Umgebung. Während draußen der Lorenz knallt, ist es im Inneren der Halderner Dorfkirche kühl.

Da Chris Garneau aber auch musikalisch Kontraste zu den hitzigen Iceage im Spiegelzelt setzt, darf sich der kleine Mann die vollbesetzten Bankreihen und zugestopften Gänge auf die eigene Karte schreiben. Weiter hinten sind Gemurmel und Echo so laut, dass Garneaus fragile Stimme und die Songs etwas ihrer Dynamik beraubt werden. Vorne schlägt zwar Garneaus typischer Kammerklang noch immer nicht durch, allerdings sorgen „Relief“ und „Between The Bars“ hier auch im steinernen Widerhall für feuchte Augen. Die Bescheidenheit dieser kleinen Hymnen, das kindliche Aufbegehren gegen rätselhafte Gefühle, das alles hat er dann doch zu gut drauf. Nur hätte es im Spiegelzelt wohl noch besser funktioniert.

Wer die letzten fünf Jahre dann und wann das Haldern besucht hat, wird auch Loney, Dear kennen. Ob der Schwede bereits einen Rentenvertrag für Haldern-Slots hat, ist uns nicht bekannt, aber er ist wieder da. Dem vermeintlichen Überdruss der Festivalstammgäste setzt Emil Svanängen einen reduzierten Mix aus Echtzeitloops und bezaubernder weiblicher Stimmbegleitung entgegen.

Übertroffen werden beide Acts dann von A Winged Victory For The Sullen um den Komponisten Dustin O’Halloran. Ihre Neo-Klassik mit Ambientcharakter macht es sich vom ersten Ton des Streichertrios in den alten Ecken und Nischen der Kirche gemütlich. Das Echo holt bei solch unaufgeregtem, fließendem Sound die Loops erst am Taktende wieder ein und potenziert so die Klangerfahrung. Spannungsbögen, die zwischen den tragenden Säulen der Dorfkirche entspringen und fantastische Melodien führen fast unweigerlich zu tranceähnlichen Zuständen. Es stimmt alles, auch wenn uns O’Halloran etwas von Soundproblemen zu erklären versucht. Manch einem fällt kurz der Kopf in den Schoß, was hier aber nicht gegen die Musik spricht. Es ist im Grunde Filmmusik, die keinen Film braucht um Gänsehautmomente zu erzwingen, die dabei die Dezibelskala in beide Richtungen auslotet und noch lange nach dem Konzert Wirkung zeigt.

Derweil stehen auf dem Festivalgelände schon einige Besucher bereit, Iceage haben sich vorab als derzeitiges Zugpferd der dänischen Punkszene einen Namen gemacht. Doch bereits nach wenigen Minuten stellt sich heraus, dass das junge Quartett der Umgebung und dem Publikum heute nicht gewachsen ist. Lustlos spielen sie ihr Set durch – nicht einmal zu den ersten Reihen stellen sie eine Verbindung her. Dabei haben sie doch schon einige Male bewiesen, dass sie auch anders können.

Wie es an diesem Abend zu gehen hat, demonstriert wenig später Willis Earl Beal eindrucksvoll: Kaputte Samples aus der alten Tonbandmaschine, Beats & Blues. Eine Stimme wie Screamin’ Jay Hawkins oder Tom Waits, dazu Haddaway-Look und irrer Blick. Für alle, die es verpasst haben, spielt Beal am nächsten Nachmittag noch im Haldern-Tonstudio vor – nicht minder abgefahren. Wird demnächst mit seinem ersten echten Studioalbum sicherlich auch auf diesen Seiten noch einige Male auftauchen. Aber seht selbst:

Ab zur Biergarten-Bühne, die steht The War On Drugs bei einwandfreiem Sound prächtig, wenngleich Adam Granduciel als Wegbegleiter von Kurt Vile eine noch bessere Figur abgibt. Wo dieser trotz Vorliebe für Dope & Couch für abwechslungsreiche Konzertunterhaltung sorgt, plätschert der Psych-Americana von The War On Drugs in manchen Momenten etwas uninspiriert dahin, obwohl sie nun wirklich genügend großartige Momente in petto haben. Zum Abschluss danach Apparat. Oder vielmehr Apparat Band. Eine ganze solche hat Sänger Sascha Ring nämlich im Schlepptau – und mit zahlreichen Instrumenten wie Cello und Geige spielen sie bei sternenklarer, abgekühlter Nacht ihre Art von elektronischer Musik. (Pascal Weiß & Sven Riehle)

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