Reib (XV) - Between The Bars


„Wo geht es denn hier zur Damen-Toilette?“ fragt das dunkelblonde Mädel mit großen, weit geöffneten Augen und schüchterner Körperhaltung, als sie Reib bei einem der zahlreichen Toilettengänge an solch einem Kneipenrallye-Abend auf dem Flur begegnet.

„Einfach die Tür da rechts“, antwortet er höflich und verzichtet dabei bewusst darauf, in die richtige Richtung zu zeigen.

Und tatsächlich: Ganz so einfach ist das alles nicht. Blindlinks stolpert die Gute in das Männer-WC. In dem zwei der Typen, die kurz zuvor noch Magic-Karten ausgetauscht haben, sich flehend auf das Pissoir konzentrierend gegenseitig ablenken. Über den Putz an der Decke diskutieren – und nun schon seit geraumer Zeit versuchen, die ganze Sache irgendwie ans Laufen zu bringen. Nun blicken sie sich erschrocken um. Jetzt geht gar nichts mehr.

Ihr ist das nicht minder peinlich, ein kurzes, verschämtes „Sorry, Jungs“ und schnell auf dem Weg zur richtigen Tür. Reib nimmt noch einen letzten Schluck aus seinem Wegbier und zwinkert ihr schelmisch zu: „Entschuldige, mein Fehler. Hätte ich wissen müssen.“

Sie hält die Tür noch einen Moment auf, die Schüchternheit in ihrem Blick weicht einem kecken Funkeln – ihr Körper spielt seine Vorteile nun offen aus: „Na schön. Wollen wir uns gleich auf einen Drink treffen?“

„Klar“, sagt Reib und zwinkert ein zweites Mal, „vorne an der Theke – links?“

„Gute Antwort. Ich zahle.“

„Nichts gegen einzuwenden.“

„Was darf es denn sein?“

„Astra. Ja, ein Astra wäre jetzt gut. Meins ist nämlich leer, wie Du siehst. Stellen wir uns gleich einander vor, nachdem wir das hier hinter uns gelassen haben?“

Drinnen sind die beiden Herren noch keinen Deut weiter, als Reib sich an das mittlere der drei Pissoirs stellt. Als sei diese ganze Szenerie nicht schon amüsant genug, bekommt der unmittelbar links von ihm positionierte Mitt-Dreißiger mit ausgewaschenem H-Blockx-Shirt nun auch noch tierischen Schluckauf. Bloß schnell weg hier.

Daraus wird nichts, jetzt sucht der Typ auch noch das Gespräch. Ein Vertreter dieser unnachahmlichen Gattung, von der man stets denkt, sie sei älter als man sie schätzt, noch bevor man überhaupt zu schätzen begonnen hat: „Hömma, wenn Du auch Probleme hast mit dem Pinkeln, Du weißt schon, wenn andere zuschauen, dann kann ich Dir echt einen guten Psychologen empfehlen.“

„Echt? Doch wohl nicht Deinen, oder?“ entgegnet Reib grinsend, während er nach getaner Arbeit den Gürtel zumacht, „der ist ja maximal mittelgut.“

„Bin ja erst am Anfang der Therapie, ist aber schon besser geworden. Verglichen mit früheren Zeiten erlange ich viel schneller die nötige Lockerheit. Gerade vielleicht ein blödes Beispiel, aber das Mädel hat mich komplett aus der Spur gebracht – kennst du sie eigentlich?

„Naja, ihren Namen weiß ich noch nicht, wenn Du das meinst.“

“So, endlich, jetzt kommt’s langsam.“

„Na siehste. Du machst das schon. Einfach noch ein paar atü draufpacken“, Reib klopft ihm auf die Schulter und verabschiedet sich, nicht ohne viel Erfolg zu wünschen. Er sagt all dies in einem provozierenden Ton, den so nur wenige beherrschen, den ihm die beiden nicht übel nehmen können, sondern herzhaft drüber lachen – was in Kombination mit dem Schluckauf draußen allerdings nach allem anderen klingen muss.

Noch ein Kontrollblick, ja, Buchse ist zu. Dann ab an die Bar.

„Ah“, begrüßt sie ihn rechts an der Theke, „hat’s etwas länger gedauert?“

„Wenigstens habe ich auf Anhieb den Weg gefunden.“

„Ich vermute, Du kennst Dich aus.“

„Wie heißt Du eigentlich?“

„Janine.“

„War ja klar.“

„Was denn?“

„Vielleicht später, ok?“ Reib kratzt sich am Hinterkopf, denkt nach – eine böse Vorahnung macht sich bereits breit, der ganze Laden verschwommen, beginnt sich zu drehen.

„Mit wem bist Du hier?“

„Verabredet. Allein. Ich meine, ähm, gleich verabredet. Irgendwann. Also, vielleicht.“

„Möchtest Du los?“ fragt sie mit skeptischem Blick und hebt dabei die Augenbrauen – eine antrainnierte Geste, die Reib nur allzu vertraut vorkommt.

„Noch vor dem Bier?“

„Wieder nicht schlecht“, sie kehrt zu ihrem anziehenden Lächeln zurück, zieht seelenruhig an ihrer Zigarette und hält ihm die Schachtel Camel hin, „damit hättest Du Dir auch noch glatt eine Zigarette verdient. Und sag ja nicht, dass Du nicht rauchst, ich würde es Dir eh nicht abnehmen.“

„So’n Mist, dann muss ich wohl zugreifen, was?“

„Sagt wer?“

„Achja, entschuldige, Reib heiße ich – hey.“

Er streckt ihr die Hand entgegen und prostet ihr dankend zu. Sie gibt ihm Feuer: „Mit wem bist Du denn dann gleich vielleicht verabredet?“

„Ein Kollege von mir wollte gleich vorbeischauen, der kommt aber dauernd zu spät, wenn er denn kommt.“ Er macht eine kurze Pause, die ihr nicht entgeht. „Und ne alte Freundin.“

„Eine alte Freundin?“

Sie ist echt aufmerksam, denkt Reib: „Jaja, aber alles Vergangenheit, keine Sorge. Jana heißt sie.“

„Jana? Lustig, bei uns in der 4er-WG ist gerade auch eine Jana eingezogen.“

Das Pochen am Hinterkopf nimmt zu, hier stimmt was nicht. Und wo bleibt Bauke, verdammt, der wollte doch längst hier sein. „Noch eins, bitte.“

„Was hältst Du denn davon, wenn wir das nächste Bier draußen trinken, Kleiner?“

„Naja, eigentlich bin ich ja …“ Er zahlt das Bier, stellt fest, dass er vergessen hat zu fragen, was sie eigentlich haben will – so weit ist es schon gekommen – und will gerade ansetzen, als sie beschwichtigend ihre Hand hebt: „Schon OK.“

Sie trinkt den letzten Schluck aus, nimmt Reib (der immer deutlicher feststellt, dass das alles in die Binsen geht) provozierend an die Hand und schlendert mit ihm Richtung Ausgangs-Drehtür.

Und blickt direkt in ihr Gesicht: „Was machst Du denn hier, Jana?“

Nicht schon wieder.
Es ist tatsächlich Jana, die den Laden betritt, Reib erblickt, sichtlich um Fassung bemüht: „Das ist ja wohl das Allerletzte.“

„Moment, Moment, ich kann alles erklären, es ist nicht so …“

„Nur eine alte Freundin, soso,“ Janine macht die Sache nicht besser, „hättest Du mir ja gleich sagen können …“

Jetzt schäumt auch noch das Astra (nächstes Wegbier) über. Einer der beiden Klo-Kumpels direkt daneben, blickt erst ihn an, dann Jana und Janine, das Lachen hat den Schluckauf soeben besiegt. Er legt den Arm um Reibs Schulter: „Na, mein Junge. Ein paar atü zu viel drauf gepackt heute Abend?“

Either/Or von Elliott Smith ist am 25. Februar 1997 via Kill Rock Stars erschienen.

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